Nürnberg:Trauma-Fachstelle für Geflüchtete droht die Schließung

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Geflüchtete Menschen sind besonderen Belastungen ausgesetzt, das kann zu Traumata führen. Eine spezielle Betreuung kann helfen (Symbolbild).
Geflüchtete Menschen sind besonderen Belastungen ausgesetzt, das kann zu Traumata führen. Eine spezielle Betreuung kann helfen (Symbolbild). (Foto: SeventyFour/Imago)

Ausgerechnet nach Gewalttaten psychisch kranker Menschen mit Fluchtgeschichte steht eine der wenigen Einrichtungen zur Trauma-Früherkennung in Bayern vor dem Aus. Die Gründe.

Von Max Weinhold, Nürnberg

In der Diskussion um die Konsequenzen aus den Gewalttaten psychisch kranker Menschen mit Fluchtgeschichte standen einander zuletzt zwei Lösungsansätze gegenüber: eine restriktivere Migrationspolitik mit mehr Zurückweisungen und Abschiebungen auf der einen, eine Ausweitung der psychologischen Betreuung traumatisierter Geflüchteter auf der anderen Seite. Unabhängig von der Frage, ob man das eine nicht mit dem anderen verbinden könnte, ist festzuhalten: Anlaufstellen zur Früherkennung möglicher Gefahren durch Traumatisierte für sich selbst oder Mitmenschen gibt es in Bayern kaum. Und inmitten dieser Gemengelage droht bald eine der wenigen, die Trauma-Fachstelle in Nürnberg, zu schließen, weil der Stadt das Geld fehlt.

Angesiedelt ist die Trauma-Praxis bei der medizinischen Fachstelle für Flüchtlinge im Südosten der Stadt, wo diese nach ihrer Ankunft in Nürnberg einer allgemeinen Erstuntersuchung unterzogen werden, zu der das Asylgesetz die Kommunen verpflichtet. 1290 Patienten waren das in der Fachstelle im vergangenen Jahr, finanziert vom Sozialamt: unbegleitete minderjährige Geflüchtete, Neuankömmlinge aus dem mittelfränkischen „Anker“-Zentrum in Zirndorf und Menschen, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutschland kamen.

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Die Ärzte untersuchen sie dort auf verschiedene Krankheiten und nehmen überdies bei jedem Neuankömmling ein psychiatrisches Screening vor, das im Gegensatz zu der medizinischen Erstuntersuchung keine sogenannte Pflichtleistung ist. Das Screening zahlt die Stadt Nürnberg freiwillig, ebenso die Trauma-Stelle, bei deren Psychiatern im vergangenen Jahr 285 Patienten vorstellig wurden. Entweder in einem Notfall – oder eben gleich im Anschluss an das Screening, um es gar nicht erst zu einem Notfall kommen zu lassen.

Christina Leuthold ist Gynäkologin, bei der medizinischen Erstuntersuchung schaut die Leiterin der Fachstelle primär nach Krankheiten wie Krätze und Tuberkulose. Sie führt aber auch die psychiatrischen Screenings durch, stellt den Geflüchteten verschiedene Fragen. Wenn eine Antwort auffällig ausfalle, „versuchen wir, in die Tiefe zu gehen und herauszufinden, wie groß der Leidensdruck ist“, sagt Leuthold.

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In vielen Kulturen sei die psychische Belastung ein schambesetztes Thema, die Hürde „sehr hoch, von sich aus zu einem Psychiater zu gehen“. Wenn man die Menschen bereits bei der Erstuntersuchung anspreche, sei sie dagegen viel niedriger, zumal die weitere Behandlung am selben Ort stattfinde und bei Menschen, die die Betroffenen schon kannten und denen sie vertrauten. Erst am Vortag habe sie am Arm eines Mannes bei einer Röteln-Impfung schwere Verbrennungen entdeckt und ihn darauf angesprochen. Es habe sich herausgestellt, dass er wohl während eines Gefängnisaufenthaltes gefoltert worden sei. „Die Verbrennungen waren nicht übersehbar“, sagt Leuthold, aber in einer normalen Praxis hätten die Ärzte kaum Zeit gehabt, nachzufragen. Sie dagegen konnte den Mann gleich im Haus weitervermitteln. „Wir nehmen den Arztpraxen viel Arbeit ab“, sagt Leuthold.

Drei Psychiater und fünf Psychotherapeuten sind in der seit 2017 bestehenden Fachstelle abwechselnd vor Ort, sie therapieren Patienten einzeln und in Gruppen und können in akuten Fällen Medikamente verschreiben. Dienstags sind eine Erwachsenenpsychiaterin und eine Kinder- und Jugendpsychiaterin anwesend, Letztere auch als Ansprechpartnerin für Familienbetreuer, Sozialarbeiter und Schulpsychologen. Und mittwochs ist ein forensischer Psychiater zugegen. Dieser kümmert sich zusammen mit der Polizei und anderen Behörden auch um Menschen, die bereits auffällig geworden sind oder drohen auffällig zu werden, wie es auf der Internetseite des Gesundheitsamtes heißt.

