Glocken-Klöppel aus Niederbayern:„So etwas Großes wie Notre-Dame haben wir selten“

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Martin Wensauer ist Geschäftsführer des Rottaler Hammerwerks. Sein Geschäft sind Glockenklöppel, die schwingen in aller Welt. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Die Glocken der berühmtesten Kathedrale Frankreichs erklingen am Samstag erstmals seit dem Brand von 2019 wieder – auch dank einer Schmiede aus Niederbayern. Martin Wensauer erwartet einen „Gänsehautmoment“, wenn die Glocken wieder klingen.

Interview von Klaus Kloiber

Sie bringen die Glocken auf einem Turm in Chile zum Klingen, in einem Washingtoner Kriegerdenkmal, in Hongkong, der Münchner Frauenkirche und in Paris: Klöppel aus dem Rottaler Hammerwerk im niederbayerischen Anzenkirchen. Martin Wensauer ist Geschäftsführer des 1863 gegründeten Familienbetriebs und spricht im Interview über die Faszination des Schmiedens. Und warum er keinen Unterschied zwischen Notre-Dame und einer x-beliebigen Stadtkirche macht.

SZ: Wie kam es, dass Sie die Glockenklöppel der berühmtesten Kathedrale Frankreichs herstellen durften, zumal als Nicht-Franzose?

Martin Wensauer: 2013 wurden neun der zehn Glocken von Notre-Dame zum 850-jährigen Bestehen von einer französischen Gießerei neu gegossen und da haben wir den Auftrag für die Klöppel bekommen, weil uns ein Schweizer Glockengießer empfohlen hat. Es wurde schon Wert darauf gelegt, dass die Glocken selbst „Made in Frankreich“ sind. Wir haben uns aber mittlerweile in Mitteleuropa ziemlich etabliert, deswegen sind wir wieder zum Zug kommen, als die Glocken nach dem Brand 2019 abgehängt wurden ...

... weil sie vom Feuer so stark beschädigt waren?

Die Glocken und die Klöppel haben den Brand schon überlebt, das sind geschmiedete, massive Stahlteile. Aber sie werden zum Teil mit einem anderen Joch neu aufgehängt. Das hat die Begebenheiten so stark verändert, dass das ganze System der Glocke mit ihrer Gewichtsverteilung neu berechnet werden musste und zwei neue Klöppel nötig waren. Die Klöppel der zweit- und der drittgrößten Glocken mussten wir deshalb neu herstellen. Die größte und einzig alte Glocke, die Emmanuel, ist über 300 Jahre alt. Zu der haben wir 2018 den Klöppel geschmiedet.

Die Bilder vom Brand von Notre-Dame erschütterten im April 2019 die ganze Welt. (Foto: Bertrand Guay /AFP)

Wie kommen Sie als Schmiede ausgerechnet zu Klöppeln?

Nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich mein Großvater darauf spezialisiert, ab den 50er-Jahren haben wir uns mit den Maschinen entsprechend darauf eingestellt. Jetzt machen wir im Jahr ungefähr 1500 Klöppel. Eine Hammerschmiede waren wir schon immer, früher haben wir Werkzeuge für Land- und Forstwirtschaft gemacht. Aber damit könnten wir heute nicht mehr überleben, die werden im Ausland billiger hergestellt.

Hat sich Ihr Gewerk seit den Zeiten Ihres Großvaters verändert?

Im Prinzip ist das Schmieden wie anno dazumal. Nur, dass wir jetzt ein bisschen modernere Schmiedehämmer und Hilfsmittel haben. Durch die Spezialisierung ist unsere Herangehensweise effizienter als bei Industrieschmieden, die Klöppel oft nur als Nischenprodukt herstellen.

Was fasziniert Sie an diesem Beruf am meisten?

Der Ausgangspunkt ist immer ein Stück Stahl. Mit eigener Muskelkraft bewegt man den Rohling und gibt dem seine einzigartige Form mit dem Schmiedehammer. Das Material wird dann immer länger und nimmt entsprechend Konturen an. Das ist schon faszinierend. Und dass wir für Glocken, die bis zu 500 Jahre alt sind, ein neues Bauteil herstellen – das macht uns schon stolz.

Hammerschmied Christian Kirschner vom Rottaler Hammerwerk fertigt einen Glockenklöppel. Da ist Handarbeit gefragt. (Foto: Armin Weigel/dpa)

Wie feiern Sie die Wiedereröffnung von Notre-Dame am Samstag?

So etwas Großes wie Notre-Dame haben wir selten, das ist was Besonderes. Meine Kollegen und ich werden das sicher live im Radio oder im Fernsehen verfolgen. Das wird bestimmt ein Gänsehautmoment, wenn die Glocken endlich wieder läuten. Uns freut es schon sehr, dass wir da zum Zug gekommen sind und französische Glockengießer auf unser Produkt zurückgreifen.

Gab es für die Klöppel von Notre-Dame besondere Herausforderungen?

Das kann man so nicht sagen. Von den 1500 Klöppeln ist jeder individuell an die Glocke und die Begebenheiten angepasst. Die Klöppel von Notre-Dame waren vom Schmieden her nicht schwieriger als die für eine Stadtkirche.

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Unter all den Glocken, die Sie schon gehört haben – welche klingt am schönsten?

Wir müssen Klöppel so schmieden, dass sie optimal an die Glocke anschlagen, das ist eher eine physikalische Herausforderung. Vom klanglichen Hörvermögen bin ich da, was die Teiltöne angeht, nicht so gut. Ich kann eher sagen: Die läutet von der Abfolge richtig.

Ihre Glockenklöppel klingen auch in Chile, Washington, oder Hongkong. Gibt es kontinentale Unterschiede im Geläut?

In den USA zum Beispiel gibt es gar keine Läute-Kultur. Die werden zwar auch von europäischen Glockengießern beliefert, aber dort legt man Wert darauf, dass sie möglichst kostengünstig sind. Für die größten Unterschiede muss man gar nicht so weit fahren, die gibt es bei uns in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die drei Länder haben eine wahnsinnig große Glockenvielfalt. In Österreich spielt da noch mehr Traditionelles hinein, weil sie teilweise so hoch läuten. In Deutschland schwingen wir die Glocken bei 60 bis 80 Grad. In Österreich, in Tirol, oder auch in Südtirol läuten die Glocken mit über 150 Grad. Die sind ganz anders aufgehängt, darauf muss auch der Klöppel angepasst sein.

Wie wirkt sich der hohe Winkel aus? Läuten die Österreicher lauter?

Nein, lauter wird es nicht unbedingt. Eine Glocke hat viele Teiltöne, die werden bei hohem Läuten anders angeregt. Bei uns in Deutschland legt man bei jahrhundertealten Glocken auch großen Wert auf den Denkmalschutz. Das wird oft höher angerechnet als der optimale Klang. Bei alten Glocken macht man dann klangliche Einbußen, dafür wird die Glocke mehr geschont – auch indem man neue Klöppel einbaut. Zum Beispiel haben wir für die „Susanna“ in der Münchner Frauenkirche erst einen neuen Klöppel gemacht.

Wo ist dann der Unterschied zur Schweiz?

In Deutschland, Österreich, oder Frankreich sind während des Zweiten Weltkriegs viele Glocken vom Turm gekommen, weil Bronze für die Rüstungsindustrie benötigt wurde. Bei uns hängen in vielen Stadtkirchen fünf oder sechs Glocken, von denen eine einzige das Baujahr vor 1945 hat – und die anderen danach. In der Schweiz sieht man das nicht, die mussten ihre Glocken ja nicht hergeben im Krieg. Deswegen haben die noch eine vielfältige, alte Glockenlandschaft.

Klingen die Nachkriegsglocken anders?

Da gibt es mit Sicherheit qualitative Unterschiede unter den Gießereien, auch weil während des Krieges viel Fachwissen verloren gegangen ist. Nach dem Krieg gab es ungefähr 15 Glockengießer in Deutschland. Heute sind es noch vier, weil der Bedarf an neuen Glocken nicht mehr so da ist. Trotzdem hatte das für einen Betrieb wie uns und die Glockengießer natürlich einen positiven Effekt – wir hatten Arbeit ohne Ende.

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