Süddeutsche Zeitung

Doppelmord-Prozess in Nürnberg:Schüsse auf offener Straße

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Ein Mann räumt vor Gericht ein, seine Frau und einen Taxifahrer in Nürnberg-Gebersdorf getötet zu haben. Über die Gründe für die Schüsse gehen die Schilderungen von Anklage und Verteidigung jedoch weit auseinander.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Was da vor seinem Nachbarhaus in Nürnberg-Gebersdorf passiert ist vor fast exakt zwei Jahren, daran kann sich der Augenzeuge noch gut erinnern. Er hatte an einem Samstagvormittag ein Paket zur Post gebracht, als er auf dem Rückweg seine Nachbarin sah. Ihr gegenüber stand ihr Ehemann Ibrahim D., den der Zeuge in fünf Jahren Nachbarschaft nur selten zu Gesicht bekommen hatte, die Eheleute lebten getrennt voneinander. Die beiden waren in ein Gespräch verwickelt, auf den Gruß des Nachbarn reagierten sie kaum. Dass sich seine Nachbarin von ihrem Mann wegdrehte, das hat der Zeuge noch gesehen; und danach beobachtet, wie D. eine Pistole zückte und seiner Frau im Weggehen in den Kopf schoss.

Bei den wenigen Begegnungen habe D. zuvor immer einen "netten, zuvorkommenden, höflichen" Eindruck gemacht, so schildert es der Zeuge im Strafjustizzentrum Nürnberg; weshalb er an eine "Schreckschusswaffe" geglaubt habe, im ersten Augenblick. Was sich aber schnell als Fehlannahme herausstellen sollte. Der Zeuge beobachtete, wie sich D. nach dem ersten Schuss auf die Frau umdrehte, zum Taxi ging, mit dem er sich zum Haus seiner Frau hatte chauffieren lassen, und mit der Pistole auf den noch im Wagen sitzenden Taxifahrer schoss. Er traf ihn zweimal in den Kopf. Danach sah der Zeuge, wie D. erneut auf seine am Boden liegende Frau schoss. Dies nun vor den Augen des gemeinsamen Sohnes, der inzwischen aus dem Haus getreten war und schockiert auf seinen Vater einwirkte. Viel verstand der Zeuge nicht, es sei Türkisch gesprochen worden.

Wegen zweifachen Mordes muss sich D. seit Montag am Landgericht Nürnberg-Fürth verantworten. Sagen will er nichts, sein Verteidiger kündigt an, der 67-jährige Schlosser werde im Prozess keine Fragen beantworten. Nur eine Angabe will D. - grauer Pulli, kahlgeschorener Kopf, Fußfesseln - machen in diesem Verfahren. Dass nämlich die Angaben seines Verteidigers korrekt seien. Dieser gibt an, D. räume ein, seine 63-jährige Ehefrau und einen 62-jährigen Taxifahrer getötet zu haben. So wie es die Staatsanwaltschaft angeklagt hat. Über die Gründe für die Schüsse freilich gehen die Schilderungen von Anklage und Verteidigung weit auseinander.

Zur Frau habe er "keine emotionale Bindung" mehr gehabt

Was nicht bestritten wird von Ibrahim D.: Tatsächlich soll er am Einkaufszentrum Röthenbach in das Taxi des 62-Jährigen gestiegen sein, den er seit vielen Jahren kannte. Von ihm ließ er sich zu seiner Frau nach Gebersdorf fahren, sprach auf dem Weg über Nebensächlichkeiten, meldete am Handy seiner Noch-Ehefrau sein Kommen an und bat sie vor die Tür.

Zu seiner Frau habe Ibrahim D. "keine emotionale Bindung" mehr gehabt, erklärt sein Verteidiger. Verbunden sei er aber schon noch gewesen mit ihr, immerhin habe er bei ihr - einer Taxiunternehmerin - auf 450-Euro-Basis mitgearbeitet. Dass ein langjähriger Bekannter, der 62-jährige Taxifahrer, seine Frau angeblich "finanziell über den Tisch" habe ziehen wollen, habe ihn umgetrieben. So sei er bei diesem ins Taxi gestiegen und habe eine Pistole mitgenommen, um sich im Notfall wehren zu können. Vor dem Haus seiner Ehefrau sei es dann zum zunächst verbalen Streit gekommen, D. habe sich gedemütigt gefühlt und sei in Rage darüber geraten, dass seine Frau zu dem anderen Mann gehalten habe. Da habe er sich nicht mehr "beherrschen" können. Er werde die ihm auferlegte Strafe akzeptieren und bitte um Entschuldigung, vor allem bei seinen Söhnen.

Der Staatsanwalt geht von ganz anderen Gründen aus. Ibrahim D. sei ohne Grund eifersüchtig auf seine Frau gewesen, der er zu Unrecht eine Beziehung mit dem 62-Jährigen unterstellt habe. Aufgrund seines "traditionalistischen Werteverständnisses" habe er geglaubt, die vermeintliche "Herabsetzung" nur durch Töten "wiederherstellen" zu können. Als seine Frau ihn aufgefordert habe, sie nicht zu beleidigen, habe er sie erschossen. Ein psychiatrischer Gutachter sagt am ersten Verhandlungstag aus, D. habe seine Frau in Untersuchungen als "Hure" bezeichnet. Ein Urteil wird im Januar erwartet.

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