Rechtsextremismus:Einblicke in das Leben eines Neonazis

Rechtsextremismus: Tino Brandt war einst ein führender Kopf in der Neonazi-Szene Thüringens. Und gut bekannt mit den Mitgliedern des NSU.

Tino Brandt war einst ein führender Kopf in der Neonazi-Szene Thüringens. Und gut bekannt mit den Mitgliedern des NSU.

(Foto: Johann Osel)

Ein ehemaliger Spitzel sagt vor dem Untersuchungsausschuss des Landtags aus. Er war gut bekannt mit den NSU-Mitgliedern - und arbeitete für den Verfassungsschutz.

Von Johann Osel

Der Zeuge kommt mit Kappe, tief auf die Stirn gezogen, und Corona-Maske in den Landtag, er versucht sich wegzudrehen von den wartenden Fotografen. Der NSU-Untersuchungsausschuss hat am Donnerstag Tino Brandt geladen - der in der rechtsextremen Szene vor allem Thüringens, aber auch Bayerns in den Neunzigerjahren eine maßgebliche Rolle gespielt hat. Brandt galt als ein führender Kopf der Szene und trieb den Aufbau der Gruppe "Thüringer Heimatschutz" voran, in der auch Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe aktiv waren.

Der heute 47-Jährige hatte selbst nach dem Untertauchen des NSU-Trios Ende der Neunziger telefonisch einen Kontakt mit Mundlos und Böhnhardt. Und er war jahrelang als V-Mann des Verfassungsschutzes tätig, das flog 2001 auf. Der Ausschuss erhofft sich mit der Ladung insbesondere Auskunft über NSU-Verbindungen nach Bayern. Denn allein im Freistaat hat die deutschlandweit mordende Nazi-Zelle fünf Männer türkischer und griechischer Herkunft getötet, in Nürnberg und München. Die zwei Männer töteten sich 2011, um ihrer Festnahme zu entgehen, erst damit war der NSU aufgeflogen. Zschäpe, die einzige Überlebende des Trios, wurde 2018 zu lebenslanger Haft verurteilt.

Ziel des Ausschusses, der seit gut einem halben Jahr arbeitet, ist die Klärung offener Fragen bei den Morden sowie möglicher Fehler der bayerischen Behörden. Zudem soll es um ein denkbares, bisher unbekanntes Unterstützer-Umfeld sowie "Kontinuitäten" zum heutigen Rechtsextremismus gehen. Mit Tino Brandt kommt nach Vertretern von Behörden und jüngst dem Überlebenden eines Attentats nun ein einstiges Szene-Kaliber in den Zeugenstand. Wobei Brandt ausgestiegen ist aus der Szene, quasi unfreiwillig. "Null" Kontakte habe er heute, sagt er. Spätestens seitdem er 2014 vom Landgericht Gera wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger in 66 Fällen zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, habe sich der Rest der Szene abgewandt - dies habe "mit der Straftat zu tun, was ja Kindermissbrauch war", weil das "ideologisch nicht passte". Doch schon seit der Enttarnung als Spitzel seien die Kontakte geschrumpft . Ausschussvorsitzender Toni Schuberl (Grüne) sagte daher, Brandt werde sozusagen als "Sachverständiger aus der Szene" befragt. Es gibt an diesem Tag dann interessante Einblicke in das Leben eines Neonazis - und in das eines Spitzels. Der aber etwa zu den Bayern-Kontakten des NSU wenig Neues beitragen kann oder will.

Brandt war in Thüringen seit 1992 in der Szene unterwegs, zuvor auch in Regensburg, später dann in Coburg, wo er auch in einem nationalistischen Verlag als Kaufmann arbeitete. Da organisierte er unter anderem Veranstaltungen mit dem Republikaner Franz Schönhuber. Vor seiner Enttarnung als V-Mann war er auch Vize-Landeschef der NPD Thüringen. Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe habe er, so seine Erinnerung, 1993 kennengelernt. Vor dem Aufbau des Heimatschutzes habe es in Thüringen verschiedene Skinhead-Gruppen gegeben, deren Wirken darin bestand, sich "mit Linken auf die Nase zu hauen". Er habe dann Vernetzung betrieben, Flugblätter besorgt, auch in der Lokalpresse gesagt, "dass wir wegwollen von Gewaltexzessen hin zu politischer Ausrichtung". Das sei dann schon 1994 Anlass für den Verfassungsschutz in Thüringen gewesen, ihn anzuwerben.

Der Dienst habe ihn, als er in Coburg wohnte, immer wieder bei anstehenden Hausdurchsuchungen etwa wegen Volksverhetzung gewarnt, "netterweise Bescheid gesagt"; auch wenn die bayerische Polizei involviert war. Vor ihrem Untertauchen seien Mundlos und Co. "gleichberechtigt unterwegs" gewesen in der Szene, sie hätten nichts geleistet, was man hätte "respektieren müssen bis zum Umfallen". Gesammelt worden für die Untergetauchten sei in der Szene, er habe ein Konzert mit einem Neonazi-Liedermacher in Coburg organisiert und die Eintrittsgelder weitergegeben. Und das Spiel "Pogromly" sicher ein paar Mal in Coburg verkauft, eine Art Holocaust-Monopoly, das auch schon im NSU-Prozess zur Sprache kam. Wegen Unklarheiten bei Spendengeldern habe es dann "ein Telefonat mit den zwei Uwes" gegeben. "Ich kenne nur drei Personen, die untergetaucht sind, was danach geschehen ist, entzieht sich meines Wissens." Zum Innenleben des späteren NSU könne er nichts sagen, von Waffen wisse er nichts. Er glaube bis heute nicht daran, dass das Mördertrio tatsächlich so unterwegs war, "ich weiß nicht, was da gedreht worden ist".

Streit im Ausschuss hatte es zuletzt wegen Löschung von möglicherweise NSU-relevanten Daten bei Sicherheitsbehörden gegeben. "Offenbar waren die geltenden Löschmoratorien in Bayern löchrig wie ein Schweizer Käse", beklagte die Opposition. CSU und Freie Wähler sprachen von einem misslichen Vorfall, Transparenz sei gewährleistet. Schuberl teilte am Donnerstag mit, man habe zum weiteren Vorgehen bei den Daten in interner Beratung "sehr gut zusammengefunden".

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