Er lässt die Stadt einfach nicht los. Dass große Künstler in ihrer Heimat nicht nur Spuren hinterlassen, sondern auch für Debatten sorgen, mag man für eine Binse halten. Das Verhältnis Nürnbergs zu Albrecht Dürer aber darf schon als besonderer Fall gelten. Dort wird man in absehbarer Zeit seinen 500. Todestag begehen, 2028 ist es so weit. Wer freilich das Archiv knapp fünf Jahrhunderte nach des Meisters Ableben nach Dürer-Zoff, Dürer-Aufregung, Dürer-Diskurs in Nürnberg befragt, der wird sich über mangelnde Treffer nicht beklagen können. Soll man Dürer-Kopien ausstellen? Ist seine populärste Arbeit innerbayerisch transportabel, gar von München nach Nürnberg? Taugt einer wie er als Airport-Name? Soll man das Rathaus mit einem "Disney-Dürer" verzieren? Nürnberger gelten bestimmt nicht als notorisch erregt - wenn es aber um Dürer geht, dann kann es schnell mal emotional werden.
Was gut ist. Dürer, so könnte man es wohl am besten beschreiben, ist den Nürnbergern gleichzeitig Stolz der Stadt - und offene Wunde. Denn natürlich kann man in der Metropole des ausgehenden Mittelalters auch ein paar Originale des Meisters bewundern. Viel eher aber taugt der Stadtbesuch zur melancholischen Spurensuche. Schließlich ist der größte Teil von Dürers Werk in alle Welt verstreut - weshalb To-Go-Handreichungen fürs internationale Publikum, gerne auch in abrissartiger Form, umso wichtiger sind zur Dürer-Discovery.
Um eine der guten haben sich nun die Regionalhistoriker vom Institut "Geschichte für alle" verdient gemacht. Der Band "Albrecht Dürer. Spurensuche in Nürnberg" (erschienen im Sandberg-Verlag) von Manuel Teget-Welz sowie Thomas Eser und Thomas Schauerte vereint wissenschaftliche Expertise mit überblicksartiger, auch touristisch gut nutzbarer Darstellung. Im weiten Feld Dürer, in dem Überblicksarbeiten gerne mal maßgebliche Teile des Bücherregals in Anspruch nehmen, darf das als Ausnahme gelten. Dürer für Eilige also - aber solche mit Anspruch.
Auf der Exkursion zum "fernen Genie", eine Formulierung von Thomas Schauerte, ist es sicher nicht die schlechteste Idee, einen Rundgang am Burgberg kulminieren zu lassen. Und das nicht nur, weil dort in einem brutalistischen Anbau der Siebzigerjahre historische Kopien von Dürers Arbeiten zu sehen sind. Am Tiergärtnertorplatz - einem Kopfsteinpflastertraum mit in die Stadtmauer integrierten Szenebars auf der einen, Bratwurstspezialisten auf der anderen Seite - hat der Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs wenig stehen lassen. Jenes Haus aber an der Ecke, in dem Dürer wohnte und arbeitete, blieb im Wesentlichen erhalten. 1828 richtete man hier die erste Gedenkstätte für einen bildenden Künstler diesseits der Alpen ein. In dem Häuschen kann man lernen, wie sich die Biedermeier des 19. Jahrhunderts das Zeitalter des Meisters vorgestellt haben. Was viel aussagt - und sei es nur über die mitunter kultartige Bewunderung, die dem Meister zuteil geworden ist. Erkennbar ist die auch am Dürer-Denkmal (das erste offizielle Künstlerdenkmal in Deutschland im öffentlichen Raum) und am Johannisfriedhof, wo Dürer 1528 beigesetzt wurde, ihm als Akt der Verehrung eine Totenmaske abgenommen, eine Haarlocke abgeschnitten wurde.
Der Meister starb kinderlos, und als auch seine Frau Agnes nicht mehr war, wurde sein Haus Bewohnern übereignet, die andere Präferenzen hatten als die Erinnerungskultur des 21. Jahrhunderts. Man baute um. Genau hier soll der Meister geschlafen, dort soll er Gäste empfangen, unterm Dach sein Werk vorangetrieben haben? Das galt mal. Seit Bauforscher im Haus waren, ist von der früheren Gewissheit viel gewichen. Anderes wiederum aus der Umgebung der Dürers liegt heute freier denn je, und auch darüber klärt diese Spurensuche knapp aber erhellend auf. So war es wohl auch die spezielle Gesellschaft am Berg unterhalb der Kaiserburg, die einen Handwerkersohn zum freien Künstler werden ließ. Das Nationalmuseum (auch eine Etappe auf den 16 Stationen) hat den Spuren von 350 Bewohnern in mehr als 140 Wohnhäusern nachgespürt - und eine Topografie fixiert, die den Burgberg als Exklusivquartier der Intellektuellen des späten Mittelaltes ausweist.
Da war Anton Koberger, der sich vom Bäckersohn zum Medienzar emporarbeitete und maßgeblich an der Verbreitung von Dürers Druckgrafiken beteiligt war. Da war Michael Wolgemut, in dessen Malerwerkstatt eine der frühesten Zeichnungen des Nachbarsohnes entstand; und natürlich Willibald Pirckheimer, Humanist, steinreicher Patrizier und intellektueller Patron des jungen Meisters aus Nürnberg.
Auch das Rathaus ist Dürer-Station, dort allerdings ist die auf komprimierte Kürze angelegte Darstellung am schmerzhaftesten. Dürer hatte die Vorlagen geliefert für die Ausmalung des Großen Rathaussaales, eine Arbeit, die wie mancher Forscher meint, "schon flächenmäßig alle übrigen Arbeiten Dürers zusammengenommen übertraf". Der Weltkrieg ließ davon nichts übrig; weshalb 2014 Rekonstruktionsfreunde nicht nur das erste Ratsbegehren der Stadt initiierten - sondern viele sogar einen direkten Einfluss dieser Abstimmung auf die parallel stattfindende Oberbürgermeisterwahl fürchteten. Am Ende setzen sich Ulrich-Maly-Freunde (der damalige OB hatte sich klar gegen ein Dürer-Disney ausgesprochen) deutlich gegen Rekonstruktionsanhänger durch: 68 Prozent lehnten ein großflächiges Dürer-Imitat im Repräsentationsraum ihrer Stadt ab. Im Band wird das so nicht behandelt, was schade ist - zeigt es doch, wie der alte Meister die Gemüter weiterhin zu erhitzen weiß im modernen Nürnberg.
Der Albrecht-Dürer-Airport wiederum hat es gar nicht erst zu einer Station geschafft. Das indes dürfte vor allem der Ideengeber bedauern, Markus Söder. Andererseits: Dass die Umbenennung des Flughafens wohl nicht die schlechteste Marketingidee in der Geschichte dieser alten Stadt war, geben heute sogar damalige Lästerer zu.