Wallfahrtskirche in Niederbayern:Das Wunder Sammarei

Sammarei

Mit ihrem monumentalen Schnitzaltar sowie der vollständig erhaltenen Holzkirche aus dem Mittelalter zieht die Wallfahrtskirche Sammarei Pilger aus der ganzen Welt an.

(Foto: Sophie Linckersdorff)

Für eines der originellsten Gotteshäuser Bayerns ist vor 500 Jahren im Rottal die Basis gelegt worden. Die Wallfahrtskirche birgt eine sensationelle Altarwand, unzählige Votivtafeln und viele Spuren Gläubiger.

Von Hans Kratzer

Dass diese lustige Altarfigur einzigartig ist, bestätigt auch Pater Adam Litwin, der schon seit 17 Jahren als Pfarrer in der niederbayerischen Wallfahrtskirche Sammarei wirkt. Er verweist auf einen alten Spruch, der besagt: Wer jemals Sammarei besucht, dieses Engerl aber nicht gesehen hat, der ist nicht in Sammarei gewesen. Leider lässt das reiche Zierwerk des Altars den über einem Heiligen schwebenden Putto leicht übersehen.

Das gschlamperte Engerl, wie es der Volksmund nennt, bestätigt seinen Ruf ganz und gar. Es trägt zwei verschiedene Schuhe, der rechte "Hax" (Bein) ist umhüllt von einem faltigen Strumpf, auf dem Rücken kleben keine Engelsflügel, sondern die Flügel eines Maikäfers. Seine Nackigkeit offenbart unübersehbar, dass wir einen Jüngling vor uns haben, obwohl Putti ansonsten immer geschlechtslos in Erscheinung treten. In der linken Hand hält er einen Trinkbecher, mit der anderen Hand tippt er sich an die Stirn. Man könnte diese Geste durchaus wie Pfarrer Litwin interpretieren, der nicht ausschließt, dass dem Betrachter der Vogel gezeigt wird.

Mit diesem frühbarocken Putto hat sich der aus Südtirol stammende Altarschnitzer Jakob Bendl ein Spassettl erlaubt, das einem unweigerlich ein Schmunzeln entlockt. Bendl hatte sich 1640 im Rottal als Wirt niedergelassen, was erklärt, warum der Putto irgendwie an einen frechen Wirtsbub erinnert. Von 1647 schuf er dann in seiner Werkstatt in Pfarrkirchen die sensationelle Altarwand, die Sammarei zu einer der originellsten bayerischen Kirchen überhaupt werden ließ. Bendls theatralische Inszenierungen können jederzeit auch Ungläubige in ein Staunen versetzen.

Noch vieles andere ist höchst wundersam, selbst der Name Sammarei steckt voller Exotik. "Ja mei", sagt die Mesnerin Anita Schneider beim Zusammentreffen in der Kirche, "viele glauben halt, Sammarei sei was Japanisches. Aber da sag ich gleich, das ist einfach die bairische Form der Muttergottes Sancta Maria." In der Tat sagt man im Rottal zur Maria auch Marei, "und wenn man es langsam spricht, dann hört man das raus", sagt die Mesnerin. So wurde aus Sanct Marei eben die Sammarei.

Und wo gibt es das sonst noch, dass quasi zwei Kirchen in einer stecken? In Sammarei wurde die 1631 vollendete frühbarocke Kirche Mariä Himmelfahrt einfach über die ursprüngliche Holzkirche drübergebaut. 1521, also vor genau 500 Jahren, wurde diese Holzkapelle erstmals urkundlich erwähnt. Gut ein Jahrhundert später sollte sie Schauplatz eines Wunders werden. Ein benachbarter Bauernhof brannte nieder, die Flammen berührten auch das Dach der Kapelle, ohne sie in Brand zu stecken. Auch der Apfelquittenbaum neben der Kapelle wurde versengt, bis auf einen Ast, der über das Dach ragte. Er blühte wieder und trug so herrliche Früchte, dass die Kurfürstin Elisabeth vor Begeisterung den Bau der neuen Wallfahrtskirche förderte.

