Bayerische Geschichte:Das Henkerhaus von Nürnberg

Sonne in Nürnberg

Postkartenidyll mit Fröstelfaktor: Das Henkerhaus liegt zwischen Henkersteg und dem Weinstadel in der Nürnberger Altstadt.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Der Scharfrichter Franz Schmidt hatte Muße und die notwendige Buchstabenfertigkeit, um ein Tagebuch über sein Tun zu führen. In Nürnberg kann man in sein Wirken eintauchen - und braucht dafür starke Nerven.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Unter einem sehr speziellen Blickwinkel trug Franz Schmidt - der posthum wohl berüchtigtste Scharfrichter des alten Reiches - sogar humane Züge. So jedenfalls wurde das in Nürnberg lange noch weitererzählt, während sich in jüngerer Zeit die Lesart durchgesetzt hat, dass sein vermeintlich menschenfreundlicher Einsatz gegen das Frauenversenken in der Pegnitz doch eher einer pragmatischen Überlegung geschuldet gewesen sein dürfte. Kindsmörderinnen waren von dieser Henkersmethode betroffen, die Pegnitz aber war flach, es bedurfte allerlei Aufwands, die Praktik galt als zeitintensiv. Und Schmidt war ja Vollprofi, Hunderte Menschen starben von seiner Hand, eigenen Aufzeichnungen zufolge.

Der Mann musste sich seine Kräfte also ordentlich einteilen. Was er davon gehalten hätte, dass er ex post nicht nur zum Paradebeispiel für Henkerstätigkeiten aller Art - sondern seine Nürnberger Dienstwohnung auch zur Touristenattraktion wurde? Man weiß es nicht. Jedenfalls zählt das Henkerhaus samt Henkersteg und Weinstadel nicht nur zu den Postkartenhotspots der Mittelaltermetropole.

Seit 2007 beherbergt das Haus auch mehrere Dokumentationsräume, die sich bei Stadtgästen schon deshalb hoher Beliebtheit erfreuen, weil man in dem alten Wehrgang über den Fluss bestrickende Bilder in Richtung Deutsches Museum hier, Kettenbrücke dort schießen kann, absolut instagrammable.

Wobei das - soeben auf den neuesten museologischen Stand gebrachte - Kleinmuseum eher durch seinen Namen Publikum auf der Suche nach dem Gruselzeitalter anlocken dürfte. "Henkerhaus" klingt nach musealem Frösteln, wer indes ganz konkretes mordtechnisches Werkzeug sehen will, "der muss nach Rothenburg ob der Tauber", sagt der Hausherr Bernd Windsheimer, Geschäftsführer des Vereins "Geschichte für Alle". Rothenburg hat sein überaus beliebtes "Kriminalmuseum", ausstellungstechnisch ist das eine ganz andere Hausnummer.

Bayerische Geschichte: Enthauptung war nur eine der praktizierten Hinrichtungsmethoden im Mittelalter. Andere Delinquenten wurden erhängt, gerädert, verbrannt oder ertränkt.

Enthauptung war nur eine der praktizierten Hinrichtungsmethoden im Mittelalter. Andere Delinquenten wurden erhängt, gerädert, verbrannt oder ertränkt.

(Foto: Olaf Przybilla)

Das Henkerhaus hat dafür seinen Franz Schmidt und damit jenen Mann, der Muße, Akribie und die notwendige Buchstabenfertigkeit mitbrachte, um ein untadeliges Henkerstagebuch über seine Profession zu führen - und es damit spätestens anderthalb Jahrhunderte nach seinem Ableben zu Ruhm brachte. Das literarische Zeitalter des Achim von Arnim und Clemens von Brentano war eben nicht nur süchtig nach der blauen Blume, auch die schwarze Romantik versprach reizvollen Zugang zur Seele. Und da boten die Annalen des F. Schmidt, dieses anerkannten Nürnberger Schinders und frühen Tod-Meisters aus Deutschland, allerlei dunkle Anknüpfungspunkte.

Zumal Meister Franz ja biografisch einigermaßen exkulpiert war. 1553 war sein Vater, ein Hofer Bürger, gezwungen worden, drei in ein Mordkomplott verwickelte Schurken hinzurichten, in Ermangelung eines professionellen Henkers. Der Mann war zuvor Forstarbeiter, komplett unbescholten - wurde aber durch die markgräflich veranlasste Umschulung gewissermaßen "unehrlich". An eine ehrbare Tätigkeit war fortan nicht mehr zu denken. Eine missliche Situation, die er wenigstens insofern zu lindern suchte, indem er einen konsequenten beruflichen Aufstieg hinlegte. Alsbald gelang ihm die Beförderung zum Scharfrichter über das gesamte vom Bamberger Fürstbischof beherrschte Hochstift, das war schon was. Dass sein Sohn diese eingeübte Profession fortführen würde - verstand sich.

Bayerische Geschichte: In einem Foltermuseum waren in Nürnberg noch lange Mordwerkzeuge zu sehen, etwa die Eiserne Jungfrau - auf Englisch: Iron Maiden. Das Henkerhaus verzichtet darauf.

In einem Foltermuseum waren in Nürnberg noch lange Mordwerkzeuge zu sehen, etwa die Eiserne Jungfrau - auf Englisch: Iron Maiden. Das Henkerhaus verzichtet darauf.

(Foto: Olaf Przybilla)

Heute würde man wohl von einer normalen Berufsbiografie sprechen, an eine Familientradition anknüpfend. Zumal in Nürnberg - mit dem aufgeklärten Großstadtflair des Mittelalters gesegnet - ein Henker deutlich weniger außerhalb der anerkannten Stadtgesellschaft stand als andernorts, sagt die Kuratorin Lena Prechsl. So blieb ihm Gelegenheit zur Reflexion. Ein klassisches "Ego-Dokument" ist sein Tagebuch zwar nicht, wie der einschlägige Franz-Schmidt-Forscher Joel F. Harrington einmal formuliert hat. Eher eine nüchterne Chronik des Hinrichtens. Aber fortführende Gedanken erlaubte sich der Profihenker eben schon. Mit der Notiz "Was du thus, bedenck das end" endet sein Tagebuch.

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