Niederbayern:In Viechtach gibt es Fischleder wie früher im Osten Sibiriens

Niederbayern: Anatol Donkan stammt selbst aus Sibirien.

Anatol Donkan stammt selbst aus Sibirien.

(Foto: Stephan Gauer/mediendenk)

Anatol Donkan hat es geschafft die längst vergessene Gerbtechnik der Nanai wieder aufleben zu lassen. Sein Material ist auch auf Laufstegen zu sehen.

Von Anna Günther, Viechtach

Anatol Donkan schiebt seine Arme bis zu den Ellenbogen in den Berg aus Fischhäuten, wringt sie wie Fensterleder. Silbrige Häute schmatzen in rotbrauner Brühe. Der Boden ist übersät mit Schuppen. Es riecht salzig, irgendwie nach Meer. Mitten im Bayerwald. Gerben von Fischhaut stinkt nicht. Das ist nicht die einzige Überraschung dieses Tages.

Hinter seinem 250 Jahre alten Haus am Viechtacher Stadtplatz, Tausende Kilometer von seinem Geburtsort in Sibirien entfernt, gerbt Donkan Fischhäute. 20 Jahre lang tüftelte der Russe, besorgte sich Reste aus Sushi-Restaurants und Fischläden, versuchte sie zu gerben, scheiterte und fing von vorne an. Ausreichend Fischhäute für seine Gerbversuche bekam der 60-Jährige erst in Bayern. Im Wald.

Seit 2006 lebt Donkan mit Partnerin Mareile Onodera in Viechtach. Beide Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht, die Kultur der Nanai zu bewahren, zeigen im Obergeschoss ihres Hauses alte Kultobjekte des indigenen Volks und Kaftane aus Fischleder. Onodera trägt sogar einen Fisch aus Silber am Finger. Traditionell leben die Nanai am Unterlauf des Flusses Amur, im östlichsten Teil Russlands zwischen chinesischer Grenze und Nordpazifik.

Die Russen stellten deren Riten im Sozialismus unter Todesstrafe. "In China sagt man fischhäutige Barbaren zu den Nanai", sagt Donkan und grinst. Was manche Nanai über Chinesen und Russen denken, behält er für sich. Etwa 12 000 Nanai leben heute in Ost-Sibirien. "Nanai" steht auch in Donkans Pass, lange war die Kultur seiner Ahnen für ihn nur ein Wort. Erst als Erwachsener suchte er nach seinen Wurzeln.

Dass er anders ist, habe er schon im Kinderheim gespürt, erzählt Donkan, "ich habe nie zu dieser Gesellschaft gepasst". Er zwinkert vergnügt hinter den kreisrunden Brillengläsern und klingt fröhlich, wie bei allem, was er an diesem Tag erzählt. Was ein Nanai ist, wusste Donkan als Kind nicht. Er floh in seine Fantasie und malte. Weil er gut in der Schule war, durfte Donkan an der Marineakademie studieren. Etwas Solides, rieten die Lehrer. Er wollte reisen und fuhr als Steuermann der Fischereiflotte durchs Nordmeer. Erst mit den Lockerungen der Perestrojka unter Michail Gorbatschow durften auch Russen ohne Parteibuch an die Unis. Donkan studierte noch einmal, Kunst, und suchte nach seinen Wurzeln. Er fand Mareile Onodera.

Niederbayern: Der Künstler will die Kultur der Nanai, eines indigenen Volkes am Amur, bewahren.

Der Künstler will die Kultur der Nanai, eines indigenen Volkes am Amur, bewahren.

(Foto: Stephan Gauer/mediendenk)

Sie trafen sich Anfang der Neunzigerjahre in Wladiwostok. "Dem San Francisco des Ostens", sagt Onodera und schmunzelt. Wilde Zeiten seien das gewesen, Aufbruchsstimmung. Sie erzählt bei Mini-Pizza und Tee von rauschenden Partys und aphrodisierenden Tränken aus Farn und Seegurken. Mit 21 zog die Straßburgerin nach Japan, bereiste mit ihrem japanischen Mann die Welt, studiert in Wien Malerei, stellte in Deutschland, Österreich und Japan aus und unterrichtete Kunst. Als Witwe kam sie nach Wladiwostok und blieb acht Jahre. Mit Donkan reiste Onodera an den Amur und lebte immer wieder mit den Nanai. Sie suchten die Alten, die noch schamanische Riten kannten und nicht im Sozialismus umerzogen wurden.

Auf der Nordtangente der Sibirischen Eisenbahn ging es durchs Nirgendwo, der Zug hielt auf der Wiese. In einer alten Schamanenhütte fand Donkan eines Tages ein Stück Fischhaut. Wie das verarbeitet wird, wusste im Dorf niemand mehr. Die letzte Gerberin der Region verriet es nicht. Das Künstlerpaar sammelte Kult-Gegenstände und Lederfetzen, die den Sozialismus überdauert hatten und gründeten in Wladiwostok das "Amur Ethnic Art Museum".

Wie das Künstlerpaar nach Viechtach kam

Niederbayern: Anatol Donkan fertigt in seinem Atelier nicht nur Kunst und schöne Dinge aus Fischhäuten, sondern auch aus Holz.

Anatol Donkan fertigt in seinem Atelier nicht nur Kunst und schöne Dinge aus Fischhäuten, sondern auch aus Holz.

