Niederbayern:Straubing - mehr als Gefängnis, Eishockey und Gäubodenfest

Stadtturm am Theresienplatz Straubing Ostbayern Bayern Deutschland Europa ACHTUNGxMINDESTHONOR

Der Stadtturm ist damals wie heute der Mittelpunkt Straubings.

(Foto: imago/Hans Blossey)

Vor 800 Jahren wurde die Stadt von Ludwig I. gegründet, es folgte eine Blütezeit. Heute wird sie zwischen den Touristenzielen Regensburg und Passau kaum wahrgenommen. Warum eigentlich?

Von Andreas Glas

Wer Straubing kapieren will, sagt Dorit-Maria Krenn, der muss rauf auf den Stadtturm. Sie stößt die Holztür auf und geht voran. Sie steigt 227 Stufen hoch, marschiert vorbei am gewaltigen Uhrwerk und der alten Türmerwohnung. Sie duckt sich unter einem Querbalken durch, ein paar Stufen noch, dann ist sie angekommen. Unterm Dach der Stadt.

Hier öffnet sich der Blick in alle Himmelsrichtungen. Hinter den Südfenstern: die Wachtürme der Justizvollzugsanstalt. Hinter den Westfenstern: das Flachdach der Eishockeyhalle. Hinter den Nordfenstern: der Festplatz, der zurzeit Parkplatz ist. Wer die Außenwelt fragt, was ihr zu Straubing einfällt, hört diesen Dreiklang oft: Knast, Eishockey, Gäubodenfest. Es ist das Bild derer, die nie wirklich in Straubing waren. "Wir haben eine schöne und historische Stadt", sagt Stadtarchivarin Dorit-Maria Krenn, aber "wir fallen oft so ein bisschen durchs Raster".

Die Straubinger leben damit, in Bayern nicht recht wahrgenommen zu werden. Es muss schon ein Unglück passieren, dass alle auf ihre Stadt schauen. Wie im November 2016, als ein Feuer das Rathaus fast komplett zerstörte. Wenn gerade kein Unglück passiert, reden die Leute eher über Regensburg, selbst über Passau reden sie öfter, obwohl Passau (51 000 Einwohner) kaum größer ist als Straubing (47 000). "Wir liegen zwischen der wunderbaren Stadt Regensburg und der wirklich schönen Stadt Passau. Da ist so ein bisschen unser Problem", sagt Krenn.

Wären Regensburg, Passau und Straubing Schwestern, dann wäre Straubing das mittlere Kind, das immer etwas härter um Aufmerksamkeit buhlen muss als die anderen. "Sandwich-Kind" heißt diese Ungerechtigkeit in der Geschwisterforschung. Dabei sind es nie die zwei Toastbrotscheiben, die ein Sandwich interessant machen. Aufregend sind immer die Zutaten, die dazwischen klemmen. Man sollte der Sandwich-Stadt Straubing also eine Chance geben, zurzeit erst recht. Straubing feiert 800. Geburtstag.

Falsch, sagt Dorit-Maria Krenn, 57, diese schmale Frau mit den feinen Lachfalten um die Augen. Die Sache mit dem 800. Geburtstag ist auch so ein Irrtum, dem leicht aufsitzt, wer Straubing nicht kennt. "Straubing ist viel älter", sagt Krenn, die ersten Siedlungsspuren stammen aus dem sechsten Jahrtausend vor Christus. Was Straubing in diesem Jahr feiert, ist der Geburtstag seiner Neustadt, des heutigen Stadtzentrums. Man muss wissen: Bis ins 13. Jahrhundert befand sich das Zentrum einen Kilometer donauabwärts, in der heutigen Altstadt. Dann, 1218, gründete Wittelsbacherherzog Ludwig I. weiter westlich, auf hochwassersicherem Gebiet, eine "neue Stadt", wie es in historischen Dokumenten heißt: die Straubinger Neustadt.

Oben, auf dem Stadtturm, hat man den besten Blick über diese sehr alte Neustadt. Der 68 Meter hohe Stadtturm ist nicht nur das Wahrzeichen der Stadt, er ist auch ihr Mittelpunkt. Der Turm teilt den 800 Meter langen Straßenmarkt in Ludwigsplatz und Theresienplatz. Dorit-Maria Krenn steht jetzt am Südfenster und zeichnet den Grundriss der Neustadt im Fensterglas nach. Erst fährt ihr Finger nach oben, über die schnurgerade Marktstraße, dann die Gassen entlang, die im 90-Grad-Winkel rechts und links vom Straßenmarkt wegführen. Die Stadt ist nicht einfach gewachsen, Ludwig I. hat sie akkurat geplant. Aus der Höhe ist sie gut zu begreifen, "diese mittelalterliche, wittelsbachische, planmäßige" Struktur, sagt Krenn. Ein Grundriss, den es in Niederbayern öfter gibt, in Landshut etwa oder in Landau an der Isar. Kein Zufall, auch diese beiden Städte hat Ludwig I. gegründet.

Um den Straubinger Stadtturm reihen sich Häuser mit Treppengiebeln. Die spätgotischen, barocken und Rokoko-Fassaden sind rosa, gelb oder grün und tragen die üblichen Fußgängerzonen-Schriftzüge: Esprit, Vodafone. Früher haben unter dem Turm die Bauern ihre Geschäfte gemacht, auch heute gibt es den "Grünen Markt" noch. Der Straubinger Gäuboden gehört zu den fruchtbarsten Landstrichen Europas - und hat die Bauern reich gemacht. Den Reichtum sieht man den Häusern der Stadt bis heute an. Was nicht mehr so offensichtlich ist: Straubing war nicht nur reich, sondern mächtig. Straubing war Hauptstadt.

Straubing-Holland hieß das Herzogtum, das von 1353 bis 1425 bestand, regiert von den Wittelsbachern. Zwischen den Residenzstädten Straubing und Den Haag lagen 800 Kilometer. Es war "die wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit" Straubings, sagt Dorit-Maria Krenn und schickt mit Augenzwinkern hinterher: "Dass die Regierung der Niederlande heute in Den Haag sitzt, haben unsere Herzöge bewirkt", die Verwaltung und Residenz dorthin verlegten. Ein Relikt des Herzogtums Straubing-Holland ist in der Karmelitenkirche zu besichtigen: das Grabmal von Herzog Albrecht II. In Straubing gibt es weitere Kirchen, deren Kunstschätze den frühen Wohlstand der Stadt dokumentieren: etwa die Basilika Sankt Jakob, die Asamkirche, die Sankt-Peter-Kirche.

Gäubodenfest als Trumpf: Zwischen Großstadt und Provinz

Dem Reichtum Straubings stand früher die Armut des Bayerischen Waldes gegenüber, dessen Hügel man durch die Nordfenster des Stadtturms sehen kann. Den flachen Gäuboden nennen sie "Kornkammer Bayerns", den Bayerwald nannten sie lange bayerisches "Armenhaus". Weil dort das Klima rauer, die Böden schlechter und die Erntezeit später war, boten sich Knechte und Bauern aus dem "Woid" auf Gesindemärkten in Straubing an, um für die Gäubodenbauern zu schuften, bevor daheim die Ernte begann.

Um mal ein paar Stereotypen zu bedienen: Die Eigenart, ein bisschen abschätzig aufs übrige Bayern zu schauen, haben die Oberbayern nicht exklusiv. Auch der Straubinger sei manchmal "ein bisschen selbstherrlich", sagt Krenn. Das könne schon mit früher zu tun haben, als die Stadt noch Hauptstadt war, als Bayern noch Bauernland war und die Gäubodenbauern so was wie die Könige. "Bescheiden ist er nicht", der Straubinger, "aber prahlerisch auf keinen Fall, das hat er nicht nötig", sagt Krenn, das lasse seine "altbayerische Gelassenheit" nicht zu.

Auch Dorit-Maria Krenn nimmt es locker, dass Straubing der Ruf des Provinziellen anhängt, zumindest aus Sicht mancher Großstädter: "Provinzielles Handeln gibt es in der Großstadt genauso wie bei uns." Sie hat ja recht. Apropos großstädtisch: Welche 50 000-Einwohner-Stadt außer Straubing kann schon mit einem Tierpark wuchern? Einem richtigen Tiergarten, mit Schimpansen, Zebras und Tigern? Passau nicht und auch nicht Regensburg, das gut dreimal so groß ist wie Straubing.

Das Gäubodenfest ist noch so ein Trumpf, den die Straubinger ausspielen, wenn jemand mit dem Provinzgerede ankommt. Zuletzt hatte das Fest 1,4 Millionen Besucher. Da kann nicht mal der Augsburger Plärrer mithalten. Lediglich die Münchner Wiesn und das Nürnberger Volksfest ziehen mehr Leute an. "Das passt schon", dass die Außenwelt bei Straubing zuerst ans Gäubodenfest denkt, sagt Krenn, "wir mögen unser Gäubodenfest". Andererseits, findet sie, dürften auch außerhalb der Volksfestzeit gern mehr Leute nach Straubing kommen. In Regensburg und Passau legen die Donaukreuzfahrer zu Hunderttausenden an, in der Sandwich-Stadt Straubing vergleichsweise selten. Andererseits schimpfen Regensburger und Passauer immer öfter über den Lärm in ihren Städten und die Touristenmassen, die ihre Gassen verstopfen.

"Vielleicht sind es bei uns die leiseren Töne, die dann die Qualität machen", sagt Krenn. Neben Stadtplatz-Ensemble und Kirchen gibt es ja noch mehr zu entdecken in Straubing. "Zu meinen Lieblingsorten gehören die Kneippbecken im Stadtpark", sagt Krenn, "weil es so gut tut, im Sommer unter diesem Grün in diesem reinen Quellwasser zu kneippen." Ein "Kommunikationsort" sei der Park, genauso wie der Grüne Markt am Stadtplatz. Mit den Marktfrauen "hast du immer deinen Ratsch". Weil es hier eben "ruhiger und gemächlicher" zugehe als in den großen Städten.

Vielleicht ist es diese Ruhe, die Straubing ausstrahlt, die letztlich bewirkt, dass die Stadt nicht von allen wahrgenommen wird. Der Straubinger prahlt nicht, hat Dorit-Maria Krenn gesagt. Vielleicht sollte er das öfter tun. Er hätte Gründe genug, die Schönheit der eigenen Stadt in die Welt hinaus zu plärren. Ein Armutszeugnis ist es trotzdem nicht, dass vielen Außenweltlern nur dieser Dreiklang einfällt, wenn sie an Straubing denken. Andere, ähnlich große Städte können gar nicht erst aufwarten mit solchen Attraktionen: ein Megaknast, der um 1900 als modernstes "Zuchthaus" Bayerns galt und die Menschen bis heute fasziniert; ein Eishockey-Klub, die Tigers, die seit zwölf Jahren in der höchsten Liga der Republik spielen; ein Volksfest, das die Leute aus ganz Bayern anzieht.

Der Dreiklang, "gehört auch zu Straubing", sagt Dorit-Maria Krenn. Sie duckt sich unter dem Querbalken durch, marschiert vorbei am Uhrwerk und der Türmerwohnung, 227 Stufen, dann ist sie wieder unten angekommen.

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