Glauben:Was der Deutsche Kirchentag für Nürnberg bringt

Hauptmarkt in Nürnberg

In der Herzkammer Nürnbergs, auf dem Hauptmarkt, wird die Bühne für den Eröffnungsgottesdienst aufgebaut.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

Es helfen nicht nur Schulen, sondern auch Privatleute mit Quartieren aus. Als Gastgeber des Glaubensfestes hat Günther Beckstein schon mal originelle Erfahrungen gemacht.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Günther Beckstein hat sich ein kindliches Kichern bewahrt, das man zu hören bekommt, wenn man ihn auf den Deutschen Evangelischen Kirchentag von 1979 anspricht. Der fand in Nürnberg statt, genauso wie der 38. Kirchentag, der an diesem Mittwoch beginnt. Für die Becksteins war es vor 44 Jahren Ehrensache, einer Kirchentagsbesucherin und ihrem Bub in Nürnberg-Langwasser ein privates Schlafgemach zu bieten. Hotelbetten waren nicht hinreichend vorhanden, also sprang man ein. Und natürlich war die Besucherin dankbar dafür, hielt mit ihrer Meinung gleichwohl nicht hinterm Berg. Wie Beckstein als junger protestantischer Christ einem Mann wie Franz Josef Strauß zur Seite stehen könne? Fand die Frau merkwürdig.

Die Geschichte geht noch weiter, Becksteins Gesicht gerät vor Amüsement leicht ins Zucken, wenn er davon erzählt. Natürlich habe er sich damals zu verteidigen versucht, damit etwa, dass er selbst - seiner Ansicht nach - zum eher liberalen Flügel der CSU gehöre. Andererseits waren derlei Anwürfe gerade in protestantischen Zirkeln so ungewöhnlich nicht, als dass Beckstein die Attacke für immer präsent gehabt hätte. Bis er kürzlich von einem amtierenden SPD-Bundesminister angesprochen wurde, ob er denn wisse, dass er - der Minister - schon mal bei den Becksteins zuhause genächtigt habe? Beckstein wusste nichts davon, nahm an, dass der Mann eines seiner Kinder kenne. Lag damit freilich falsch: Hubertus Heil war der Bub jener Strauß-skeptischen Mutter, der die Becksteins 1979 Kirchentags-Quartier geboten hatten.

Zum zweiten Mal findet das Kultur- und Glaubensfest in Nürnberg statt. Und mindestens in einem Punkt unterscheiden sich die beiden Kirchentage nicht: Wieder reichen die Hotelbetten nicht aus. Schon vor einigen Wochen meldeten die professionellen Quartiersanbieter nur noch "Restbestände", sagt Stadtsprecher Andreas Franke. Dasselbe Bild bietet sich in Fürth, wo ebenfalls Programmteile des fünftägigen Festivals stattfinden. Einspringen müssen also wieder Privatleute, eine Tradition dieser Treffen. Und auch die Kommunen müssen helfen: Allein 1500 Räume in insgesamt 40 Nürnberger Schulen stehen zur Verfügung, knapp 15 000 Teilnehmerinnen und Helfern will die Stadt eine Unterkunft bieten. "Eine logistische Riesenherausforderung", sagt Franke.

Mit insgesamt vier Millionen Euro beteiligt sich die Stadt an den Kosten des Kirchentags, worüber im Vorfeld einiger Unmut zu hören und zu lesen ist. Drei Millionen an Barmitteln, eine Million an Sachleistungen - das ist keine Kleinigkeit für eine chronisch klamme Stadt, die gerade mit Mühe und einschneidenden Eingriffen einen genehmigungsfähigen Haushalt hinbekommen hat. Zumal aktuelle Zahlen den historisch geprägten Eindruck relativieren, bei der Stadt handele es sich um ein schwer zu schleifendes Bollwerk evangelischen Glaubens. Im März 2023 gehörten von den 541 133 Nürnbergern gerade noch 22,1 Prozent der evangelischen Kirche an, Tendenz weiter fallend.

Zwar war Nürnberg historisch ganz vorne, als sich Großstädte im 16. Jahrhundert zur neuen Konfession bekannten - Nürnberg leuchte "wie eine Sonne unter Mond und Sternen", schwärmte Martin Luther. Auch kommt der Stadt bis heute eine Sonderrolle zu: Wenn ein neuer Landesbischof ins Amt eingeführt wird, findet das traditionell in der Lorenzkirche statt, die zusammen mit der Sebalduskirche die Silhouette der Stadt prägt. Gleichwohl hat das Bild von der heimlichen Hauptstadt des evangelischen Bayern gelitten: Wenn nur noch weniger als ein Viertel der Einwohner Mitglied sind, so lässt sich das Bild von der festen Burg des Protestantismus kaum aufrechterhalten. Oberbürgermeister Marcus König (CSU) hofft trotzdem auf ein "großes Fest der Begegnung", Stadtsprecher Franke auf eine "junge, aufgeschlossene Zielgruppe", die Nürnberg beim Kirchentagsbesuch womöglich als touristische Destination entdeckt.

Glauben: Unter der Führung von Kirchentagspräsident Thomas de Maizière (links) steht das Glaubensfest unter dem Motto "Jetzt ist die Zeit". Im Hintergrund Generalsekretärin Kristin Jahn.

Unter der Führung von Kirchentagspräsident Thomas de Maizière (links) steht das Glaubensfest unter dem Motto "Jetzt ist die Zeit". Im Hintergrund Generalsekretärin Kristin Jahn.

(Foto: Anestis Aslanidis/epd)

Zumal vom Kirchentag spektakuläre Bilder ausgehen dürften. Der Eröffnungsgottesdienst etwa wird nicht außerhalb der Altstadt - im Stadion etwa - stattfinden, sondern auf dem Hauptmarkt, der Herzkammer der Stadt. Dort wird am Mittwochabend neben Posaunenchören auch Kirchentagspräsident Thomas de Maizière zu hören sein, der sich vom Glaubensfestival eine Art "gemeinsames Lagerfeuer" erhofft. In insgesamt 2000 Veranstaltungen - zusammengefasst unter der Losung "Jetzt ist die Zeit" - werde man versuchen, in Nürnberg "ein Gemeinschaftsgefühl" zu erzeugen, sagt der frühere Bundesinnenminister. 100 000 Gäste werden erwartet.

Auf Podien angekündigt hat sich dazu viel politische Prominenz, neben Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz etwa auch CDU-Chef Friedrich Merz und Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Auch der 1979 sechsjährige Bub im Hause Beckstein - Bundesarbeitsminister Heil - will kommen, er setzt sich am Samstag mit dem Bibelvers "Die Zeit wird kommen" auseinander. Sogar auf insgesamt drei Podien wird sein damaliger Gastgeber Günther Beckstein zu hören sein, darunter am Donnerstag bei einem Rückblick auf den letzten Nürnberger Kirchentag, den von 1979.

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