Nürnberg:Einsamkeit betrifft Menschen jeden Alters

Auf der Messe ConSozial will Ministerin Kerstin Schreyer das Augenmerk auf ein gesellschaftlich relevantes, aber unterschätztes Problem richten

Von Dietrich Mittler, Nürnberg

Armut ist das Thema, das nahezu auf jeder ConSozial auftaucht. Doch dieses Mal setzte Bayerns Sozialministerin Kerstin Schreyer (CSU) alles daran, das Thema Armut um einen Aspekt zu erweitern: die Einsamkeit. "Es ist zu kurz gesprungen, sich nur um die finanzielle Armut zu kümmern, wir haben auch eine seelische und eine soziale Armut", hatte die Ministerin bereits im Juli programmatisch verkündet. Diese Botschaft stand nun am Mittwoch auch im Mittelpunkt von Schreyers Eröffnungsrede zur 21. ConSozial - zum Teil wortwörtlich wiederholt.

In Nürnberg hatte die Ministerin dieses Mal allerdings weitaus mehr Menschen vor sich, die ihr zuhörten. Die ConSozial gilt als die größte Sozialmesse im deutschsprachigen Raum, und in diesem Jahr werden wieder rund 6000 Besucher erwartet. "Ich schiebe gerne an, und manche Themen muss man einfach setzen", sagte Schreyer. Dazu gehöre eindeutig die Einsamkeit, betonte die Ministerin noch kurz vor ihrem Messerundgang.

Oft werde der Begriff Einsamkeit mit alten Menschen verbunden, teilten unterdessen Schreyers Mitarbeiter mit. Tatsächlich deuten die Zahlen darauf hin, dass die Jungen nicht minder betroffen sind. Demnach fühlen sich 40 Prozent der 16- bis 24-Jährigen "oft einsam". Bei den Befragten im Alter zwischen 25 und 34 Jahren - alle leben ohne festen Partner - haben immerhin noch 31 Prozent angegeben, sich einsam zu fühlen. Die Psychologin Dagmar Unz, Professorin an der Hochschule für angewandte Wissenschaften Würzburg-Schweinfurt, verschafft sich gerade im Auftrag des Sozialministeriums ein Bild über den Forschungsstand zum Thema Einsamkeit. Es gebe auch eine "chronische Einsamkeit", also eine, die bereits seit Jahren Probleme bereite, sagte sie. Und dagegen gelte es entschlossen vorzugehen. Wie genau, das soll Unz noch herausfinden. Der erste Teil ihrer Studie wird zum Ende dieses Jahres erwartet. Dann erst gelte es, Gegenmaßnahmen gegen die Einsamkeit zusammenzutragen. Schreyer erklärte, dass es ihr nicht auf einen Schnellschuss ankomme, ihr Haus werde die Ergebnisse abwarten und dann handeln. "Politik ist manchmal zu hektisch", sagte die Ministerin auf Nachfrage. Gerade im Sozialbereich müsse man auch "den Mut zur Langsamkeit" haben. Aber klar sei wohl allen: Einsamkeit lasse sich nicht per Landtagsbeschluss aufheben. "Jeder Einzelne von uns ist hier gefordert", sagte Schreyer.

Einsame Menschen, auf der ConSozial sind sie unter den Tausenden Besuchern nicht auszumachen. Evi Gerhard aus Würzburg vielleicht? Die Mittvierzigerin im Rollstuhl hat gerade vor Freude aufgelacht. Beim Gewinnspiel hat sie eine Grußkarte gewonnen. Evi Gerhard, wohl eher kein Fall von Einsamkeit. "Ich tue halt alles, dass es nicht so ist. Ich bin nicht geboren, um im Glaskasten zu sitzen", sagte sie. Aber als Mensch mit Behinderung würden einem oft Steine in den Weg gelegt - wortwörtlich zum Teil: Bauliche Barrieren behinderten soziale Kontakte. "Manchmal wird man auch einsam gemacht", sagte sie.

Die Sozialpädagogin Patricia Hoffmann, tätig in der Evangelischen Jugendhilfe, hat indes beruflich viel mit einsamen Menschen zu tun. "Diese jungen Menschen sind in sich selbst gefangen", sagte sie. Seelische Erkrankung sei ein Aspekt, der bei Erörterungen zum Thema Einsamkeit nicht vergessen werden dürfe. Oft geschehe es hierbei, dass sich die Familie oder die Freunde von den Betroffenen abwendeten. Von der Politik erwartet sie, dass die "mehr Angebote für die Betroffenen" sicherstellt.

Hoffmanns Worte gingen im Lärm der Messe unter, die Ministerin war ohnehin viele Stände weiter zugange. Eine ihrer Thesen: "Armut und Einsamkeit hängen nicht nur vom Geld ab." Ulrike Mascher, die Landesvorsitzende des VdK Bayern, hebt da die Augenbrauen: So gut es sei, sich dem Problem Einsamkeit zuzuwenden, so wenig dürfe man das Problem Altersarmut verdrängen. Gerda Hasselfeldt, die Stimme der Wohlfahrtsverbände in Deutschland, warnte indes: Einsamkeit sei wie eine Krankheit. Um diese zu bekämpfen, brauche es aber nicht gleich ein eigenes Ministerium, wie dies etwa die Briten eingerichtet haben.

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