(Foto: Stephan Gauer/mediendenk)

Ende der Neunziger siedelten Mareile Onodera und Anatol Donkan nach Wien um. "In Russland wurde es immer komplizierter", sagt Onodera. In Wien begann Donkan zu tüfteln, wollte endlich begreifen, wie seine Ahnen das Leder gerbten. Mareile Onodera klapperte die Sushi-Restaurants ab. Im bayerischen Wald schließlich fand Donkan reichlich Rohstoff für seine Tüfteleien. In Bischofsmais stand damals noch eine Lachsveredelungsfabrik. Weitere fünf Jahre und unzählige Telefonate mit Lederexperten in der Schweiz dauerte es, bis Donkan das Leder so gerben konnte wie seine Vorfahren. Mittlerweile kauft Dokan die Häute von der Deutschen See, einem der größten deutschen Fischereiunternehmen. Was von den Filets fürs Kühlregal übrig bleibt, kommt in gefrorenen Blöcken nach Regensburg.

Donkan konserviert die geschuppte und von Fleischresten befreite Fischhaut wie seit Jahrtausenden mit Salz. Seine Augen zwinkern hinter den Brillengläsern, die Hände fuchteln in der Luft. Er spricht gut Deutsch, aber wenn er ganz sicher sein will, dass man versteht, fliegen die Hände. Donkan gerbt sein Leder mit Kastanien- oder Mimosenbaumrinde. Die Gerbstoffe dringen in die Fischhaut ein und lassen sie zu Leder werden. Rezeptur und Details des Prozesses bleiben Donkans Geheimnis. Nur so viel: Durch Kneten der Häute im Gerbsud dringt Pflanzensäure in die Haut. Um das zu beschleunigen, muss er kneten wie ein Bäcker seinen Teig.

Die Nachfrage ist groß, in der kleinen Werkstatt stellt Donkan mit einer Mitarbeiterin Taschen, Portemonnaies, Gürtel, Hundehalsbänder und Schlüsseltäschchen her. Oder er verkauft das Leder an Designer. Besonders begehrt und besonders aufwendig zu gerben ist Stör. Aber die Suche nach geeigneten Fischhäuten sei nach wie vor schwierig, sagt Mareile Onodera.

Neben Lachs bekommt Donkan Wels von Fischereiverbänden, die diese Riesenfische aus der Isar holen müssen, und Störe aus dem Allgäu. Aber es reicht nicht. Onodera hofft auf Karpfenzüchter in der Oberpfalz. Fisch gibt es genug, aber die dort üblichen Spiegelkarpfen sind zu fett und ohne Schuppen eher zu langweilig für Leder. "Wir verhandeln gerade, dass Fischer Amurkarpfen züchten", sagt Onodera. Aber die sibirischen Fische wachsen langsamer als Spiegelkarpfen.

Fischleder ist begehrt und nachhaltig. Mittlerweile fragen sogar Designer an. Onodera wundert das nicht: "Die Nanai sind wie Italiener, die haben auch immer die schicksten Sachen an." In den Neunzigerjahren veranstaltete das Künstlerpaar in der deutschen Schule in Moskau eine Modenschau mit Fischhautkleidern. Getrocknet ist die Haut fragil und starr wie Pergament. Gerben konnte Donkan damals noch nicht. Kult-Kimonos für Ausstellungen, Kleider für Events, Messen und ein Design-Nachwuchs-Preis in Paris folgten. Für die Zukunft wünscht sich Mareile Onodera eine kleine Manufaktur, in der Donkan sein Wissen weitergeben und Material für Mode herstellen kann. "Wenn man so tolle Materialien hat, muss es Haute Couture sein, kein Ethno-Kram", sagt Onodera.

Die Arbeitsteilung ist klar: Donkan kümmert sich um das Gerben, die Lederverarbeitung und seine Kunst. Onodera leitete den Umbau des Hauses, managt Vermarktung und Museum. Abends bleibt Zeit für ihre Malerei. Überall an den Wänden des 250 Jahre alten Hauses hängen ihre Bilder, hölzerne Geistergestalten aus Sibirien bewachen die Bewohner, auf der Couch schläft die Katze. Den Balanceakt zwischen Ost und West, alt und modern leben beide jeden Tag. "Wir haben uns ins Haus eingefügt", sagt Donkan.

Zehntausende Kilometer und Jahrzehnte von der Zeit am Amur entfernt lebt die Kultur der Nanai. Am Viechtacher Kirchplatz wirkt das irgendwie kauzig, aber sympathisch. Im Atelier, einem feuchtkalten Stadel am anderen Ende des Ortskerns, schnitzt Donkan Bären und Pferde aus Eichen- oder Lindenholz. Aus entwurzelten Bäumen, betont er, das sei wichtig. Für seine Totemtiere fälle er keine Bäume, die haben auch eine Seele.

Am Türstock der Gerberei sind Schlangen und Bären in den Putz gekratzt. Diese sollen die Verbindung zu den Ahnen herstellen und das Haus schützen, sagt Donkan, "die Fischlederverarbeitung war vergessen, ich kann allen Schutz brauchen". Dann wird es ihm zu mystisch: "Aber das ist kein Tempel hier, das ist ein Arbeitsplatz."

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