Amtsgericht Nürnberg:Klimaaktivisten wegen Nötigung zu Geldstrafen verurteilt

Amtsgericht Nürnberg: Den Prozess am Nürnberger Amtsgericht gegen vier Klimaaktivisten haben Protestierende vor dem Gebäude begleitet.

Den Prozess am Nürnberger Amtsgericht gegen vier Klimaaktivisten haben Protestierende vor dem Gebäude begleitet.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Die vier Männer und Frauen hatten sich auf dem Frankenschnellweg festgeklebt. Dutzende Klimaaktivisten demonstrieren vor dem Gerichtsgebäude.

Von Max Weinhold, Nürnberg

Im Prozess gegen vier Aktivisten der "Letzten Generation" sind am Mittwoch in Nürnberg die Urteile ergangen. Die Angeklagten wurden zu jeweils 40 Tagessätzen wegen Nötigung in mindestens 18 Fällen verurteilt. Sie müssen zwischen 400 und 2400 Euro zahlen. Die Aktivisten hatten im Februar 2022 den Verkehr an einer Autobahnabfahrt in Nürnberg mit Sitzblockaden aufgehalten. "Das Gericht hatte zu entscheiden, ob ein strafbares Verhalten vorliegt", sagt die Vorsitzende Richterin nach knapp vier Stunden Verhandlung in ihrer Begründung. "Man muss man Ihnen zugute halten, dass Sie das getan haben, damit die Klima-Krise bekämpft wird." Aber: "Der Zweck heiligt nicht die Mittel, in dem Fall ist die Grenze zur Strafbarkeit nach Ansicht des Gerichts überschritten."

Vor Beginn des Prozesses haben sich am Mittwochmorgen ungefähr 50 Klimaschutz-Aktivisten vor dem Nürnberger Amtsgericht versammelt. Der Himmel ist grau, die Kleidung vorwiegend bunt und die Stimmung: könnte deutlich schlechter sein. Erst geben die Aktivisten einen gurrenden Singsang von sich, dann gehen sie in Sprechchöre über. "Kli-ma schüt-zen ist kein Ver-bre-chen!", skandieren sie, was auch auf einem ihrer Banner steht. Sie bewegen sich, begleitet von Polizei und Presse, Richtung Eingang des Gerichts. "Achtet bitte darauf, dass der Radweg freibleibt", sagt eine Frau mit Mikrofon.

Die Aktivisten der "Letzten Generation", einer Untergruppierung von "Extinction Rebellion", wären freilich gar nicht erst hier, wenn sie am Morgen des 22. Februar 2022 genauso viel Rücksicht genommen hätten, gut 800 Meter entfernt vom Gericht. Die Staatsanwaltschaft wirft vier von ihnen (die Verhandlung gegen acht weitere Aktivisten steht noch aus) vor, sich mit je einer Hand an einer Autobahnabfahrt "festgeklebt und durch eine Sitzblockade erhebliche Beeinträchtigungen des morgendlichen Berufsverkehrs über die Dauer von etwa zwei Stunden ausgelöst zu haben".

Die Anklage lautet auf "gemeinschaftliche Nötigung in einem besonders schweren Fall in mindestens 18 tateinheitlichen Fällen". 18, das ist die Zahl der namentlich erfassten Personen, die im Stau standen. Das Ziel der Aktivisten laut Staatsanwaltschaft: eine Entkriminalisierung des sogenannten Containers durch die Bundesregierung. Beim Containern handelt sich um die in Deutschland verbotene Entnahme von entsorgten Lebensmitteln aus Containern, zum Beispiel in Supermärkten, um der Verschwendung von Essen entgegenzuwirken. Der Anwalt eines Angeklagten weist darauf hin, dass es den Aktivisten nicht nur um das Containern gegangen sei: "Nein, das Ziel dieser Aktion war deutlich weitergehend: die CO₂-Thematik insgesamt", sagt er.

Das Interesse an der Verhandlung ist groß. Das lässt sich unter anderem an der Zahl der gut 20 Aktivisten erahnen, die vor dem Verhandlungssaal warten müssen - kein Platz mehr. Die Verhandlung ist nicht die erste gegen Aktivisten von "Extinction Rebellion" und der "Letzten Generation". Aber: Es ist immer noch eine der ersten. Und der Ausgang ist offen, die Rechtsprechung nicht eindeutig: Einige Fälle endeten bisher mit Geldstrafen, andere mit Freispruch.

Im Nürnberger Fall fordert die Staatsanwaltschaft jeweils neun Monate Gefängnis auf Bewährung. Der Staatsanwalt hält den Angeklagten die Absicht vor, "den morgendlichen Berufsverkehr massiv zu stören". Gemeinsam mit acht weiteren Aktivisten hätte sie die Straße so blockiert, dass es Autos nicht mehr möglich war, die Stelle zu passieren, "ohne die auf der Fahrbahn befindlichen Personen zu überfahren". Auch hätten sie die Bildung einer Rettungsgasse unmöglich gemacht.

"Ich mache das nicht aus Spaß"

Viermal verliest der Staatsanwaltschaft die fast identische Anklage gegen die vier Aktivisten. Und viermal nehmen sie das fast ohne jede Regung hin. Einzig der leere Blick von Alexander B. wandert manchmal durch den Saal. In den Anklagen unterscheiden sich nur die Namen und die Uhrzeit, zu der die Aktivisten nicht mehr auf dem Asphalt klebten. "Es ist nicht unbedingt angenehm hier zu stehen", sagt Maja W., mit 24 Jahren die jüngste der Angeklagten. Aber, das sagt sie auch: "Ich bin mir bewusst, dass ich durch diese Form des Protests mit Strafverfolgung rechnen muss. Aber das ist nichts gegen Folgen der Klimakrise."

Genau wie Achim-Ralf Sch., 57, und Alexander B., 30, zuvor referiert W. davon, dass die Bundesregierung gegen die Verfassung verstoße. Und davon, was nötig wäre, um die "Klima-Katastrophe" abzuwenden. Es ist den Angeklagten wichtig, dass die Leute verstehen, warum sie zu Aktionen wie der Blockade greifen. "Es tut mir auch nach wie vor wirklich leid, die Menschen gestört zu haben. Ich möchte mich bei den Menschen entschuldigen, die im Stau standen. Aber ich mache das nicht aus Spaß", sagt W. und nennt die Aktion ein "legitimes Mittel, wenn alle anderen Methoden bereits ausgeschöpft sind".

"Es wäre kein Rettungsfahrzeug durchgekommen"

So sehen das auch die Mitangeklagten. Sch. und B. berichten von ihrem beruflichen Werdegang, der - so klingt es - unvermeidbar in der Aktion auf der Jansenbrücke mündete. B., sagt er, habe erwogen, in die Politik zu gehen. Aber da dauere es viel zu lange, bis man etwas bewirken könne. "Dann bin auf zivilen Ungehorsam gestoßen als effektive Weise für radikalen, aber gewaltfreien und friedlichen Protest." Letzteres betonen die Aktivisten immer wieder: die "Friedlichkeit" der Sitzblockade. "Wir versuchen alles, um niemanden zu gefährden", sagt B. und verweist auf "ein Konzept zur Bildung einer Rettungsgasse", das die Gruppe erstellt habe. Tatsächlich waren Aktivisten nur auf zwei von drei Fahrspuren festgeklebt, um im Notfall eine Durchfahrt zu ermöglichen. Auch ein Deeskalationsteam habe es gegeben, um den Autofahrern die Gründe für die Blockade zu erklären.

"Ist das Ganze insgesamt friedlich abgelaufen?", will denn auch die Vorsitzende Richterin von einem Polizeibeamten im Zeugenstand wissen. "Joa", sagt er und nickt. Allerdings bewertet er das mit der Rettungsgasse anders: "Es wäre kaum möglich gewesen, eine zu bilden, weil es keinen Standstreifen gibt und die Autos nicht ausweichen konnten", sagt er. "Es wäre kein Rettungsfahrzeug durchgekommen."

Die Vorsitzende Richterin verweist schließlich in ihrer Urteilsbegründung auch genau darauf, dass es "keinerlei Ausweichmöglichkeiten" gegeben habe. Dass die Aktion nicht angemeldet gewesen sei. Und, dass "eine Vielzahl von Personen betroffen war". Insbesondere das Festkleben habe zum Ziel gehabt, die Verkehrsteilnehmer länger aufzuhalten, erklärt sie. Den entscheidenden Tatbestand der Verwerflichkeit sieht sie als gegeben an. Die Aktivisten kündigen ein paar Minuten später bereits an, Berufung einlegen zu wollen.

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