Bewerbung als Kulturhauptstadt:Nürnberg, jetzt mal ehrlich

Nürnberg: Reichsparteitags-Gelände der Nationalsozialisten

Mahnmal oder Touristenziel? Das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg wird für mehr als 80 Millionen Euro saniert. Eine Wiener Architektin hat dazu einige provozierende Thesen formuliert.

(Foto: Johannes Simon)
  • Nürnberg will Europäische Kulturhauptstadt 2025 werden. Hans-Joachim Wagner, Leiter des Bewerbungsbüros, will nicht nur das Gute anpreisen - sondern fragen, was die Stadt braucht.
  • Eine fundamentale Rolle spielen "Erinnerung, Erbe und Wandel". Nürnberg habe sich dem NS-Erbe gestellt und "zu einem aktiven Umgang mit der Geschichte" gefunden.
  • Dieser "Erinnerungsstolz" wird aber auch kritisiert. So habe es die Stadt nicht geschafft, einen zentralen Platz für das Gedenken an die drei NSU-Opfer zu finden.

Von Olaf Przybilla

Ins österreichische Bad Ischl kommen Sommerfrischler gemeinhin, um Kaiser Franz Joseph I. und seiner Gemahlin Sisi die Aufwartung zu machen. Im Fremdenverkehrsbüro wird man da allerlei Handreichungen erwarten dürfen über das segensreiche Wirken der Habsburgerkaiser in ihren Sommermonaten. Die gibt es dort auch, keine Sorge. Es liegt dort jedoch auch ein Heftchen aus, das sich als "essenz, pre-selection 2018" zu erkennen gibt. Es geht, so erfährt man beim Hineinblättern, um die Bewerbung des österreichischen Kurorts als Kulturhauptstadt Europas 2024. Eigenwerbung würde man da erwarten.

Ist es dann auch. Aber Bad Ischl schont sich auch nicht. Schon der siebte Satz des Heftchens liest sich so: "Wir stehen an der Kippe, als Region, die zwar bekannt ist, die aber nur wenige wirklich kennen, zum touristischen Sport- und Freizeit-Disneyland zu werden." Der Tourismus beeinträchtige die Lebensqualität der Einwohner. Zwar habe die Tradition im Salzkammergut Tiefe und Bedeutung, gewiss. Sie werde aber auch als "folkloristisches Event" verkauft. Gleichzeitig leide man unter der Landflucht der gut Qualifizierten. Und es fehle an Mobilität, zeitgemäßer Wohn- und Baukultur und konsumfreien Räumen.

So steht das alles in der ersten Spalte dieser Essenz einer Bewerbung. Ein ziemlicher Selbstverriss, könnte man sagen.

Hans-Joachim Wagner, Kurator und Kulturmanager aus Nordrhein-Westfalen, leitet seit anderthalb Jahren das Bewerbungsbüro Nürnbergs. 2025, ein Jahr also nach Ischl, will die Kommune Kulturhauptstadt werden. Eine seiner Hauptaufgaben, sagt Wagner, sehe er darin, allen klar zu machen, dass es bei so einer Bewerbung nicht in erster Linie darum gehe, das Gute und Schöne anzupreisen. Vielmehr müsse man auch fragen, was eine Stadt dringend mal brauche. Es geht also, im Jargon von Kulturmanagern, um die "Needs".

Um das in Nürnberg unters Volk zu bringen, scheint sich Wagner von Anfang an für den Weg einer pädagogischen Rosskur entschieden zu haben. Neun Monate war er ihm Amt, da ließ er die Stadt via Süddeutscher Zeitung an allerlei Eindrücken eines Nicht-Einheimischen teilhaben. Die kommunalen Museen? Nürnberg müsse sich fragen, ob die noch "dem aktuellen Stand" entsprächen. Um ihre Künstler habe sich die Stadt zu wenig gekümmert. Proberäume, Ateliersituation? Es gebe in der Stadt "keine hinreichend tragfähige Struktur für die Produktion von Kunst". Natürlich, man habe die Akademie der Bildenden Künste. Nur sei die "in der Stadt kaum sichtbar". Und überhaupt: "Nürnberg ist an vielen Stellen nicht Avantgarde."

Abgesprochen mit der Stadtregierung war das nicht. Reaktionen? Nun ja, ausgiebig gefeiert wurde er nicht, sagt Wagner. Einer aus der Stadtspitze fühlte sich anzumerken genötigt, Nürnberg sei doch keine hässliche Hexe, eher ein Dornröschen zum Wachküssen. Ein anderer raunte ihm zu: "Endlich sagt's mal einer." Wagner nahm beides zur Kenntnis. Und machte weiter.

Es gibt ein Papier aus dem Bewerbungsbüro, das sich nach tiefschürfenden Erörterungen zu einem Fazit aufschwingt, das man nicht schmeichelhaft finden muss: "Nürnberg strukturiert sich über einen Diskurs des Miteinanders und des Ausgleichs. Diesem positiven Befund steht eine Überregulierung gegenüber, die oftmals eine progressive, in die Zukunft gerichtete Entscheidungsfindung verhindert. Provinzialität und Biederkeit sind die Kehrseite." Und auch das findet sich in der Bestandsaufnahme an herausgehobener Stelle: "Die kommunale Kultur orientiert sich an den in den Sechzigerjahren entwickelten Ideen der Soziokultur, die dringend einer Neubestimmung bedürfen. Nürnberg ist kein Hotspot der Kunstszenen, und ist auch hier keine Avantgarde."

