ICE-Werk in Nürnberg:Die Debatte über den Standort wird immer skurriler

ICE-Werk in Nürnberg: In Nürnberg soll ein Instandhaltungswerk für ICE entsehen.

In Nürnberg soll ein Instandhaltungswerk für ICE entsehen.

(Foto: Stephan Rumpf)

Statt Wald zu roden, soll der Hafen teils zugeschüttet werden, fordert der Bund Naturschutz. Und lässt dabei die Konsequenzen für Wirtschaft und Umwelt außer acht.

Von Uwe Ritzer, Nürnberg

Klaus-Peter Murawski erging sich in geheimnisvollen Andeutungen. Es gebe da einen Standortvorschlag seiner Organisation für das geplante ICE-Instandhaltungswerk, sagte der Nürnberger Vorsitzende des Bundes Naturschutz vorige Woche der Lokalzeitung Der Bote. Ein Industriegelände, wo kein Wald großflächig gerodet werden müsste, wie an den drei von der Deutschen Bahn bislang favorisierten, von Bürgerinitiativen und BN aber bekämpften Standorten im Raum Feucht-Allersberg.

Die Bahn habe die Machbarkeit des BN-Vorschlages bereits grundsätzlich bestätigt und auch Nürnbergs Oberbürgermeister Marcus König (CSU) sowie der städtische Baureferent hätten Unterstützung zugesagt, behauptete Murawski. Nur sagen, um welchen Standort es genau geht, das könne er leider nicht. Er habe sich schließlich gegenüber der Bahn zur Verschwiegenheit verpflichtet.

So viel halbgare Redseligkeit darf verwundern, ist es sonst doch meistens der BN, der von anderen größtmögliche Transparenz fordert. Und Murawski ist kein politischer Anfänger. Bis 2018 leitete er als baden-württembergischer Staatsminister sieben Jahre lang die Staatskanzlei von Ministerpräsident Winfried Kretschmann in Stuttgart. So einer weiß, dass sein geheimnisvoller Vorschlag ein wuchtiges Vorhaben wäre, das in den Wirtschaftsstandort Nürnberg eingreifen würde.

Mit gravierenden Folgen für Hunderte Firmen, Tausende Arbeitsplätze - aber auch für die Umwelt. Denn nach Informationen der Süddeutschen Zeitung geht es um den Nürnberger Binnenhafen, der nach den Vorstellungen des BN weitgehend zugeschüttet und mit dem ICE-Instandhaltungswerk überbaut werden soll. Was das Ende des Hafens und damit eines der größten Logistik-und Güterverkehrsumschlagplätze in Süddeutschland bedeuten würde.

ICE-Werk in Nürnberg: Klaus-Peter Murawski glaubt, für seinen diskreten Vorstoß in punkto Zugwerkstätten auch Unterstützer an entscheidender Stelle zu finden. Doch bei der Bahn und im Nürnberger Rathaus will man das so nicht bestätigen.

Klaus-Peter Murawski glaubt, für seinen diskreten Vorstoß in punkto Zugwerkstätten auch Unterstützer an entscheidender Stelle zu finden. Doch bei der Bahn und im Nürnberger Rathaus will man das so nicht bestätigen.

(Foto: Bernd Weissbrod/dpa)

Gut möglich aber, dass sich Murawski mit seinen kryptischen Aussagen zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Seine Darstellung, es gebe wohlwollende Unterstützung von Bahn und Nürnberger Stadtspitze für den BN-Plan, erweist sich bei Nachfragen als gewagt, mindestens. Eine Bahnsprecherin bestätigte "zu diesem Vorschlag Gespräche", jedoch habe man Vertraulichkeit vereinbart und äußere sich daher nicht.

Nürnbergs OB König wies jedoch auf Anfrage explizit darauf hin, dass es sich beim "Güterverkehrszentrum Hafen um ein funktionierendes, genutztes Gewerbegebiet mit intensiver Logistik zwischen Schiene und Straße, abnehmend auch Wasser" handele. "Zahlreiche Firmen haben hier ihren Standort. Welche Auswirkungen die Ansiedlung eines ICE-Werks haben würde, wird derzeit geprüft." Nur das sei dem BN zugesagt worden, widersprach König Murawskis Darstellung.

In Kreisen von Wirtschaft und Politik erregt der BN-Vorschlag Kopfschütteln und Ablehnung. Schließlich legen auf dem 337 Hektar großen Hafen-Areal im Nürnberger Süden nicht nur Schiffe an, sondern der Warenverkehr auf dem Wasser wird mit jenem auf Schiene und Straße vernetzt. Güterzüge verbinden von hier aus Nürnberg direkt mit den deutschen Seehäfen, jenem in Rotterdam sowie Umschlagplätzen in Italien und China. Auf dem Gelände arbeiten 6700 Menschen in etwa 200 Firmen. Viele haben noch jahrzehntelang laufende Mietverträge mit dem staatlichen Hafenbetreiber Bayernhafen. Die meisten Firmen müssten einem ICE-Werk weichen, anderen würde ihre Geschäftsgrundlage entzogen. "Diese Idee ist völlig abwegig", sagt ein langjähriger Manager einer der Hafen-Firmen. "Das würde Unsummen kosten und gewaltige Schadenersatzprozesse auslösen."

Die Pläne stoßen in der regionalen Politik keineswegs auf Wohlwollen

Aufgekommen war die Idee, weil Bayernhafen ein 300 Meter langes Becken auffüllen will, wodurch am Ende ein Landgewinn von drei Hektar steht. Viel zu wenig für das auf 45 Hektar taxierte ICE-Werk, in dem von 2028 an Hochgeschwindigkeitszüge gewartet werden sollen. Die Bahn will 400 Millionen Euro investieren und verspricht 450 tarifgebundene Arbeitsplätze. "Weder platzmäßig noch infrastrukturell besteht eine Möglichkeit, das ICE-Werk im Bayernhafen Nürnberg zu bauen", sagt Joachim Zimmermann, Geschäftsführer von Bayernhafen, und warnt auch vor ökologischen Folgen. Es wäre "zu befürchten, dass ein großer Teil der aktuell rund vier Millionen Tonnen Güter, die jährlich per Schiff und Bahn in Nürnberg umgeschlagen werden, auf die Straße verlagert würden".

Anders, als von Klaus-Peter Murawski suggeriert, stoßen die BN-Pläne auch in der regionalen Politik keineswegs auf Wohlwollen. Bei einem virtuellen Treffen der Wirtschaftsreferenten von Nürnberg, Fürth, Erlangen und Schwabach mit Vertretern von Industrie- und Handelskammer sowie der Handwerkskammer sei der Vorschlag einhellig abgelehnt worden, berichten Teilnehmer. Proteste kommen auch von den Gewerkschaften. Schon jetzt reiche der Platz auf dem Hafengelände für Industrie und Gewerbe nicht mehr aus, sagt der Nürnberger DGB-Chef Stephan Doll und nennt Murawskis Vorstoß "ähnlich weltfremd, wie wenn man fordern würde, den Flughafen abzureißen und dort das neue ICE Werk zu bauen". Der BN versuche, "ein Großprojekt gegen ein anderes auszuspielen". Etwas zurückhaltendere Töne kommen von der Eisenbahnergewerkschaft EVG.

Sie begrüße jede Standortprüfung, zumal "wenn mögliche Flächen ohne große Einschnitte in die Natur auskommen und die Anforderungen an ein ICE-Werk grundsätzlich erfüllen". Hafen und Hauptbahnhof seien bereits per Schiene verbunden und auch die räumliche Nähe sei "ein klarer Pluspunkt". Dennoch stelle sich angesichts der vielen Firmen im Hafen "die Frage, ob die mögliche Fläche dort am Ende tatsächlich ausreichend ist, um das ICE Werk hier zu errichten".

So befeuert der BN-Vorschlag die Debatte um den richtigen Standort für das ICE-Werk in oder um Nürnberg. Die Bahn geht mit den beiden Standorten bei Feucht und jenem bei Allersberg in das Raumordnungsverfahren. Bürgerinitiativen und der BN kritisieren dies scharf. Die Rodung von bis zu 45 Hektar Bannwald dort sei "unter Klimaresilienz-Gesichtspunkten unvertretbar", sagt Klaus-Peter Murawski. Angesichts von immer heißeren und trockeneren Sommern komme dem Wald eine entscheidende Bedeutung zu, was kühle und frische Luft für das Nürnberger Becken angehe. Zu seinem Hafen-Vorschlag wollte sich Murawski auf Nachfrage nicht äußern; man habe schließlich Vertraulichkeit vereinbart.

Zur SZ-Startseite

SZ PlusCoronavirus
:Wie Omikron in Bayern wütet

Die Zahl der Neuinfektionen in Bayern steigt täglich in zuvor unerreichte Höhen. Aber wie beunruhigend sind die Entwicklungen? Eine Analyse.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: