Ein älterer Patient stürzt und bricht sich einen Knochen. Der herbeigerufene Notfallsanitäter gibt ihm Schmerzmittel, doch die Schmerzen bleiben so stark, dass der Patient so nicht in den Krankenwagen gehoben und in die Klinik gebracht werden kann. Also rufen die Sanitäter den Notarzt hinzu. „Solche Situationen haben wir häufig“, sagt Rettungssanitäter Sebastian Reich. Denn ohne Arzt darf ein Notfallsanitäter nur ein erstes Schmerzmittel verabreichen. Über alle weiteren Behandlungen muss ein Arzt entscheiden. In vielen Einsätzen heißt es für die Sanitäter deshalb tatsächlich: warten bis der Arzt kommt.
So war es bislang. Rettungssanitäter Reich aber steht an diesem Montag in einem Rettungsfahrzeug im niederbayerischen Bogen und führt vor, wie Bayern in den kommenden Jahren rettungstechnisch Richtung Zukunft fahren wird. Der Notarzt soll dann nur noch mit dem eigenen Auto herbeieilen, wenn er wirklich vor Ort gebraucht wird. In vielen anderen Fällen wird er sich über einen kleinen Monitor zuschalten, den man in diesem Wagen bereits bewundern kann.

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Bayern richtet in den nächsten Jahren drei Telenotarzt-Standorte ein, der erste davon in Bogen. 29 Krankenwagen haben sie hier bereits mit Monitoren und Kameratechnik ausgerüstet, berichtet Rettungssanitäter Reich, der im Landkreis Straubing für die technische Umrüstung und Schulung der Mitarbeiter zuständig ist. Seit Ende letzten Jahres sind sie hier in der Testphase. Im März soll es offiziell losgehen. Der Telenotarzt kann sich dann zunächst in den Landkreisen Straubing-Bogen, Regen und Deggendorf sowie der Stadt Straubing zuschalten. Später soll ganz Niederbayern, die Oberpfalz und ein Teil von Oberbayern von Telenotärzten aus Bogen betreut werden.
„Ein bundesweit einzigartiges Projekt“, lobt Innenminister Joachim Herrmann (CSU), der an diesem Montag persönlich kommt und zum gelungenen Start gratuliert. Die Teleärzte könnten eine Lücke in der Versorgung schließen, sagt der Minister. „Wenn es mal weniger Kliniken geben sollte, wissen wir alle, dass Notärzte über noch längere Fahrtzeiten gebunden sein werden“, sagt Herrmann. „Da müssen wir sehen, dass wir die Einsätze der Notärzte auf das wirklich Notwendige konzentrieren.“
Telenotärzte können die Zahl der echten Notarzt-Einsätze verringern, die Versorgung verbessern und gleichzeitig den drohenden Ärztemangel lindern. Darin sind sich Ärzte und die Politik einig. „Wenn Notärzte nur noch gerufen würden, wo sie wirklich vor Ort gebraucht werden, bin ich mir sicher, dass wir genug Notärzte haben“, sagt der Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der in Bayern tätigen Notärzte, Björn Hossfeld. Er selbst sei als junger Mann in den 90er-Jahren in Würzburg Rettungseinsätze gefahren. Damals gab es einen Notarztwagen, heute gibt es dort drei. Das aber liege nicht etwa daran, dass die Zahl der Notfälle derart gestiegen sei. Vielmehr würden Ärzte oft gerufen, weil die Sanitäter alleine nicht entscheiden dürfen.
Eine typische Situation aus seiner Erfahrung: Ein älterer Patient ist von seinem Hausarzt angewiesen worden, regelmäßig Blutdruck zu messen. Bei einer Messung ist der Blutdruck ungewöhnlich hoch. Also misst er eine halbe Stunde später noch einmal. Der Blutdruck ist dann noch höher. „Der Blutdruck steigt, wenn man aufgeregt ist“, erklärt Hossfeld. Längst nicht immer also muss so ein Patient ins Krankenhaus. Ein Notfallsanitäter aber kann das alleine nicht entscheiden.
In einem telemedizinisch ausgestatteten Rettungswagen aber kann er den Patienten untersuchen und für den Arzt filmen. Sämtliche Daten kann ein Arzt in der Ferne am Monitor auswerten. In Bogen steht am Montag Telenotarzt Fabian Ripke vor drei großen Bildschirmen und zeigt, wie er dort alle wichtigen Daten des Patienten eingespielt bekommt. Bei den ersten etwa 100 Einsätzen der Testphase hätten sie am häufigsten Patienten mit Herzkreislauf-Problemen helfen können. Das können Patienten mit Verdacht auf Herzinfarkt genauso sein wie solche mit Blutdruckproblemen.
Vielen von ihnen konnte er durch die Anordnung von Medikamenten helfen oder sie so weit stabilisieren, dass sie ins Krankenhaus gebracht werden konnten. Gleiches gilt für die zweite große Patientengruppe, solche mit Verletzungen, darunter auch Bandscheibenvorfälle. Auch hier konnten aus der Ferne die nötigen Schmerzmittel verabreicht werden.
In Bogen wollen sie insgesamt sieben solche Telearbeitsplätze einrichten, von denen aus dann ganz Ostbayern betreut werden soll. Insgesamt 100 Notärzte müssten dann jeweils einen Teil ihrer Zeit in Bogen als Teleärzte arbeiten. Wo die große Zahl an Ärzten herkommen soll, die bereit ist, einen Teil ihrer Arbeit in Bogen zu verbringen, blieb am Montag noch offen. Notarzt Ripke selbst reist derzeit für seine Schicht aus dem Unterallgäu an.