Nun könnte man das öde, mindestens durchschaubar finden: Ein Kulturmanager wird "von außen" engagiert, knüpft sich eine Stadt vor, findet das eine provinziell, das andere bieder, und nach ein paar Jahren ist der Mann wieder weg und die Stadt darf sich für ihren Mut zur Selbstgeißelung feiern lassen. So trivial aber liegen die Dinge offenkundig nicht - was sich am Umgang Nürnbergs mit dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände zeigen lässt.

"Erinnerungsstolz": Einerseits begrüßenswert, andererseits problematisch

In der Bewerbung der Stadt für 2025 spielen "Erinnerung, Erbe und Wandel" eine fundamentale Rolle. Nürnberg, so betont es die Stadt immer wieder, habe sich dem NS-Erbe gestellt und "zu einem aktiven Umgang mit der Geschichte" gefunden. Dazu zähle nicht zuletzt die "bauliche Sicherung" der Zeppelintribüne. Trittfest soll diese sein, vor dem Verfall gerettet werden für mehr als 80 Millionen Euro.

Das alles gehört zum Selbstverständnis der Stadt, ist etwas, womit man glaubt, für sich einnehmen zu können. Genau das aber wird nun hinterfragt. Und zwar - Krone der Diskursivität, könnte man sagen - in einem Magazin, das sich mit der Kulturhauptstadtbewerbung auseinandersetzt und pikanterweise vom Bewerbungsbüro finanziert und mitherausgegeben wird. Die Architektin Inge Manka, Dozentin an der TU Wien, beschreibt darin, wie das öffentliche Erinnern an die NS-Vergangenheit längst "nicht mehr nur Wagnis ist, sondern inzwischen durchaus Prestige einträgt".

Zu beobachten sei gar eine Art "Erinnerungsstolz". Der sei begrüßenswert, einerseits. Andererseits problematisch. Das Gedenken werde zum belanglosen Geständnis ohne Risiko: "Sich der eigenen NS-Vergangenheit zu stellen und dies auch öffentlich sichtbar zu machen, birgt nun keine (vermeintliche) Gefahr mehr in sich. Im Gegenteil: Es wird zu einem Alleinstellungsmerkmal, wie hier im Wettbewerb um die Kulturhauptstadt." Manka fragt, was es bedeute, die Zeppelintribüne in eine Art "perfekten Idealzustand" zu versetzen. Und ob so eine Instandsetzung "nicht eher einer Imagepolitur" diene - die den NS-Bau zudem "erst so richtig als touristische Attraktion nutzbar" mache.

Das ist keine Selbstkritikfolklore. Das geht an die Substanz der Stadt. Manka ist in Nürnberg aufgewachsen, seit mehr als 30 Jahren lebt sie in Wien. Aus der Entfernung, sagt sie, sehe man manches womöglich präziser. Sie habe sich bemüht, nicht übers Ziel hinauszuschießen. Aber benennen wolle sie die Dinge eben schon. Auch etwa, dass diese so erinnerungsstolze Stadt es nicht fertiggebracht habe, einen zentralen Platz für das Gedenken an die drei NSU-Opfer aus Nürnberg zu finden - einen Ort, der Passanten tatsächlich mit dem rechten Terror konfrontiert hätte.

Maren Zimmermann ist eine der Initiatorinnen und Herausgeberinnen des Magazins. Gemeinsam mit Mitstreitern aus der Kunstakademie hatte sie der Stadt die grundsätzlichen Pläne für ein solches Magazin vorgestellt. Die Stadt sicherte zu, das Projekt zu finanzieren. "In die Inhalte des Heftes eingegriffen wurde nicht", sagt Zimmermann. Man plane übrigens auch nicht, es bei dieser ersten Ausgabe zu belassen.

Einmal, sagt Bewerbungsbürochef Wagner, habe man aber doch gezuckt. Das Magazin, in dessen Impressum immerhin "Bewerbungsbüro Kulturhauptstadt" steht, trägt den Titel "rollator": eine Gehhilfe für in die Jahre Gekommene. Die Magazinmacher haben sich am Ende durchgesetzt, trotz leiser Nachfragen. Der Inhalt? "Damit kann ich sehr gut leben", sagt Wagner.

Als er im November 2017 als Bürochef vorgestellt wurde, ging Wagner noch der Satz über die Lippen: "Für Nürnberg gibt es keine Konkurrenz." Inzwischen ist klar, dass es Nürnberg als einziger bayerischer Bewerber mit insgesamt sieben Konkurrenten zu tun bekommen wird: Magdeburg, Gera, Hannover und Hildesheim sowie Chemnitz, Dresden und Zittau. Wagner weiß, dass sie zumindest in Sachsen deutlich weiter sind, was Finanzierungszusagen durch das Land betrifft. Für Nürnberg gibt es keine Konkurrenz? Das hört man so momentan nicht mehr. Bis zum 30. September, bis zur Veröffentlichung des Bewerbungsbuchs, werde man "noch einige Hürden zu nehmen" haben, sagt Wagner. Nur eines dürfte schon sicher sein: Am Mut, die Schwächen Nürnbergs zu benennen, wird es kaum scheitern.

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