Kunst-Aktion "Was wäre wenn ...?":Nürnberg probt den Untergang

Lesezeit: 3 Min.

Die Installation aus Betonquadern, in denen bunte Fische stecken, soll Passanten zum Nachdenken anregen. (Foto: Simeon Johnke)

Fische im Beton, Hitzeschutz-Ponchos am Kleiderhaken: Mit künstlerischer Intervention und engagierter Projektarbeit will man in Nürnberg die Klimakrise erlebbar machen - und Lösungen finden. Eine Reise ins Jahr 2035.

Von Andreas Thamm, Nürnberg

Im Burgberg Nürnbergs lärmt eine Baustelle. Stück für Stück werden die mittelalterlichen Felsengänge ausgebaut. Das Bürgermeisteramt ist fast fertig, das Hoch- und das Tiefbauamt sollen noch folgen. Ein Reporter von Radio Z ist live vor Ort und berichtet unter der entfernten Dröhnkulisse vom Einzug der Stadtverwaltung in das angenehm kühle Ambiente. Ein hoher Beamter habe ihm im Vertrauen gesagt: "Es ist doch in Nürnberg so üblich, dass wir uns die besten Flecken holen."

Die Stadtverwaltung zieht sich in dunkle Verliese im Erdinneren zurück? Diese Vision des Jahres 2035 entstammt einem Radio-Z-Hörspiel, das derzeit in einem Container zu hören ist, der auf dem Nürnberger Klarissenplatz steht, direkt vor dem Neuen Museum. Der Container ist Teil von "Was wäre wenn ...?" Mit verschiedenen Projekten und dieser Installation im öffentlichen Raum wollen die Stadtentwickler vom Urban Lab die Klimakrise "erlebbar" machen - und die Bürger der Stadt zur Lösungsfindung animieren.

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Es ist frühlingshaft warm am Tag vor der Eröffnung der Installation, zu warm möchte man sagen. Drei Pyramiden aus schwarzen Theaterlatten stehen hier auf dem großzügigen und vollversiegelten Platz nahe der Stadtmauer. Die jungen Projektbeteiligten genießen die Sonne, auf einem kleinen Elektro-Kochfeld blubbern Spirelli, aus einer Box wabert Retrosoul. Das meiste ist bereits geschafft.

Und ab und an bleiben Passanten stehen, irritiert wegen der Installation aus Betonquadern, in denen bunte Fische stecken und einem Brunnen, aus dem Sand fließt. "Als wir gerade aufgebaut haben", sagt die Projektmanagerin Julia Hendrysiak, "kam einer, der meinte: Was macht ihr schon wieder mit unseren Steuergeldern? Die gibt es halt immer." Der Großteil der ersten Rückmeldungen sei aber sehr positiv, ein neuer Auge-in-Auge-Diskursraum entsteht an einem zentralen Ort der Stadt.

"Krieg' die Krise!": Schon der Slogan auf dem Container auf dem Klarissenplatz provoziert. (Foto: Simeon Johnke)

Aber was genau macht das Urban Lab eigentlich mit den, sagen wir lieber, Fördergeldern der Nationalen Stadtentwicklung? "Was wäre wenn ...? - Eine Stadt probt ihren Untergang" ist ein Projekt in drei Teilen, das Nürnberg das ganze Jahr über erhalten bleiben wird. Und darüber hinaus, wenn die Pläne aufgehen. Schon seit Herbst finden immer wieder "Krisen-Jams" statt, in denen Expertinnen und Experten über je eine von vier Unterkrisen (Hitze-, Wasser-, Umwelt-, soziale Krise) informieren, um den Teilnehmenden das wissenschaftlich fundierte Rüstzeug für die anschließende Gruppenarbeit mitzugeben. "Die Leute sollen die Szenarien und Problemlagen sehr genau kennenlernen, um daraufhin Lösungsansätze zu entwickeln", sagt Ulrich Hirschmüller, der Biologe am Urban Lab.

