Notzentren für Asylbewerber:München rechnet mit 1500 Flüchtlingen

A Kosovar family warms up around an open fire after they crossed illegally the Hungarian-Serbian border near the village of Asotthalom

Die Armut treibt oft sogar Familien mit kleinen Kindern und Hochschwangere auf die gefährliche Reise aus dem Kosovo in Richtung Deutschland.

(Foto: Reuters)
  • Die Flüchtlingsproblematik in Bayern verschärft sich: Von Freitag auf Samstag waren es allein in München 330 neue Asylsuchende. Die Landeshauptstadt ist - wie die anderen Erstaufnahmezentren auch - auf 1500 neue Ankömmlinge am Wochenende eingestellt.
  • 75 Prozent der Flüchtlinge kommen derzeit aus Kosovo.
  • Seit Freitag ist der Winter-Notfallplan der Landesregierung wieder in Kraft: In allen Landesteilen werden Notzentren in Turn- oder Stadthallen eingerichtet.

Von Anna Günther, Deggendorf

Am Tag vor dem großen Ansturm ist im Erstaufnahmelager in Deggendorf wenig los. Das Eingangstor surrt ab und an, wenn der Sicherheitsdienst Asylsuchende hinaus- oder hineinlässt. Zwei Kinder spielen Schneeballschlacht zwischen den Wohncontainern, die Flure sind leer, es riecht nach frischer Wäsche und Putzmittel. Im Büro und in der Ausgabestelle herrschen mittagliche Langeweile. An diesem Freitag sind 207 Menschen - darunter 16 aus Kosovo - in Deggendorf untergebracht, Platz wäre für 501.

Doch das Flüchtlingsproblem im Freistaat spitzt sich wieder zu, von Freitag auf Samstag waren es allein in München 330 Asylsuchende. Die Landeshauptstadt ist auf neue 1500 Flüchtlinge am Wochenende eingestellt, das wäre zwar das "worst case Szenario", ist aber laut Regierung von Oberbayern wahrscheinlicher als weniger Ankommende. Am Freitag setzte Sozialministerin Emilia Müller (CSU) den Winter-Notfallplan zum Teil wieder in Kraft, um den Ansturm auf die Erstaufnahmelager bewältigen zu können. Von Montag bis Donnerstag kamen 3400 Asylbewerber in Bayern an. Im Februar waren es bisher 8400 Flüchtlinge, drei Viertel von ihnen stammen aus Kosovo.

Zirndorf in Mittelfranken hat die Kapazitätsgrenze fast erreicht, auch dort sind die Landkreise aufgefordert, Notunterkünfte bereitzuhalten. Seit Anfang der Woche ist die Zahl der Ankömmlinge drastisch angestiegen. Die Bezirksregierung rechnet mit bis zu 300 neuen Asylsuchenden täglich. Ohne die provisorischen Unterkünfte, die im Rahmen des Notfallplans geschaffen werden, sei der Ansturm kaum zu bewältigen.

In den Regierungsbezirken werden Notzentren eingerichtet

In Niederbayern werden in Ergolding, Straubing und Dingolfing Notzentren in Mehrzweck- und Messehallen errichtet. Am Montag sollen die ersten Flüchtlinge einziehen. In der Oberpfalz wird die Stadthalle in Cham umgerüstet, in Regensburg ist die Turnhalle der Clermont-Ferrand-Schule seit Freitag für den Sport gesperrt. Dort sollen am Montag die ersten Asylsuchenden ankommen. Die Halle könnte bis zu sechs Wochen besetzt werden. Sind alle 200 Plätze belegt soll in Neumarkt in der Oberpfalz ein weiteres Provisorium aktiviert werden.

Schwaben stellt das frühere Schwesternwohnheim in Oettingen zur Verfügung, rund um München sind einige Landkreise und auch der VIP-Bereich des Olympiastadions in Bereitschaft. Die Münchner Bayernkaserne und die Dependancen sind längst wieder an der Kapazitätsgrenze angelangt. Nach der vergangenen Krise im Herbst sollte das Umschalten auf Notbetrieb reibungsloser funktionieren: Jede Woche tagt der Planungsstab, und die Landkreise sind aufgefordert, ständig etwa 200 Plätze für den Notfall bereitzuhalten.

