Süddeutsche Zeitung

Mitten in Nürnberg:Trauerspiel um den Konzertsaal

Die Pläne für einen neuen Spielort für Symphoniker und Philharmoniker sind auf Eis gelegt - oder gar zu Grabe getragen. Die Szene äußert ihren Unmut klar. Von der Stadtgesellschaft allerdings ist kein großer Aufschrei zu hören

Kommentar von Olaf Przybilla

Nürnbergs Stadträte haben diesmal pandemiebedingt in der Meistersingerhalle über den Haushalt debattiert, ein Umstand, den man sich kaum hätte ausdenken können. Zwei Tage zuvor hatte die Stadtspitze die Pläne für den neuen Konzertsaal auf Eis gelegt, und weil viele Betroffene das Auf-Eis-legen als hübschere Formulierung fürs eigentlich gemeinte Zu-Grabe-tragen verstanden haben, durften sich die Stadträte beim Eintritt in die Halle einen astrein gespielten Trauermarsch anhören - vorgetragen von Berufsmusikern der Stadt.

Diese wissen nun, dass sie in der fast 60 Jahre alten Halle mindestens noch bis 2026 spielen müssen. Was dort weniger gut machbar ist, als über den Haushalt zu debattieren. Und also ist es nur allzu verständlich, wenn nun Symphoniker und Philharmoniker bedient sind, Musikkritiker das kalte Grausen packt und Joana Mallwitz in der Nürnberger Zeitung anklingen lässt, dass die Frage, ob ein neuer Konzertsaal kommt, eine erhebliche Rolle spiele für die Entscheidung, ob sie ihren Vertrag verlängert. (Wobei man anmerken darf, dass die "Dirigentin des Jahres 2019" wohl selbst mit dem grandiosesten Konzertsaal unter der Sonne kaum zum Dauerverbleib zu überreden wäre.)

Der Unmut der Szene ist also erheblich, darüber hinaus aber ist von einem großen Aufschrei der Stadtgesellschaft wenig zu hören. Man muss sich das nur mal in München vorstellen: Da laden OB und Kulturreferent an einem Werktag um 8.20 Uhr kurzfristig zur "virtuellen Pressekonferenz" - und vier Stunden später ist das Konzerthaus, für das seit Jahren gekämpft wurde, formvollendet beerdigt. Jedenfalls bis auf Weiteres. Dergleichen würde in München vermutlich zu agonieähnlichen Zuständen führen.

Klar, die Finanzlage beider Städte ist schwer vergleichbar. Der Grund für die flache Erregungskurve in Franken dürfte aber ein anderer sein: Ein neuer Konzertsaal auf dem einst leer stehenden Augustinerhof, mitten in der Altstadt, wäre eine enorm verführerische Vorstellung gewesen. Diese einmalige Chance ist vertan worden. 200 Millionen Euro aber für einen Saal an einer Ausfallstraße in unwirtlicher Randlage, dem Dutzende Bäume zum Opfer fallen würden? Wer davon uneingeschränkt begeistert sein will, müsste mit geeigneten Mittelchen nachhelfen.

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Quelle:
SZ vom 24.11.2020/van
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