Pater Adam und Mesnerin Anita könnten stundenlang solche Geschichten ausbreiten. Der Eindruck, an einem Kraftort zu verweilen, verstärkt sich beim Anblick der bilderbuchartigen Altarwand mit der Hundertschaft verspielter Figuren. Mittendrin ist durch ein Gitter zu erkennen, dass hinter dem Altar eine sakrale Welt folgt, in der sich mit magischer Wucht die geschindelte Holzkapelle mitsamt Glockenturm erhebt. Der Eingang ist so niedrig, dass man den Innenraum mit dem alten Gnadenbild nur gebückt betreten kann.

Der Pilgerbetreuer Herbert Webersberger ist in der Kapelle voll in seinem Element. Sein Reden ist erfüllt von all den Wundern und Sensationen, deren Mythos diese Räume bis heute konservieren. In manchen Menschen haben sie einen Glauben entfacht, der durch nichts zu erschüttern ist. Das beste Beispiel ist Webersberger selber. Er wäre, wie er erzählt, Alleinerbe eines Vierseithofs gewesen. "Aber die Muttergottes von Sammarei hat mich hierher gezogen. Es ist der schönste Arbeitsplatz dieser Erde", schwärmt er. Den Hof übernahmen die Schwester und deren Mann, und für Webersberger besteht kein Zweifel: "Die Muttergottes und Bruder Konrad haben für alles gesorgt." Jener heilige Bruder Konrad von Parzham, der in der Nähe aufgewachsen ist und oft zu Fuß nach Sammarei gelaufen ist.

Unübersehbar sind die Rillen in den alten Türpfosten der Kapelle. Sie bezeugen, dass die Pilger einst mit Messern reingeschnitten haben, um einen Holzspan zu ergattern. Sie wollten etwas Materielles nach Hause bringen, und sei es ein kleines Stück Holz. So schwingt hier auch die menschliche Fehlbarkeit mit. "Denn ein Span aus Sammarei wurde durchaus auch beim Kartenspiel gehandelt", erzählt Webersberger augenzwinkernd.

Die Wallfahrt erfreut sich in der von Glaubenskrisen geschüttelten Gegenwart immer noch großer Beliebtheit. Es ist kein Schaden, dass die Umgebung gesprenkelt ist mit wunderbaren Wanderwegen und Fahrradrouten. "Sogar aus Südafrika und aus Korea haben wir schon Gäste hier gehabt", erinnert sich die Mesnerin, die auch für die Mitbringsel der Pilger verantwortlich ist. Der Umgang und die Wände der Kapelle sind über und über mit Votivtafeln bedeckt. Und es kommen ständig welche dazu. "Bei uns wird jede Tafel aufgehängt, da find ich schon ein Platzerl", sagt sie.

Auf den Bildern tritt einem das ganze Elend und das ganze Hoffen dieser Welt entgegen. Das früher wohl noch heftiger war, als Hochleistungsmedizin, Versicherungen und Rundumversorgung noch eine Utopie waren und Krankheiten wie Diphtherie die ganze Kinderschar einer Großfamilie auslöschten. Die Tafeln künden sowohl von der "Melancholey", die solche Nöte bei den Menschen auslöste als auch von wundersamer Rettung. Wunder, sagt Anita Schneider, "die gibt es heute ebenso wie früher. Man muss sie nur erkennen".

Der Glaube versetzt Berge, da lässt sie sich nicht beirren, auch weil sie oft erlebt hat, wie hoffnungslos daliegende Kranke wieder gesund wurden. Auf der linken Altarseite ist die Seuchenheilige Corona dargestellt, deren Körper zwischen Palmen gespannt ist, damit sie in Stücke gerissen werde. Pater Adam erzählt, ein Besucher habe mal geklagt: "Das ist keine Gscheite, weil sie uns nicht hilft." Die Mesnerin rieb ihm hin: "Natürlich hilft die heilige Corona, es muss halt mehr gebetet werden." Nur einmal in ihrem Leben war die unerschrockene Frau sprachlos, 2006, als ihr Papst Benedikt XVI. bei einer Audienz in Rom die Hand schüttelte: "Da hab ich nimmer gewusst, was ich jetzt sagen soll."

Pater Adam hält Sammarei für ein probates Heilmittel gegen die Hektik und Rastlosigkeit der Gegenwart. "Gott hat keine Eile", sagt er. Bei ihm geht alles langsam. In den ersten hundert Jahren fand die Holzkirche kaum Beachtung. Aber danach begann eine spannende Geschichte. Ausgehend von einem Wunder, das nach seiner Überzeugung bis heute nachwirkt.

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