Ausstellung in Kaufbeuren:Wider alle Klischees

Ausstellung in Kaufbeuren: Ausschließlich japanische Gegenwartskunst ist in der aktuellen Ausstellung "Nippon Mania" im Kunsthaus Kaufbeuren zu sehen.

Ausschließlich japanische Gegenwartskunst ist in der aktuellen Ausstellung "Nippon Mania" im Kunsthaus Kaufbeuren zu sehen.

(Foto: Kunsthaus Kaufbeuren)

Das Kunsthaus Kaufbeuren zeigt in der Ausstellung "Nippon Mania" japanische Gegenwartskunst - und überrascht einmal mehr.

Von Sabine Reithmaier, Kaufbeuren

Durch mutige Ausstellungen und überraschende Dialoge hat sich das Kunsthaus Kaufbeuren längst einen ausgezeichneten überregionalen Ruf erarbeitet. Trotzdem ist es ein Wagnis, eine Ausstellung ausschließlich mit japanischer Gegenwartskunst zu bestreiten. Aber Jan T. Wilms, seit acht Jahren Chef des Kunsthauses, ist es wichtig, seine Besucher zu überraschen. "Ich will Kunst zeigen, die man in Kaufbeuren nicht erwartet." Das trifft auf "Nippon Mania" zweifelsfrei zu, einer Schau, die sich der Vielgestaltigkeit der aktuellen japanischen Kunst widmet und mit manchem Klischee aufräumt.

Japan ist nicht zum ersten Mal Thema im Kunsthaus. Schon vor fünf Jahren zeigte Wilms die grandiose Ausstellung "Crossing Cultures", die um den Farbholzschnitt in Europa und Japan von 1900 bis 1950 kreiste. Und schon 2009 waren in "Cézanne, Degas, Matisse - Hokusai, Hiroshige, Utamaro" herausragende Werke japanischer Meister zu sehen. Doch dieses Mal handelt es sich um keinen Dialog der Kulturen.

Wilms präsentiert ausschließlich japanische Gegenwartskunst, überwiegend von hierzulande unbekannten Künstlern und Künstlerinnen. So wie Toko Izumi, Jahrgang 1992, deren Bilder sanft in fremde Welten leiten. Ihre rätselhaften Arbeiten wirken wie aus der Zeit gefallen. Das monumentale Gemälde "The story of a certain collector" ginge auch als Fresko eines Pharaonengrabs durch. Zwischen überdimensionierten Farnen, Schachtelhalmen und Disteln tummeln sich in einer surrealen Landschaft Vögel und andere geflügelte Wesen, die Gesichter durch afrikanische Masken verdeckt. Ein anderes Werk zeigt einen schwebenden Mann vor Bäumen und Bergpanorama.

In diesen Zauberwald passen Ryo Kinoshitas irritierende Plastiken aus verkohltem Holz und geflochtenen Wäscheleinen, die an Fischreusen erinnern. Zugänglicher sind seine ungeheuer aufwendig gefertigten "Gemälde" (Kinoshita), Collagen aus Alltagsmaterialien, die mit der Wahrnehmung des Betrachters spielen. Auf einem groben Gitterstoff vereint er grelle Kunststoffbänder, manchmal am Keilrahmen mit Nieten befestigt, Leinwandfetzen, Perlen, Farbbatzen, dazu kleine Silhouetten, die Gestalten mit Zielscheiben zeigen. "He is sneaky" (er ist hinterhältig) nennt sich das Werk.

Es dauert ganz schön lang, bis man in dem Gewimmel das Pendant zu den Zielscheibenmännern entdeckt: eine Waffe mit Finger am Abzug. In einem anderen Bild zeigen Hochseilartisten ihre Künste. Auch hier tarnt sich das Abgründige ziemlich perfekt. Erst nach einer Weile nimmt man die Akrobaten wahr, die entweder gefesselt oder, wie erhängt, mit einer Schlinge um den Hals durch die Luft schwingen.

Mit Wahrnehmungsmechanismen beschäftigt sich auch Aya Kawato. Ihre kleinteiligen Schachbrettraster - sie legt bis zu 120 verschiedene Acrylfarben übereinander - täuschen wiederkehrende Strukturen und Muster vor, nur kleine Fehler stören die ruhige Wiederholung.

Reduziert arbeitet Leiko Ikemur, Jahrgang 1951, die seit Langem in Deutschland lebt. Wie dynamische Wesen ragen in ihrer "Tree"-Serie einzelne Bäume, im Shintoismus der Sitz der Götter, in karge Landschaften. Minimalistische Ästhetik kennzeichnet die Werke der ebenfalls in Deutschland lebenden Malerin Keiko Sadakane. In ihren abstrakten Gemälden dominieren verhaltene Tönen in Grau und Braun, sie setzt auf die subtile Kraft von Zwischentönen, geschöpft aus der Tradition ihrer japanischen Heimat.

Für eine amüsante Abwechslung sorgen die Fotos von Hiroshi Sugimoto. Er fotografierte ein Weile Kinos in der ganzen Welt. Da er die jeweilige Aufnahme genauso lang belichtete, wie der jeweilige Film im leeren Kino dauerte, bliebt vom Film nichts übrig als eine weiß leuchtende Fläche, die den Raum erhellt. Komödien leuchten übrigens heller als Tragödien. Behauptet jedenfalls Sugimoto.

Auf Dauer angelegt ist die Serie "The Will of Inheritance" seines Fotografenkollegen Keiichi Ito. Er nutzt Platin-Palladium-Abzüge, ein fotografisches Edeldruckverfahren, das, in den 1870er-Jahren in England entwickelt, als dauerhafter als die zur selben Zeit erfundenen Silbergelatine-Abzüge gilt. Die ästhetischen Aufnahmen konzentrieren sich auf Hände und Werkzeuge von Kunsthandwerkern. Und belegen, dass im japanischen Kulturraum noch immer kaum zwischen Kunst und (Kunst-)Handwerk unterschieden wird. Dazu passen im Obergeschoß die Keramiken von Kayoko Mizumoto. Sie hat mit ihren originellen Formen die alte Tradition der Kutani-Keramik aufgegriffen und diese in kräftigen Farben und Glasuren weiterentwickelt.

Yayoi Kusama ist hier einmal ohne Punkte zu erleben

Im Obergeschoß trifft man auch auf die älteste und vermutlich auch populärste Künstlerin dieser Ausstellung: Yayoi Kusama, Jahrgang 1929. Allerdings ist sie in Kaufbeuren mit keiner ihrer grell gepunkteten Farbwelten vertreten, sondern mit der Video-Arbeit "Kusama's Self-Obliteration", entstanden in den Sechzigerjahren, als die Künstlerin überwiegend in New York lebte und für ihre Happenings bekannt war. Ihr Markenzeichen sind die Polka Dots, farbige Punkte, die sie auf Leinwände, Skulpturen und Menschen malt, collagiert oder projiziert. Wilms ist davon überzeugt, dass sie mit ihren oft illegalen Aktionen ein weibliches Pendant zum Polka-Dot-Man verkörpern wollte, der seit 1962 in einem gepunkteten Kostüm in Gotham City kriminell aktiv war. Reizvoll auch die Dia-Projektion "Walking Piece", ein Spaziergang durch New York, den die Künstlerin im traditionellen Kimono unternimmt.

Gegensätzlich präsentiert sich Fotokünstler Nobuyoshi Araki. Auf der einen Seite die melancholische Serie über das Sterben seiner Frau Yoko, von der er mit einer "Sentimental Journey" Abschied nimmt. Diesen anrührenden Bildern hat Wilms die deutlich sexualisierten Aufnahmen von jungen "unschuldigen" Schulmädchen gegenübergestellt. Da passt es gut, dass sich gleich gegenüber die Fotokünstlerin Satomi Shirai ebenfalls als erotische Projektionsfläche anbietet. Sie spielt mit der klassischen Frauenrolle und verrenkt sich putzend in absurd vollgestellten Räumen. Ein witziges Spiel mit Klischees und ein amüsantes Pendant zu Araki.

Nippon Mania. Gegenwartskunst aus Japan, bis 11. Juni. Kunsthaus Kaufbeuren, Spitaltor 2, 87600 Kaufbeuren

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