Nürnberg:Der Meister des Wiederaufbaus

Nürnberg: Mit 84 Jahren schaut Hans Eschenbacher mit einem leicht schummrigen Gefühl auf die früheren Arbeitsbedingungen.

Mit 84 Jahren schaut Hans Eschenbacher mit einem leicht schummrigen Gefühl auf die früheren Arbeitsbedingungen.

(Foto: Olaf Przybilla)

Hans Eschenbacher hat als junger Steinmetz im zerstörten Nürnberg Hand an fast alle großen Kulturdenkmäler der Stadt gelegt - eine einzigartige Leistung.

Von Olaf Przybilla, Ammerndorf

Im Nachhinein hat sich Hans Eschenbacher gedacht: Wenn ich geschwiegen hätte. Ein geselliger Abend, man kommt ins Gespräch, es geht um Nürnberg und seine historischen Sehenswürdigkeiten. Die Kaiserstallung auf dem Burgberg etwa, und also erwähnt Eschenbacher irgendwann, dass ihn die besonders berühre, schon weil er mitgewirkt hat an ihrer Wiederherstellung nach dem Krieg. Die Lorenzkirche? Na ja, die ebenso. Die Sebaldkirche? Die auch. Der Abend endet im Misston. Er, Eschenbacher, wolle offenbar allen Ernstes vorgaukeln, überall seine Finger im Spiel gehabt zu haben, lässt der Gesprächspartner ihn wissen: "Ja klar, Du hast ganz Nürnberg aufgebaut." Eschenbacher, ein nicht zur Großsprecherei neigender Franke, stand blöd da.

Gut, er hätte dem Mann am nächsten Tag sein Arbeitszeugnis zufaxen können, ausgestellt vom Bildhauer und Steinmetzmeister Hanns Leo Albert am 21. Februar 1968. Da steht ja alles drin: Wie Eschenbacher drei Jahre nach Kriegsende als Steinmetzlehrling in Nürnberg begonnen hat und aufgrund einer "natürlichen Begabung" alsbald an immer schwierigere Aufgaben herangeführt wurde. Und wie er dann nach seiner Lehrzeit vor allem für qualifizierte Steinmetzarbeiten, für Rippen und Schlusssteine an "zahlreichen im Wiederaufbau befindlichen historischen Gebäuden" Nürnbergs eingesetzt wurde.

Nach acht Zeilen Text ist diesem Arbeitszeugnis eine Klammer eingefügt, sie wirkt wie eine Nebensache, nimmt einem aber den Atem, wenn man sich kurz bewusst zu werden versucht, was da eigentlich drinsteht. In der Klammer sind jene Denkmäler aufgezählt, an deren Wiederaufbau Eschenbacher mitgewirkt hat: die Kirchen St. Lorenz, St. Sebald, St. Egidien, St. Jakob, dazu die Mauthalle, die Rochuskapelle, das Heilig-Geist-Spital, die Kaiserstallung. Das ist so ziemlich genau der mittelalterliche Baubestand, der dieser Stadt in ihren besseren Zeiten das Etikett vom "Reiches Schatzkästlein" eingebracht hat. Eine Geschichte der Baukunst in nuce.

Eschenbacher zuckt mit den Achseln. Natürlich hat er dem zweifelnden Gesprächspartner das Zeugnis damals nicht zukommen lassen, warum auch, der Abend wäre ja so oder so nicht mehr zu retten gewesen. Er hat sich nur vorgenommen, das nie wieder unvorbereitet in ein Gespräch einfließen zu lassen, weil es sich für den anderen ja anhören muss wie Aufschneiderei, wie Anglerlatein eines Steinmetzmeisters und Allmachtsfantasten. Aber wo das Zeugnis jetzt schon mal auf dem Tisch liegt: Könnte es sein, dass es in der knapp tausendjährigen (dokumentierten) Geschichte Nürnbergs niemanden gibt, der von sich behaupten könnte, er habe an alle diese Glanzstücke des europäischen Mittelalters Hand angelegt?

Eschenbacher überlegt, die Frage hat sich ihm offenbar noch nie aufgedrängt. Aber klar, antwortet er dann, das konnte ja vor ihm und seinen Kollegen noch nie jemand wahrheitsgemäß von sich behaupten, "schon weil diese Bauwerke in unterschiedlichen Jahrhunderten entstanden sind". Bis der Zweite Weltkrieg sie alle nivellierte, gewissermaßen, und in einen zum Teil erbärmlichen Zustand versetzte. Tatsächlich, wiederholt Eschenbacher, nur er und seine Kollegen könnten das von sich sagen. Und die Kollegen von damals sind alle nicht mehr unter den Lebenden. Eschenbacher schaut jetzt auf die Tischplatte vor sich, in seinem Gesicht mischen sich Rührung und Beklommenheit.

Nürnberg: Die Werkzeugkiste hat Hans Eschenbacher dem Haus der Bayerischen Geschichte zur Verfügung gestellt.

Die Werkzeugkiste hat Hans Eschenbacher dem Haus der Bayerischen Geschichte zur Verfügung gestellt.

(Foto: Haus der Bayerischen Geschichte)

Hans Herrmann Eschenbacher, 84, Steinmetzmeister aus dem mittelfränkischen Ammerndorf bei Fürth, hat im vergangenen Jahr ein kleines Büchlein geschrieben. Es ist vergriffen, war auch zuvorderst bestimmt für die Menschen aus seinem Heimatdorf, denen er "Episoden" aus seinem Leben erzählen wollte. Auch in diesem Buch - es trägt den Titel "Vom Ammerndorfer Milchgesicht zum Meister Hans" - findet sich der Gedanke nicht, dass auf diesem Globus genau ein Mensch von sich sagen kann, an nahezu allen mittelalterlichen Spektakulärbauten Nürnbergs mitgewirkt zu haben.

Dafür erzählt Eschenbacher in dem Buch von dem Tag, an dem er zum ersten Mal das zerstörte Nürnberg zu Gesicht bekam. Nicht etwa im Frühjahr 1945 war das, sondern in den Sommerferien 1946. Kaum 20 Kilometer entfernt von Nürnberg liegt der Ort Ammerndorf, aber für Erkundungen, sagt Eschenbacher, habe man damals eben keine Zeit gehabt. Erst als er seinem Cousin in Unterfranken einen Korb mit Gemüse bringen sollte, stieg er beim Zwischenaufenthalt in Nürnberg aus dem Zug. Eschenbacher schreibt, da habe er "zum ersten Mal das ganze Ausmaß der Zerstörungen gesehen". Nichts mehr. Details? "Nein", sagt Enschenbacher, "dafür gibt es keine Worte."

Auch, dass er dann beim Wiederaufbau wesentlicher Teile des vernichteten Schatzkästleins mitgeholfen hat, ist ihm so richtig erst später bewusst geworden. In der Situation, als junger Bursche, mache man sich darüber kaum Gedanken, sagt Eschenbacher. Womöglich war das auch besser so. Der Steinmetz gehört nicht zu den Begnadeten, die von Haus aus schwindelfrei sind. Die Arbeit, Dutzende Meter über den Spitzgiebeln der Stadt, nach heutigen Maßstäben mehr oder minder ungesichert, auch im Winter, auch im tiefsten Schnee - wahrscheinlich, sagt Eschenbacher, ist es eine Gnade der Natur, dass Menschen in der Lage sind, manches einfach nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Wenn er sich die historischen Bilder heute anschaut oder die Werkzeugkiste, die er jetzt dem Haus der Bayerischen Geschichte zur Verfügung gestellt hat, wird ihm regelrecht schummrig. Im Nachhinein. Damals? War da einfach Arbeit zu erledigen. Zumal im Krieg große Teile des Beamtenapparates weggebrochen waren, darunter viele Bau-Fachleute. Auch waren relevante Unterlagen über die historische Substanz vernichtet. Da musste man improvisieren, auf Lücke arbeiten, anderes blieb ihm und den Kollegen gar nicht übrig. Heute, wenn er in den alten Dokumenten blättert, denke er sich manchmal: "Was man sich alles zugetraut hat damals."

Das Exponat wurde dem Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg zur Verfügung gestellt, das im Mai 2019 eröffnen soll. Näheres finden Sie hier.

Zur SZ-Startseite

Fürther Straße in Nürnberg
:Seismograf des Wandels

Die Achse zwischen Nürnberg und Fürth steht sinnbildlich für die Entwicklung der Städte. Aus Maschinenhallen wurden Büros und Labore.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: