Mitten in Nürnberg:An der Spitze der Bewegung

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Der neue OB Marcus König will bis 2023 ein 365-Euro-Ticket für den ÖPNV in einer möglichst großen Region um Nürnberg herum einführen. Dahinter steckt Kalkül

Kolumne Von Olaf Przybilla

Fragte einer nach der spektakulärsten kommunalpolitischen Tat der vergangenen 18 Jahre in Nürnberg, so könnte man auf den Gedanken kommen, dass dies die geplante Einführung eines 365-Euro-Tickets für alle und für eine möglichst großen Raum um Nürnberg herum sein dürfte. Klar, Nürnberg war in jener Zeit auch Mitausrichter der Fußball-WM, aber das waren etliche andere Städte auch. Der Absicht aber, ein solches Ticket spätestens bis zum Jahr 2023 tatsächlich einzuführen, rühmt sich Nürnberg "als erste deutsche Großstadt".

So ein Ticket kann man für überambitioniert halten - oder für überfällig. Auffällig daran ist aber zunächst einmal, dass es der neue OB Marcus König von der CSU war, der diesen Plan verkündet hat und damit nicht etwa ein im Wahlkampf lang angekündigtes Geschenk ein paar Wochen nach der Wahl tatsächlich angegangen ist. Klar, König hatte einen bessereren und zuverlässigeren Nahverkehr versprochen - wie fast alle anderen auch. Die Fahrt aber für einen Euro pro Tag, in und um Nürnberg herum? Das nicht.

Der Druck auf König war trotzdem enorm. Die Wahrscheinlichkeit nämlich, dass die Nürnberger bei einem für Sommer angesetzten Bürgerentscheid gegen so ein Ticket entschieden hätten, dürfte übersichtlich groß gewesen sein. Insofern ist es klug von König, sich diese Schlappe zu ersparen und stattdessen einfach an die Spitze der Bewegung zu setzen. Und trotzdem darf man annehmen, dass sein Vorgänger Ulrich Maly (SPD) - vor seiner Zeit als OB langjähriger Kämmerer und profund mit kommunalpolitischem Handwerk vertraut - das nicht gemacht hätte. Mindestens aber: so nicht.

Nicht nur, dass Geldgebeber erst gefunden werden müssen für dieses ehrgeizige Projekt. Sogar in Fürth - mit Nürnberg immerhin durch eine U-Bahn verbunden - wusste man schlicht nichts vom bevorstehenden Coup aus der Nachbarstadt, auch wenn man bei der Sache mehr als nur mit im Boot sitzen wird.

Das könnte man dreist und laienhaft nennen. Oder frech und politisch bestechend. Offenkundig ist, dass der Druck nun nicht mehr primär auf König lastet. Sondern auf anderen, die riskieren, als Spielverderber für ein populäres Projekt dazustehen. Sollte König Erfolg haben damit - hätte die politische Chuzpe gesiegt.

© SZ vom 25.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Öffentlicher Nahverkehr
:Nürnberg will 365-Euro-Ticket für alle einführen

Die Jahreskarte soll es spätestens vom 1. Januar 2023 an geben. Der Beschluss der neuen Rathaus-Koalition macht einen angestrebten Bürgerentscheid überflüssig.

Von Olaf Przybilla

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