Nikolaus Heckl, der Abteilungsleiter für Sicherheit, Kommunales und Soziales in der Bezirksregierung von Niederbayern, hatte das erst vor wenigen Wochen eröffnete Erstaufnahmezentrum in Deggendorf sogar offiziell im bundesweiten Verteilungssystem des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge sperren lassen. Einige Tage lang wurden die in Bayern ankommenden Kosovaren auf andere Unterkünfte umverteilt. Erst an diesem Samstag um 12 Uhr nahm die Erstaufnahmeeinrichtung wieder Asylsuchende auf.

Deggendorf ist laut Heckl für Serbien und den westlichen Balkan zuständig und vom Zustrom besonders betroffen. Ohne Sperre hätte man den Ansturm des vergangenen Wochenendes nicht bewältigen können, sagt Heckl. 400 Menschen kamen im Erstaufnahmezentrum an, mit jedem Zug, der am nahen Bahnhof hält, sind es bis zu 50 weitere, die um Aufnahme bitten. Diese mussten während der vergangenen Tage auf Dependancen wie Freyung verteilt werden, um wieder Platz für das Wochenende zu schaffen. Weil die Schlangen vor der Anmeldestelle so lang waren, stellte das zuständige Landratsamt ein beheiztes Zelt für die Wartenden auf. "Wir erwarten einen Riesenansturm", sagt Heckl. 300 Betten in den Containern stehen bereit, Decken, Kissen und Laken sind schon zu Bündeln verschnürt. Sogar im Kindergarten des Lagers stapeln sich Feldbetten.

Oft überbrücken die Asylsuchenden den Winter

523 Asylsuchende aus Kosovo warten derzeit in der niederbayerischen Erstaufnahmeeinrichtung und deren Ausweichlagern. Mehr als tausend Anträge wurden in den vergangenen sechs Wochen bearbeitet. Maximal vier Wochen soll die Bearbeitung des Asylantrags dauern, lautet die Vorgabe aus dem Sozialministerium, bei Flüchtlingen aus Kosovo sind es laut Heckl nur zwei. So viel zur Theorie. In der Praxis warten die Asylsuchenden oft länger - und überbrücken so zuweilen den Winter. So gut wie alle legen mit Hilfe spezialisierter Kanzleien oder Flüchtlingsorganisationen Einspruch gegen den ersten Ablehnungsbescheid ein und klagen. Währenddessen dürfen sie erst einmal bleiben.

Dass es eine Art Wintertourismus aus Kosovo gibt, kann Heckl bestätigen. Es gebe ganze Großfamilien, die Jahr für Jahr wiederkehren, oft schon mit Enkeln und nicht selten hochschwangeren Frauen, die hier entbinden. Auch das zögert die Abschiebung hinaus.

Auch aus Serbien kommen Winter-Flüchtlinge

Die Wurzel des Problems sieht er im Asylrecht. Das Heimatland zu einem sicheren Staat zu erklären, mildert den Zustrom allerdings nicht wirklich: Zwar gehört Serbien zum Beispiel zu den sicheren Herkunftsstaaten, aber auch von dort kommen Winter-Flüchtlinge - mit kosovarischem Pass. "Ausweis und Namen sind natürlich anders, aber wir erkennen die Gesichter, und der Computer beweist das dann mit Bildern und Fingerabdrücken", sagt Heckl.

Dominik Shehu war schon einmal in einem deutschen Erstaufnahmelager, vor 20 Jahren floh er aus Junik im Westen Kosovos vor dem Bürgerkrieg und blieb fünf Jahre in Wuppertal. Dort würde der Kosovare auch jetzt am liebsten wieder hin. 1999 ging er zurück in seine Heimat, hoffte auf ein neues Leben. Es ging ihm gut, aber private Probleme trieben ihn in den Ruin. Frau und Schwiegervater haben ihn betrogen und um sein Geld gebracht, sagt Shehu in fast akzentfreiem Deutsch. Vor 20 Tagen ist er aufgebrochen, bis zur ungarischen Grenze sei die Reise problemlos verlaufen. Danach war es schwer, sagt er. Zehn Tage war Shehu unterwegs, jetzt bleibt ihm nur zu warten. Ob er es wieder probiert, wenn die Behörden ihn zurückschicke? Shehu zuckt die Schultern. "Das Leben geht weiter."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: