Rechtsextremismus Nürnberg:"Die Hetze im Internet war bedrohlich"

Rechtsextremismus Nürnberg: Sozialwissenschaftler Michael Helmbrecht engagiert sich gegen rechts.

Sozialwissenschaftler Michael Helmbrecht engagiert sich gegen rechts.

(Foto: oh)

Michael Helmbrecht war vor zehn Jahren Mitbegründer der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg. Der demokratische Protest war oft erfolgreich, der Preis dafür allerdings hoch.

Interview von Olaf Przybilla

Michael Helmbrecht, 61, ist einer der Gründungsväter der Allianz gegen Rechtsextremismus in der Metropolregion Nürnberg. Vier Jahre lang war er deren Vorsitzender, vor zehn Jahren wurde sie gegründet.

SZ: Herr Helmbrecht, was waren die Beweggründe für die Gründung dieser Allianz?

Michael Helmbrecht: Die Beobachtung, dass es in der Metropolregion eine ziemlich aktive Rechtsextremisten-Szene gibt. Vor zehn Jahren hat diese unterschiedliche Kommunen traktiert, allen voran Gräfenberg, aber auch Wunsiedel, Nürnberg, Fürth. Wir brauchten einfach eine konzertierte Aktion, einen Zusammenschluss von Kommunen und freien Initiativen, um diesen Umtrieben entgegentreten zu können.

Die Situation in Gräfenberg dürfte mit ausschlaggebend gewesen sein.

Gräfenberg wurde in der Zeit fast 50 Mal von rechtsextremistischen Marschierern heimgesucht. Vordergründig ging es um den Zutritt zu einem Kriegerdenkmal. Hintergründig aber ging es der Szene darum, die Städte vom Land her aufzurollen und die eigene Rolle als vermeintlicher Kämpfer für eine nationale Sache zu bekräftigen.

Die Marschierer kamen immer wieder.

In einen Ort mit 3000 Einwohnern. Das Städtchen war regelrecht stillgelegt. Demokratisch aber waren wir nie stillgelegt. Es gab immer demokratischen Protest, die Orte der Region haben zusammengehalten.

Was wohl nicht selbstverständlich ist.

Unsere Position war immer: Diese Leute sind brandgefährlich und im Zweifelsfall tödlich. Wir brauchen den Protest, um den Diskurs zu begründen über die Frage: Was macht eigentlich Demokratie aus? Und in welcher Gesellschaft wollen wir leben?

Dass Sie persönlich Initiative ergriffen haben, blieb allerdings nicht unbeobachtet.

Offenbar nicht. Die Hetze im Internet war bedrohlich. Noch bedrohlicher war die Veranstaltung direkt an unserem Gartenzaun. Drei Tage lang waren wir in Sichtweite mit 300 Neonazis aus halb Europa konfrontiert. Deren Strategie war offenkundig, uns Angst einzujagen. Kurz nachdem ich das Amt als Vorsitzender der Allianz angetreten habe, gab es dann diesen Anschlag auf unser Haus und Auto. Das Auto war fast komplett zerstört: Reifen aufgestochen, Fensterscheiben eingeschlagen, Schlösser mit Bauschaum zugeklebt. Unser Haus wurde mit Buttersäure attackiert, was fast noch schlimmer war. Wir konnten es über Monate nicht betreten ohne Würgeanfälle.

Wie fühlt man sich da?

Natürlich bekommt man Angst. Die Sprache ist ja eindeutig: Wir haben dich im Fadenkreuz. Und wir schrecken nicht davor zurück, Gewalt anzuwenden. Als Betroffener kann man sich ausrechnen, dass der Schritt von Gewalt gegen Sachen zur Gewalt gegen Personen nicht sehr groß ist.

Fühlten Sie sich gut geschützt?

Das schon. Ich bekam verstärkten Schutz, die Polizei hat das sehr ernst genommen. Und wir haben unser Haus mit Sicherheitsglas und Kameras ausgestattet.

Was hilft gegen die Angst?

Nur die Solidarität anderer. Und die war groß, von Nachbarn und Freunden. Übrigens auch von Unternehmern, die Geld gespendet haben, damit wir unser Auto reparieren und Kameras installieren konnten.

Trotzdem steht man im Fadenkreuz.

Das muss einem klar sein. In der Hinsicht ist man eben doch weithin auf sich selbst zurückgeworfen. Man ist da relativ allein, eine erschütternde Erfahrung. Klar sagen viele: Gesicht zeigen! Aber wenn du eins in die Fresse bekommst, stellst du schnell fest, dass es so viel Beistand nicht gibt.

Warum?

Weil diejenigen, die sich in deiner Nähe aufhalten, es auch mit der Angst zu tun bekommen. Außerdem bist du der Überbringer der schlechten Botschaft, die da lautet: Die sind brandgefährlich. Der Überbringer wird mitunter mit dem Täter verwechselt.

Wie hat Ihre Familie reagiert?

Es gab lange Diskussionen. Aber es war Konsens, dass die Lösung nicht sein kann, sich aus Angst zurückzuziehen. Das wäre ein fatales Signal gewesen.

Fragt man sich: Warum ausgerechnet ich?

Natürlich. Aber so ist das, wenn man für etwas einsteht in der ersten Reihe. Und es war immer unsere Botschaft: Leute, wenn es keine zweite, dritte und vierte Reihe gibt, dann gibt's auch keine erste Reihe. Die exponiert Aktiven müssen sich auf die dahinter verlassen können. Natürlich auch auf die Ermittlungsbehörden. Auch wenn ich da meine Enttäuschungen erlebt habe.

Enttäuschungen?

Gegen mich wurde ein Flyer verteilt, in tausendfacher Auflage. Mit meinem Konterfei drauf und der Aufforderung, aktiv zu werden gegen diesen Nachbarn. Ich habe dann Anzeige erstattet, immerhin gibt es ein Recht am eigenen Bild. Die Staatsanwaltschaft aber hat mir ausgerichtet, ich sei eine Figur des öffentlichen Lebens. Und danach die Ermittlungen wegen einer spontanen Blockade gegen Neonazis. Zwischenzeitlich hatten die Leute da beinahe mehr Angst vor der Polizei als vor den Nazis. Das hat schon wehgetan. Wir haben uns gefragt: Wo steht die Justiz?

Aufgeklärt wurde der Anschlag auf Ihr Anwesen nie?

Nein, aber in den sozialen Medien gefeiert als Reichskristallnacht bei Helmbrechts.

Klingt gerade beklemmend bekannt.

Ich glaube nicht, dass der Hass in den Netzwerken eine völlig neue Qualität hat. Es ist seit vielen Jahren bekannt, dass die rechtsextreme Szene gewalttätig ist, dass sie bewaffnet ist und dass sie einen bewaffneten Kampf gegen Leute führt, die anders denken als sie. Das scheint nur gerade etwas klarer zu werden in den Köpfen von Entscheidungsträgern. Plötzlich wird vor der Gefahr des Rechtsextremismus gewarnt. Die wurde vor nicht allzu langer Zeit noch in die Pubertätsecke abgeschoben und verniedlicht. Und auf der Vorderbühne wurde darüber geredet, man wolle Deutschland verteidigen - bis zur letzten Patrone.

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