Zeile 2729 im KoalitionsvertragNSU-Dokumentationszentrum kommt nach Nürnberg

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Seit dem Jahr 2013 gibt es in Nürnberg einen Gedenkort für die Opfer des NSU.
Seit dem Jahr 2013 gibt es in Nürnberg einen Gedenkort für die Opfer des NSU. (Foto: Johannes Simon/Getty Images)

Die Morde der Rechtsextremisten vom NSU erschütterten Deutschland. Schon länger gibt es Pläne, deren Taten in einem Dokuzentrum aufzuarbeiten. Der geplante Ort ist aber nun eine Überraschung.

Von Uwe Ritzer und Roman Deininger, Nürnberg

Große Überraschung im Koalitionsvertrag: Das bereits länger geplante Dokumentationszentrum, in dem die rechtsextremistische Mordserie des Nationalsozialisten Untergrund (NSU) aufgearbeitet werden soll, wird nicht in Berlin, sondern in Nürnberg errichtet. Darauf haben sich die Verhandler von CDU/CSU und SPD auf den letzten Metern geeinigt. Nürnbergs Kulturreferentin Julia Lehner, die selbst in Berlin mitverhandelt hat, bestätigte dies auf SZ-Anfrage. „Ich freue mich sehr über diese Entscheidung, denn ein NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg passt zu unserem Anspruch, nicht nur die NS-Vergangenheit, sondern auch aktuelle Themen in diesem Zusammenhang aufzuarbeiten.“

Bereits die gescheiterte Ampelregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag vor vier Jahren eine solche Einrichtung festgeschrieben. Allerdings gelang es ihr zeitlich nicht mehr, den notwendigen Gesetzentwurf vor der vorgezogenen Neuwahl vom Bundestag verabschieden zu lassen. Also landete das Thema auf dem Tisch der Vertreter von Union und SPD, welche den am Mittwoch vorgelegten Koalitionsvertrag aushandelten. Und dort heißt es nun in Zeile 2729 lapidar: „Wir schaffen ein NSU-Dokumentationszentrum in Nürnberg.“

Darin soll die Mordserie der NSU-Terrorbande Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe aufgearbeitet werden. Zehn Menschen hat sie zwischen 2000 und 2007 in Deutschland ermordet, drei Sprengsätze gelegt, 15 Banken überfallen. Der Plan, diese Taten in einem Dokumentationszentrum aufzuarbeiten, schien lange Zeit unter den demokratischen Parteien im Bundestag weitgehend unstrittig, stand zuletzt aber zunehmend in Frage. Bei den Koalitionsverhandlungen stellten vor allem Unterhändler der Union das Vorhaben mit Blick auf die allgemein knappen Mittel und die politischen Prioritäten infrage. Auch in der SPD gab es welche, die sich dafür nicht verkämpfen wollten. Vor allem die Sozialdemokraten pochten jedoch auf eine Umsetzung des NSU-Dokuzentrums. Weil sich die zuständige Arbeitsgruppe nicht einig wurde, legten die Unterhändler von Union und SPD das Thema den Chefverhandlern beider Seiten zur Entscheidung vor.

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Diese beschlossen nicht nur, am NSU-Dokuzentrum festzuhalten und es im Koalitionsvertrag festzuschreiben. Was verblüfft, ist die Entscheidung für den Standort Nürnberg. Bis dato galt es als sicher, dass die Einrichtung, so sie geschaffen wird, als zentraler Gedenkort in der Bundeshauptstadt angesiedelt wird. In Nürnberg, Hamburg, München, Rostock, Dortmund, Kassel, Heilbronn und Köln, wo die NSU-Terroristen mordeten und bombten, sollten dezentrale Erinnerungsorte entstehen. Für Berlin als zentralen Standort sprach nicht nur die herausgehobene Stellung als Hauptstadt, sondern auch, dass viele Schulklassen und Besuchergruppen Berlin besuchen und eine entsprechend große Aufmerksamkeit vorhanden wäre.

Nun aber kommt stattdessen Nürnberg zum Zug, dass sich von Anfang an als Standort beworben hatte. Dem Vernehmen nach soll vor allem der CSU-Chef und bayerische Ministerpräsident Markus Söder auf seine Heimatstadt als Standort gedrängt haben. Die bayerische Staatsregierung hatte sich frühzeitig für Nürnberg ausgesprochen. Kein Ort sei prädestinierter für ein nationales NSU-Dokumentationszentrum, hatte auch die dortige Bürgermeisterin und Kulturreferentin Julia Lehner (CSU) stets argumentiert. In der fränkischen Halbmillionenstadt ermordete der NSU am 9. September 2000 im Stadtteil Langwasser den damals 39-jährigen Blumenhändler Enver Şimşek auf offener Straße. Şimşek war das erste NSU-Opfer. Mit dem Änderungsschneider Abdurrahim Özüdoğru (13. Juni 2001) und İsmail Yaşar, dem Inhaber eines Döner-Kebab-Imbisses, am 9. Juni 2005 folgten zwei weitere.

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Nürnberg sei aber auch deshalb der richtige Standort, „weil hier bereits ein entsprechender Nährboden vorhanden ist, auf dem man aufbauen kann“, hatte Lehner argumentiert. Die Stadt engagiere sich langem in politischer Bildungsarbeit und pflege eine spezielle Erinnerungskultur, „gerade was die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts und den Rechtsterrorismus angeht“. Es gebe daher „bereits eine starke, institutionalisierte Expertise und eine entsprechende Basis mit regionalen Netzwerken, Akteursgruppen und Bildungsträgern in der Stadt Nürnberg und deren Umfeld. Darauf könnte man sofort aufbauen.“ Im SZ-Gespräch sagte Lehner nun, sie könne sich gut vorstellen, „das NSU-Dokumentationszentrum in unmittelbarer Nähe zum Schwurgerichtssaal 600 anzusiedeln.“ Dort werden bereits die Nürnberger Prozesse historisch aufgearbeitet, bei denen über die Kriegsverbrecher nach Ende des Zweiten Weltkriegs gerichtet wurde.

Grundlage für das künftige NSU-Dokuzentrum ist ein Konzept, das die Bundeszentrale für politische Bildung entwickelt hat. Sie arbeitet bereits an einer Wanderausstellung und einer digitalen Plattform, die Teil der Einrichtung werden sollen. Zudem sollen ein wissenschaftliches Archiv zum Rechtsterrorismus in Deutschland und eine Gedenkstätte entstehen. Angesichts der Widerstände vor allem in Kreisen der Union während der Koalitionsverhandlungen hatte Thomas Krüger, der Präsident der Bundeszentrale, erst vor wenigen Tagen in einem SZ-Gespräch gewarnt: „Wenn das jetzt nicht kommen sollte, wissen die Angehörigen der NSU-Opfer, dass das alles nicht ernst gemeint war.“ Auch die ehemalige CDU-Politikerin und NSU-Opferbeauftragte Barbara John hatte sich für das Projekt eingesetzt. Die NSU und die Mordserie seien ein Einschnitt in der Geschichte Deutschlands gewesen und die Planungen für das Dokumentationszentrum hätten ohnehin viel zu lange gedauert, hatte sie argumentiert.

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