Die Finanzierung läuft Ende des Jahres aus

„Das Angebot hat eine große Lücke geschlossen“, sagt Johanna Böhm vom bayerischen Flüchtlingsrat, sie lobt den „niedrigschwelligen Ansatz“ der Trauma-Fachstelle und erinnert sich an „diverse Fälle“, in denen diese geholfen habe. Zum Beispiel an die alleinerziehende Mutter mit ihren zwei Töchtern, alle traumatisiert durch Gewalt des Ex-Mannes und Vaters, besonders die kleine Tochter. „Wir waren verzweifelt, was wir machen können, haben bei der Fachstelle angerufen und sofort einen Notfalltermin bekommen“, sagt Böhm. Diese Schnelligkeit sei der große Vorteil gegenüber herkömmlichen Praxen. Leiterin Christina Leuthold verweist überdies auf das große Netzwerk an Dolmetschern, über das die Trauma-Stelle verfüge und das es Betroffenen leichter oder überhaupt erst möglich mache, über ihre Traumata zu sprechen.

Von einer „absolut notwendigen Einrichtung“ spricht Nürnbergs Gesundheitsreferentin Britta Walthelm (Grüne), das sähen viele Akteure so. Im vergangenen Jahr brachten Linke und Grüne im Gesundheitsausschuss der Stadt Anträge für einen Erhalt ein, vergangene Woche die SPD, es herrscht fraktionsübergreifende Einigkeit. Nur die Frage der Finanzierung bleibt.

Etwa 640 000 Euro kostete der Betrieb beider Fachstellen Walthelm zufolge im vergangenen Jahr, etwa 400 000 Euro davon entfielen auf die freiwilligen Leistungen. Eigentlich kein allzu großer Betrag für die zweitgrößte Stadt Bayerns. Aber Nürnberg muss in Zeiten klammer Kassen und teurer Großprojekte wie Oper- und Stadionneubau sparen, die Regierung von Mittelfranken forderte die Stadt bereits 2023 zu einer Konsolidierung ihres Haushaltes auf. Und davon ist auch die Fachstelle betroffen. Zwar verlängerte die Stadt deren Finanzierung um zwei Jahre. Ende 2025 läuft sie aber aus.

Um Mietkosten zu sparen, zog die Fachstelle vergangenes Jahr bereits in ein städtisches Gebäude. Trotzdem droht sowohl dem medizinischen als auch dem Trauma-Zweig das Aus, sollte der Stadtrat bei seinen Haushaltsberatungen anderen Projekten Priorität einräumen und sich nicht auf eine Weiterfinanzierung einigen.

Und schon jetzt macht sich die ungewisse Situation bemerkbar. Eine hauptamtliche Psychiater-Stelle sei ebenso vakant wie die einer Psychologin und weil die Zukunft der Einrichtung ungewiss sei, „brauchen wir auch gar nicht anzufangen zu suchen“, sagt Leiterin Leuthold. „Da wird sich keiner drauf bewerben.“ Zurzeit helfen sie sich deshalb mit Honorarärzten aus.

Denkbar wäre eine Förderung durch die Europäische Union

Jasmin Biesewanger, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Stadtratsfraktion, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Aynur Kir den Antrag im Gesundheitsausschuss gestellt hat, fordert daher, der Freistaat müsse „Verantwortung übernehmen“ und mit der Stadt „eine nachhaltige Finanzierungslösung für diese unverzichtbare Einrichtung“ finden. Die Fachstelle trage zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei, gesunde Menschen könnten sich besser integrieren, schneller Deutsch lernen oder arbeiten.

Allerdings habe, sagt Gesundheitsreferentin Walthelm, Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) einem Hilfegesuch von Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) bereits eine Absage erteilt. Eine Anfrage an das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge laufe noch. Denkbar wäre auch eine Förderung durch die Europäische Union. Aber, sagt Christina Leuthold, „dafür bräuchten wir einen Mitarbeiter nur zur Bearbeitung der Anträge“.

Als langfristige Lösung schlägt sie eine Anpassung des Asylgesetzes vor, die ein psychiatrisches Screening und die Trauma-Behandlung ebenso zur einer Pflichtleistung machen würden wie die anderer Leiden. „Vor Krätze brauchen wir uns nicht mehr zu fürchten. Die Tuberkulose ist schlimm, aber behandelbar“, sagt Leuthold. „Eine nicht behandelte psychiatrische Erkrankung kann gefährlich werden – sowohl für den Patienten als auch für andere.“

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