Von ihm stammt die wissenschaftliche Ausarbeitung. Auf Basis aktueller Studien hat Hirschmüller ein Szenario für Nürnberg 2035 entwickelt: Die Innenstadt wird zum Backofen, der Wöhrder See ein Hot Tub, der Reichswald entflammt. Mittelfranken, sagt er, ist eine ziemlich trockene Gegend mit einem Niederschlagsprofil wie Marokko, mit relativ schlecht auf den Klimawandel vorbereiten Wäldern und einer Stadt, die einen geringen Grünflächenanteil aber dafür umso mehr Versiegelung aufweist. "Was ich erarbeitet habe, würden manche Experten als schwarzmalerisch bezeichnen. Andere sagen, es wird noch schlimmer. Aber es ist im Bereich des Wahrscheinlichen, und die Menschen müssen sich darauf vorbereiten."

Ein Brunnen, aus dem Sand fließt: Das Langzeitprojekt "Was wäre wenn ...?" stellt unbequeme Fragen zur Zukunft von Nürnberg. (Foto: Simeon Johnke)

Sich auf die Klimakrise vorzubereiten, fällt schwer. Was Klimaforscher errechnen, bleibt, trotz Hitzesommern und ausgetrockneten Flussläufen, immer irgendwie abstrakt. "Wir versuchen die Flut aus Daten herunterzubrechen, damit man versteht, wie dringlich das ist", sagt Julia Hendrysiak auf dieser zukünftigen Hitzeinsel Klarissenplatz. Die Aufgabe, die Krise in Bilder zu übersetzen, wurde im Dezember an Jonas Johnke übergeben, Bildhauer mit Lehrauftrag an der Akademie der Bildenden Künste, der sich mit Marzia di Carlo eine Studentin mit ins Boot holte.

Ihre Herausforderung sei es gewesen, sagt Johnke, formal überzeugende Bilder zu finden, die nicht bloß die pure Dystopie auf den Platz bringen. Und eigentlich sollte die Inszenierung bereits Ende Januar eröffnet werden. Die Verschiebung ist dem langwierigen Genehmigungsverfahren der Stadt geschuldet und Johnke heute froh: "Am 31. Januar hätte es ganz anders ausgeschaut. Nur die Pumpe hat sich durchgesetzt." Sie steht, logisch, für die Wasserkrise, die mit Tafelschwämmen gespickte Linde daneben für die Hitzekrise.

Bis Ende April können Bürger Ideen einreichen

Im Container hingegen geht es weniger um den Untergang der Stadt, die Angst vor der heraufziehenden Hitzekatastrophe, sondern um pragmatische Resilienz. So könnte eine Nürnberger Wohnung in 2035 aussehen: Klimaanlage, ein Hitzeschutz-Poncho am Kleiderhaken, mit Rettungsfolie isolierte Wände, im unkaputtbaren Radio laufen die Nachrichten über den Umzug der Stadtverwaltung und als Deko dienen Plastikpflanzen. Im Vorraum wachsen Beeren, Salat und Stevia, bewässert mit einem kreislaufenden Hydroponik-System, beleuchtet mit Energie aus der Solaranlage und gedüngt mithilfe von zwei verschiedenen Komposter-Systemen: "Wir können den Innenraum zur Anbau-Zone machen und sind damit auch viel besser vor Extremwetter geschützt", so Hirschmüller.

Ein Wir-werden-überleben-Szenario. Der nächste Jam zur sozialen Krise findet im Germanischen Nationalmuseum statt. Die ersten Projektideen der Teilnehmenden hat das Lab bereits auf der Projekthomepage veröffentlicht. Künstlerinnen und Künstler sollen Objekte entwerfen, die in den Gärten als ästhetische Regentonnen dienen, Litfaßsäulen und Bushäuschen werden begrünt, eine Komposttoilette im Tiergarten macht Dünger aus Affenscheiße. Bis Ende April ist die gesamte Bürgerschaft aufgerufen, Projektideen einzureichen. Ab Mai wird dann in einem gemeinschaftlichen Prozess über die Verteilung von insgesamt 60 000 Euro entschieden.

"Mir macht das Hoffnung", sagt Ulrich Hirschmüller, "zu wissen, was passiert und wie man sich darauf vorbereiten kann. Und so geht es vielen Leuten bei unseren Jams, die sagen: Es macht mich fertig, aber jetzt weiß ich, wo die Angriffspunkte liegen."

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