Ehemaliges Reichsparteitagsgelände:Vom Ort der Unkultur zum Kulturort

Ehemaliges Reichsparteitagsgelände: Die Ermöglichungsräume in der Kongresshalle bieten Künstlerinnen und Künstlern Flächen für die Produktion und Präsentation ihrer Werke. Die Grafik vermittelt einen Eindruck, wie künftige Performance-Räume aussehen könnten.

Die Ermöglichungsräume in der Kongresshalle bieten Künstlerinnen und Künstlern Flächen für die Produktion und Präsentation ihrer Werke. Die Grafik vermittelt einen Eindruck, wie künftige Performance-Räume aussehen könnten.

(Foto: © gmp Architekten)

In die NS-Kongresshalle von Nürnberg sollen 2025 auch bildende Künstlerinnen und Künstler einziehen. Ein erster Schritt wird demnächst sichtbar. Aber es bleiben noch wichtige Fragen offen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Lange nichts gehört vom spektakulären Plan, in das NS-Monstrum am Dutzendteich - die Kongresshalle - künftig Räume für die Kunstszene einzupflegen, einen Ort der Unkultur also in einen Kulturort zu wandeln. Seit 2019 wird diese Idee immer konkreter, zuletzt freilich wurde sie überstrahlt von der Debatte, wo exakt auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände das Ausweichquartier für die Oper des Nürnberger Staatstheaters entstehen soll. Wobei die Idee, in dem Kolossalbau Ateliers und Proberäume anzusiedeln, sogar die ältere ist - die Idee vom Operninterim kam später erst hinzu. Dass die freie Kulturszene in Nürnberg händeringend auf der Suche nach Platz ist, war lange bekannt, ließ sich aber anlässlich der (letztendlich gescheiterten) Kulturhauptstadtbewerbung empirisch erhärten.

Nun gibt's erste Zahlen, was genau in das hufeisenartige NS-Monument einziehen soll. Die sind imposant: Insgesamt 25 Bandprobenräume, ein Tonstudio und Werkstätten sind ebenso geplant wie 49 Atelierräume auf zusammen 2500 Quadratmetern Fläche. Dazu kommt ein größerer Tanzraum, Begegnungsflächen, Multifunktions- und Veranstaltungsräume. Insgesamt rechnet die Stadt mit einem Raumbedarf von knapp 7300 Quadratmetern für die "künstlerische und kulturelle Entfaltung" auf dem Gelände sowie Kosten von 44 Millionen Euro. Mit 20 Millionen will der Bund das Projekt - der Fachterminus der Kulturbürgermeisterin Julia Lehner (CSU) lautet "kulturelle Ermöglichungsräume" - bezuschussen.

Für einen ersten Eindruck hat die Stadt am Mittwoch in den Bau geladen, passenderweise an einem "sehr zapfigen" Tag, wie Oberbürgermeister Marcus König (CSU) formuliert. Dass das Gebäude mit seinen zum Teil hallenhohen Räumlichkeiten nicht leicht zu beheizen sein wird, auch das hat lange von Umnutz-Visionen abgehalten. "Für Beheizung und Stromversorgung", heißt es nun in einem Papier der Stadt, "sollen so weit wie möglich regenerative Energien und gegebenenfalls Fernwärme eingesetzt werden." Als es beim Ortstermin um grobe Einrichtungsdetails geht ("kein schöner Putz", "keine schönen Holzböden", "keine goldenen Waschbecken") ergänzt OB König launig: "Und es wird wärmer." Was sich in dem Moment angesichts von Raumtemperatur und Raumhöhe - das eine niedrig, das andere extrem hoch - ein wenig wie das Pfeifen im Wald anhört. Dass man sich an diesem frostigen Ort einiges vorgenommen hat, dürfte spätestens jetzt allen klar geworden sein.

Zumal es noch offene Fragen zuhauf gibt. So ist etwa der Zeitplan ambitioniert, immerhin soll bereits 2025 die Oper aufs ehemalige NS-Gelände im Stadtsüden ziehen. Idealerweise würden in diesem Jahr auch bildende Künstlerinnen und Künstler das Gebäude bevölkern, eine Baustelle wäre fürs Opernhaus abträglich. All dies sollte also Hand in Hand gehen, wofür aber nur noch gut zwei Jahre bleiben, inklusive konkretem Vergabeverfahren. Dieser Tage schauen die Stadtverantwortlichen bange nach Ansbach, wo die Regierung von Mittelfranken den neuen Stadthaushalt noch nicht genehmigt hat. Teil dieses Haushalts sind die Gesamtkosten für den Kulturort auf dem ehemaligen NS-Gelände, insgesamt rechnet die Stadt dort mit einer Investition von 211 Millionen Euro. Dass da etwas mehr Geschwindigkeit in Ansbach hilfreich wäre, verbirgt Nürnbergs Rathauschef hinter Galgenhumor. Es gebe derzeit eben "überall Arbeits- und Fachkräftemangel", sagt König. Nun eben offenbar auch bei der Regierung.

Wer in den Ateliers arbeiten darf, ist noch offen

Offen ist auch, wie darüber entschieden wird, wer überhaupt künftig in den Ateliers und Probenräumen arbeiten darf. Und wer dort gegebenenfalls kuratiert oder beaufsichtigt. Laut Hans-Joachim Wagner, Leiter der Stabsstelle ehemaliges Reichsparteitagsgelände, diskutiere man gerade unterschiedliche Organisationsformen. Womöglich gibt es eine künstlerische Leitung, womöglich einen Verein, eine Stiftung, eine gemeinnützige Gesellschaft, noch sei nichts entschieden. Die Frage gilt als alles andere als zweitrangig: Auf historisch maximal kontaminiertem Gelände dürften selbst der zeitgenössischen Kunst - samt provokanten Spielarten - gewisse Grenzen gesetzt sein.

Der nächste konkrete Schritt steht dagegen fest. Im "White Cube" - einem ersten Kunst-Raum - soll in den kommenden Monaten getestet werden, wie der spartenübergreifende Kulturort im NS-Hufeisen beim Publikum ankommt. Den Anfang macht der Fotograf Günter Derleth, der vom 1. April an seine Ausstellung "Camera Obscura" zeigt. Mit seiner Lochkamera hat er mehr als 50 Ateliers aus der Umgebung besucht, zu sehen sind seine Arbeiten sowie Werke der porträtierten Künstlerinnen und Künstler.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusMeinungOperninterim in Nürnberg
:Ein historischer Schritt - und fast alle Fragen offen

Nürnberg baut eine Oper in einen größenwahnsinnigen Bau der Nazis. Das ist mutig. Und man kann es auch gut begründen. Gleichwohl bleibt ein ungutes Gefühl ob der großen Einmütigkeit.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: