Nürnberg:Nachbarschaft der Gegensätze

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Ein Ort für alle? Der Jamnitzerplatz im hippen Nürnberg-Gostenhof soll demnächst saniert werden. (Foto: Clara Lipkowski)

Diesen Samstag wollen Linksautonome auf dem Jamnitzerplatz gegen die Polizei demonstrieren. Ein Ort, an dem Punks auf Familien, Aktivisten auf Ordnungshüter, Gourmets auf Ex-Häftlinge treffen. Eine Erkundung.

Von Clara Lipkowski

Gerade einmal 208 Schritte sind es am Jamnitzerplatz in Nürnberg von einer Welt zur nächsten. In kaum 200 Metern gelangt man von Linksautonomen, die sich in einem Eckhaus in der "Schwarzen Katze" treffen, Demos organisieren und Diskussionsabende abhalten, zum Gourmetrestaurant mit Michelinstern, Sechs-Gänge-Menü für 130 Euro, und bretonischen Langostinos zur Vorspeise. Die zwei Orte könnten kaum besser sinnbildlich dafür stehen, was diesen Teil von Nürnberg, der Jamnitzerplatz, mitten im hippen Gostenhof, seit vielen Jahren ausmacht: die Schwierigkeit, Gegensätze irgendwie zu vereinen. Oder zumindest: koexistieren zu lassen.

Der eckig angelegte Platz, meistens nur "Jamnitzer", manchmal auch "Jammi" genannt, ist beliebt und vor allem im Sommer sehr belebt - durch jugendliche Basketballspieler, Familien, Punks, Obdachlose und etliche mehr. Es gibt dicht bewachsene Laubengänge, die mitunter, je nach Licht, romantisch aussehen können. Der Ruf aber ist nicht der beste: In der Vergangenheit gab es Drogendelikte, manche Frauen nehmen lieber einen Umweg, weil sich Gruppen ausbreiten und keinen Platz machen, Linksautonome geraten mit der Polizei aneinander. Seither kontrollieren Einsatzkräfte auffällig oft. Die Kontrollen sind das eine, an diesem Samstag wollen Linksautonome gegen Polizeistaatlichkeit auf dem Platz demonstrieren.

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Der Ort aber erzählt viele Geschichten. Die von Frank Mackert etwa, Betreiber besagten Restaurants, für das er 2019 seinen ersten Michelin-Stern erhalten hat. Vor knapp 25 Jahren kam er an den Platz. Aus dem Viertel, Gostenhof, und vom Jamnitzer selbst kämen seine Gäste aber so gut wie gar nicht, sagt er. "Die gucken auf die Karte, sehen die Preise und gehen wieder." Ein Restaurant für Nürnberg - das ist das "Koch und Kellner" schon, aber eben keines für diesen Teil der Halbmillionenstadt, der zumindest straßenweise mit Berlin-Neukölln verglichen wird. Woanders eröffnen, klar, das habe er immer mal überlegt, sagt Mackert, sei dann aber er doch irgendwie hängen geblieben. Er sei gerne hier. Habe nie Probleme gehabt. Trotzdem: Tische auf den Platz stellen würde er nicht, wegen des Aufwands, aber auch wegen der Leute.

Gastronom Frank Mackert bewirtet in seinem Sternerestaurant Gäste aus vielen Teilen Nürnbergs, nur nicht aus der direkten Umgebung. (Foto: Clara Lipkowski)

Von jenen Leuten erzählt ein 52-Jähriger, der seit einem Vierteljahrhundert in der Nähe lebt, noch länger politisch im linksautonomen Spektrum aktiv ist und in der "Schwarzen Katze" ein- und ausgeht. Der Jamnitzer, sagt er, sei gerade auch für diejenigen, die kaum mehr Platz am gesellschaftlichen Rand hätten - Wohnungslose, arme, abhängige Menschen. Ständige Polizeikontrollen verunglimpften diese Menschen, kriminalisierten sie.

Und da wäre die Geschichte der Kindergärtnerin, die lieber mit den Kindern zu anderen Flächen geht, weil es da mehr Grün und Spielgeräte gibt und weniger Biertrinker morgens früh um halb acht.

Dass der Ort baulich in keinem guten Zustand ist, darüber sind sich dort alle einig - der Gastronom sagt dazu "Betonwüste", und auch der zuständige Dritte Bürgermeister Christian Vogel (SPD) spricht von einer Herausforderung, "weil der Platz die größten Unterschiede miteinander verbinden muss", um ein Ort für alle zu bleiben.

Der Platz soll schöner werden, kranke Bäume sollen weichen

In den 1980er-Jahren hatte die Stadt den Platz angelegt, Namensgeber sind die Nürnberger Goldschmiede Wenzel und Christoph Jamnitzer. Ein großer Teil der knapp 9000 Quadratmeter ist versiegelt. Der zentrale Brunnen im Karree ist schon länger stillgelegt und der Rasen ist im Sommer eher verdörrt als einladend. Helfen soll nun eine Sanierung, für die Stadt, Land und Bund mehr als zwei Millionen Euro in die Hand nehmen: Für mehr Grün, mehr Spiel-Platz für Kinder, Wasserfontänen und eine öffentliche Toilette, weil bisher oft wild uriniert wird.

Im Februar sollen erste, kranke Bäume weichen. Bei manchen wirft das die Frage auf, ob nicht nur verschönert, sondern auch aufgewertet werden soll: Je schöner es dort wird, desto mehr Miete kann verlangt werden. Und desto mehr Mittellosen könnte Verdrängung drohen, fürchtet eine Aktivistin der Initiative "Mietenwahnsinn stoppen". Andererseits: Was wäre die Alternative? Das Thema Gentrifizierung hängt wie ein Damoklesschwert über dem Platz. Und zeigt sich auch ziemlich plastisch: An einer Seite stehen luxussanierter Altbau, Neubau-Chic mit bodentiefen Fenstern und ein etwas heruntergekommenes Haus mit Sozialpensionen für ehemalige Häftlinge und Wohnungslose direkt nebeneinander.

Der Jamnitzerplatz, das sind aber auch Beschwerden von Anwohnerinnen und Anwohnern über nächtliche Ruhestörung durch Feiernde auf dem Platz und das alte Argument, dass man nicht in die Innenstadtnähe ziehen und gleichzeitig erwarten könne, dass abends um zehn die Bürgersteige hochgeklappt würden. Vor allem im Sommer rückt die Polizei deswegen häufig an. Immer mal wieder eskaliert es auch am Jamnitzer. Einmal, im Sommer 2019, entzündete eine Gruppe junger Leute, unter ihnen auch Autonome, im Brunnen ein Feuer. Etwa 200 Menschen versammelten sich darum, festgehalten auf einem Video, das im Netz zu finden ist. Anwohnerinnen und Anwohner kritisierten unhaltbare Zustände und zu zögerliches Vorgehen der Polizei. Die sprach von kontrolliertem Abbrennen. Und dann ist da noch die Sommernacht kurz vorher.

Einsatzkräfte waren mal wieder wegen Ruhestörung angerückt. Daraufhin kamen aus Richtung der "Schwarzen Katze" etwa 60 Menschen auf sie zu. Unter Rufen, sie sollten sich "verpissen", und offenbar auch Versuchen, sie einzukesseln, vertrieb die Menge die Polizei. Die linke Szene sei die ständigen Schikanen leid gewesen, hieß es nachher. Auch wenn die verschiedenen Gruppen betonen, der Platz sei für alle da - in welchem Maße das tatsächlich gilt, ist noch nicht ausgefochten.

Der Fall landete vor Gericht und endete für zwei Männer mit Haftstrafen. Sie legten Berufung ein, kommende Woche wird der Fall vor Gericht neu aufgerollt. Anlass für die Unterstützer an diesem Samstag gegen "Polizeistaatlichkeit" zu demonstrieren. Natürlich auf dem Jamnitzer.

© SZ vom 30.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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