Nürnberg:Die Wirtschaftsbosse des Mittelalters

Städtisches Leben pulsierte in Nürnberg früher und bunter als in der späteren Landeshauptstadt. Die Patrizier waren dabei die dominierenden Kräfte. Eine Ausstellung zeigt, wie viel Idealismus nötig war, um das Familienschloss der Tucher nach dem Krieg wiederaufzubauen. Bekannt wurden sie aber für anderes: für ihr Bier

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Wer wissen will, wie die Patrizier einst gelebt haben, der dürfte das kaum woanders besser erleben können als im Tucherschlösschen in Nürnberg. Trotzdem gilt das Haus als "Kleinod", was ja nicht selten als Umschreibung dafür herhalten muss, dass etwas schön und zu begrüßen ist, grundsätzlich. Dass der Grad an Zuwendung und Resonanz aber ausbaufähig wäre. Auf das Tucherschlösschen trifft das genau so zu, wenn sich auch die 30 000 Besucher pro Jahr gar nicht übel anhören mögen. Die Zahl aber muss man relativieren: Das Schloss liegt mitten in der Stadt, zur Universität läuft man von dort kaum eine Minute, zur Kaiserburg keine fünf. Und ein erheblicher Teil der Besucher kommt nicht etwa, um sich grundlegend darüber zu informieren, wie eine der maßgeblichen Familien des, jawohl, im Alten Reich überaus berühmten Nürnberger Patriziats gelebt hat. Sie kommen aus einem ganz anderen Grund: Im Hirsvogelsaal, im Gärtchen vor dem Schloss gelegen, heiratet es sich äußerst kommod.

Im Schloss ist jetzt eine Ausstellung zu sehen, wie lange es gedauert hat, bis das Tucherschloss nach dem verheerenden 2. Januar 1945 wieder aufgebaut wurde. Ehe beschrieben wird, was da zum Glück wieder aufgebaut worden ist, dürfte es in diesem Fall hilfreich sein zu beschreiben, was das "Patriziat" überhaupt war. In Nürnberg gehört das zum Allgemeingut, in Augsburg ebenfalls, aus diesen beiden Städten stammten im späten Mittelalter die berühmtesten Patrizier-Dynastien des gesamten Heiligen Reiches. In anderen bayerischen Städten, vor allem in den ehemals von Fürsten oder Fürstbischöfen regierten Residenzstädten, dürfte man das Patriziat eher für eine Einrichtung des Römischen Reiches halten. Was natürlich auch stimmt, im alten Rom waren die Patrizier die Familien aus der gesellschaftlichen Oberschicht der Republik, ihre Auseinandersetzungen mit den Plebejern sind legendär. Während sich aber das Plebejische zumindest sprachlich konserviert hat, ist das Patrizische wohl eher noch in den ehemals freien Reichsstädten ein Begriff. Mindestens zwei der bedeutendsten Reichsstädte liegen in Bayern, Augsburg und Nürnberg, dort pulsierte das klassische "städtische Leben" deutlich früher und bunter als in der späteren Landeshauptstadt.

Das Familienmitglied Siegmund von Tucher kaufte das königliche Bräuhaus

Die Familie der Welser spielte hier wie dort eine maßgebliche Rolle, sie hatte Linien in Augsburg und Nürnberg. Noch berühmter als die Welser sind in Nürnberg nur die Tucher, was aber auch daran liegen mag, dass das Familienmitglied Siegmund von Tucher das königliche Bräuhaus, das vormalige reichstädtische Weizenbräuhaus, erwarb und die Tuchersche Brauerei gründete. Einen Tag in Nürnberg zu verbringen, ohne den Schriftzug der Tucher vor Augen gehabt zu haben, gelingt heute nur Geübten: Die Brauerei dieses Namens beherrscht die Lokale der Stadt.

Wobei der stadtprägende Brauerei-Ankauf Siegmunds aufs Jahr 1855 datiert ist, die beste Zeit der Nürnberger Patrizier aber ins Mittelalter und in die Frühe Neuzeit fällt. Seit dem 14. Jahrhundert machten die Tuchers von sich reden, sie trieben vor allem Gewürzhandel in halb Europa und stiegen als Wirtschaftsbürger in den Kreis derer auf, die in einer freien Reichsstadt die kommunalen Geschicke lenkten. Eben keine Fürsten wie in Bayreuth oder Ansbach, auch keine Bischöfe wie in Bamberg oder Würzburg und schon gar nicht der gelegentlich auf der Durchreise übernachtende Kaiser bildeten das Machtzentrum Nürnbergs - sondern die dominierenden Familien der Stadt. Ein erlesener Zirkel, die nobiles Norimbergenses, entsandte Vertreter in den Rat, wer dazugehörte, wurde mit dem Tanzstatut von 1521 endgültig festgeschrieben: exakt 42 Familien, eine Art Regierungskaste, der Stadtadel als frühes kommunales Selbstverwaltungsorgan. Später wurden diese auch formal dem Landadel gleichgestellt, die früheren Wirtschaftsbürger bekamen ein "von". Mit der Nobilitierung einher ging bei vielen Familien auch der Anfang vom Abstieg. Wie das eben so ist, wenn man's geschafft hat.

Das Schloss der edelsten der edlen Familien hat im Jahr 30 000 Besucher

Und dieses Schloss der edelsten der edlen Familien von Nürnberg, einer der Weltstädte des Mittelalters, besuchen nur etwa 30 000 Besucher im Jahr? Leicht erklärt: Wer etwa aus Würzburg ins viermal größere Nürnberg kommt, wer also die Würzburger Residenz und den Schlossgarten kennt - der wird im Angesicht dieses Sommerresidenzchens nur sagen können: Das soll ein Schloss sein? Ja, ist es. Nur eben aus den Mitteln einer aufstrebenden Familie erbaut, nicht mit dem eingetriebenen Geld prunksüchtiger Fürstbischöfe.

Die Ausstellung zeigt, wie verheerend sich der Luftangriff von 1945 auf das Patrizier-Schlösschen auswirkte, trotz aller Schutzmaßnahmen. Wie lange es anschließend in der Schwebe hing, ob diese nur notdürftig vor Regen geschützte Renaissance-Ruine überhaupt noch mal rekonstruiert werden kann. Wie sehr es eines passionierten Mannes bedurfte, Hans Christoph von Tucher, um das Haus aus privaten Mitteln wieder aufzubauen. Und wie tragisch es schließlich war, als dieses Mitglied der Tucher-Familie 1968 starb, kurz vor der Wiedereröffnung des Schlosses. Hans Christoph von Tucher war es nicht vergönnt, auch nur eine Nacht in dem wiederaufgebauten Tucherschlösschen zu übernachten. Es hätte sein Alterssitz werden sollen.

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