Süddeutsche Zeitung

Notfallseelsorge:Wenn Polizisten weiche Knie kriegen

Lesezeit: 5 min

Andreas Simbeck ist Polizeiseelsorger. Er spricht mit den Beamten, wenn sie Einsätze nicht verarbeiten können, sie Suchtprobleme haben oder ein Kollege stirbt.

Von Katharina Kutsche, München

Vor Andreas Simbeck sitzen 20 Zuhörer in Uniform, braune Hose, ockerfarbenes Hemd, grüne Strickjacke. Simbeck, ein kräftiger Mann im Anzug, trägt einen goldenen Anstecker am Revers, das Abzeichen für die Polizeiseelsorger. Der "Polizeiseelsorger, katholisch" steht am Pult in einem Klassenraum der Bereitschaftspolizei Dachau.

Die Klasse vor ihm kennt Simbeck noch nicht, die Beamten haben ihre Ausbildung erst vor Kurzem begonnen. Simbeck unterrichtet Berufsethik. 1000 Meter von der Dachauer KZ-Gedenkstätte entfernt spricht er über polizeiliche Werte, erklärt sein Fach und seine Rolle in der Polizei.

Die besteht vor allem aus Zuhören: Wenn Beamte private Probleme haben oder Ärger im Beruf, bieten die Seelsorger ihnen ein Forum, in dem sie über ihre Sorgen und Ängste sprechen können. "Wir signalisieren: Ich nehme dich ernst, lache dich nicht aus, halte dich nicht für ein Weichei", sagt Simbeck.

Simbeck predigt nicht, er erzählt

Was kann ein Pfarrer einem Polizisten beibringen? Konfession und die Einstellung zur Kirche spielen bei den Beamten keine Rolle. Das sagt Simbeck auch den Polizeischülern in Dachau. Er muss die Polizisten erst einmal davon überzeugen, dass ein Mann mit Priester-Weihen einem mit Waffe helfen kann.

Also spricht er über seine eigenen Erfahrungen im Einsatz, zum Beispiel über eine Mutter, deren Säugling am plötzlichen Kindstod gestorben ist und die ihr Kind nicht aus den Armen geben will. Sie erzählte dem Seelsorger später, welcher Satz eines Beamten sich in ihren Kopf, mehr noch in ihre Seele eingebrannt habe: "Der Leichnam ist jetzt beschlagnahmt."

Simbeck fragt die Polizisten, wie man es hätte besser machen können. "Nicht vom Leichnam sprechen, sondern nach dem Namen des Kindes fragen", lautet die schnelle Antwort. "Genau", sagt Simbeck, "Sie müssen Ihr Tun transparent machen, erklären, warum wir da sind." Vor allem: "Auch in Situationen, in denen Sie sich hilflos fühlen, auf Ihre Sprache achten." Simbeck predigt nicht, er erzählt, redet nicht von Gott und der Welt, sondern vom Zeugnisverweigerungsrecht und seiner Schweigepflicht als Pfarrer: "Wenn mir jemand einen Mord beichtet, dürfte ich nicht zur Polizei gehen."

Zuhören ist oft Hilfe genug

Unterrichten ist nur eine Aufgabe von vielen für den Seelsorger, denn die Themen und Belastungen bei der Polizei sind so vielfältig wie ihre Einsätze. Beim G-7-Gipfel in Elmau ging er mit seinen Seelsorge-Kollegen die Absperrungen ab und sprach mit den Einsatzbeamten. Diese kämpften vor allem mit ihrem Unverständnis für den großen Aufwand und der Angst, die vielen Überstunden nicht abbauen zu können. Simbeck hörte zu, fragte nach, mehr konnte er nicht anbieten. Aber Zuhören ist oft Hilfe genug.

Kurz danach kamen die Flüchtlinge, Simbeck fuhr nach Passau. "Das ist mal eine sinnvolle Tätigkeit", sagte ein Beamter zu ihm. Trotzdem seien viele Polizisten besorgt, wie es weitergehe. Die aktuelle Verschnaufpause ist kurz, glauben viele. Noch mehr Überstunden drohen, ohne ein Ende in Sicht. Auch hier ist aktive Hilfe von den Seelsorgern nicht möglich. Doch Andreas Simbeck ist auch Landespolizeidekan und berichtet an Polizeipräsidenten und Ministerialbeamte - und die fragen ihn durchaus nach der Stimmung an der Basis. Simbeck spiegelt dann, was er bei seinen Dienststellenbesuchen und Gesprächen erlebt, wo es gerade rumort, womit die Polizisten kämpfen. "Das wird auch gehört", sagt er.

Wenn Zeit ist, zelebriert Simbeck Messen im Alten Peter und im Dom. "Es ist mir wichtig, mich auch als Priester wahrzunehmen und zu spüren", sagt er, und dass er nicht nur Kriseninterventionsfunktionär sein möchte. Auf seiner Webseite hat er allein für März 15 Termine für Laudes und Eucharistiefeiern angegeben. Wenn Polizisten von ihm getraut werden möchten oder er ihre Kinder taufen soll, macht er das auch, etwa 20 Mal pro Jahr.

Zeit für eine eigene Familie bliebe da ohnehin nicht: "Der Zölibat hat mir nie ernsthafte Probleme bereitet", sagt Simbeck. "Ich habe ein gutes Verhältnis zu meinem Neffen und meinen Nichten. Natürlich fragt man sich da mal, wie das wäre mit eigenen Kindern." Als sein Berufswunsch klar war, setzte er sich mit der Frage auseinander, abschließend: "Ich kann nur Gott dienen, wenn ich bereit bin, den Menschen zu dienen."

Andreas Simbeck, 53, wuchs in einem religiösen Elternhaus auf, war Ministrant und schon als 14-Jähriger Vorleser im Gottesdienst. "Es hat mir nie etwas ausgemacht, vor der vollen Kirche zu stehen, ich könnte auch einen Gottesdienst in der Olympiahalle halten." Im Umgang mit Pfarrern, die er kannte - "ein positiver Umgang, das muss man ja heute dazusagen" - fragte er sich, ob das nicht auch etwas für ihn wäre. Was er nicht werden wollte, war Lehrer. In Dachau vor den Polizeischülern zitiert er Erwin Pelzig: "Ethik ist Religion ohne Weihnachten."

Seit 12 Jahren hauptamtlich Polizeiseelsorger

Simbeck studierte Theologie, wurde mit 25 zum Priester geweiht, danach Kaplan in Vaterstetten und München. 1992 übernahm er die Truderinger Pfarrei St. Augustinus und war damals schon nebenbei als Polizeiseelsorger tätig. Seit zwölf Jahren ist er hauptamtlich Polizeiseelsorger. Sein Bischof hat ihn von allen kirchlichen Aufgaben freigestellt, die Polizei ihn als Tarifbeschäftigten eingestellt. Gemeinsam mit einer evangelischen Kollegin ist Simbeck in der Seelsorge Südbayern für die "Polizeifamilie" und deren Angehörige zuständig, "Notfallseelsorge nach innen".

Den Kontakt zu ihm stellen oft die Dienststellenleiter her, die Anlässe sind höchst unterschiedlich. Manche Beamte haben Mobbing erlebt oder einen schlimmen Einsatz nicht verkraftet, andere kämpfen mit einer Suchterkrankung und dahinter liegenden Problemen. Wenn er selbst nicht mehr helfen kann, vermittelt er an Psychologen, Suchtberater, Schuldnerberater. "Bei der ersten Einsatznachbereitung hatte ich zittrige Knie."

Ein Polizeibeamter hatte sich umgebracht, seine Kollegen brauchten Betreuung. Zusammen gingen sie zum Ort des Suizids, gedachten des Kollegen, wer wollte, betete mit Simbeck ein Vater Unser. Wie man mit solchen Situationen umgeht, hat Simbeck in Kursen gelernt, alles Weitere komme im Alltag: "Du musst authentisch sein, einfach da sein." Er sagt dann "Grüß Gott, ich bin Andreas Simbeck, ich habe für Sie jetzt Zeit, und wie lang dieses Jetzt ist, spielt keine Rolle."

Die kleine Tochter setze ihrem toten Vater ein Kuscheltier auf den Bauch

Zuletzt musste er das in Bad Aibling machen: Da sein für eine Frau und ihre vierjährige Tochter, deren Mann und Vater bei dem Zugunglück ums Leben gekommen war. Bei Katastrophenalarm werden Simbeck und alle anderen Seelsorger aus Polizei, Feuerwehr und anderen Stellen alarmiert. Alle Zuständigkeiten sind dann aufgehoben, nun gilt Seelsorge nach außen: Überbringen von Todesnachrichten, Betreuung von Angehörigen.

Simbeck organisierte, dass Frau und Tochter Abschied nehmen können und begleitete sie dabei: "Das ist wichtig, damit Menschen den Tod eines Angehörigen annehmen können." Die stark entstellte Leiche musste nicht mal aufgedeckt werden, der Witwe reichte schon die unter der Decke hervorschauende Hand ihres Mannes mit dem Ehering und der Gravur ihres Vornamens darin, um zu verstehen. Die kleine Tochter setze ihrem toten Vater ein Kuscheltier auf den Bauch.

"Ab und zu war ich schon mal an der Grenze, wo mir Tränen in die Augen schießen." Aus Bad Aibling ist er aber "mit einer gewissen Zufriedenheit nach Hause gefahren, weil das anfängliche Chaos sich aufgelöst hat". Auch die Angehörigen der Opfer hätten gesagt, wie gut alles organisiert gewesen sei. "Dieses Gefühl", sagt Simbeck, "überwiegt und gibt Sicherheit fürs nächste Mal."

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SZ vom 23.03.2016
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