Niederbayern:Geisterstadt am Inn: Simbach nach dem Hochwasser

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Die Spuren der Flut sind noch überall in Simbach zu sehen: Viele Menschen hausen im Obergeschoss und warten auf Hilfe vom Staat, damit sie endlich mit den Reparaturen beginnen können.

(Foto: Sebastian Pieknik)

Drei Monate nach der verheerenden Flutwelle macht sich unter den Einwohnern Missgunst breit. Politiker versprachen schnell und unbürokratisch Hilfe. Passiert ist bislang wenig.

Von Andreas Glas, Simbach

Maria Bachmaier (Name geändert) schaut über den Gartenzaun, hinüber auf den Trümmerhaufen, wo früher ihre Nachbarn wohnten. Ein Bagger fährt seine Kralle aus und reißt die letzten Mauerstücke ein. Das andere Nachbarhaus ist noch da, steht aber leer, die Mauern sind mit Heizöl vollgesaugt, die Flut hat es unbewohnbar gemacht. "Wird wahrscheinlich auch abgerissen", sagt Maria Bachmaier.

Es ist einsam geworden in der Gartenstraße. Drei Monate ist es her, da wälzte die Flut durch Simbach am Inn, tauchte die Häuser in eine braune Brühe, riss Autos, Möbel und auch Menschen mit. Fünf Simbacher starben bei der Katastrophe. Die Gartenstraße hat es besonders schlimm erwischt, hier stehen die Häuser zu Dutzenden leer.

Dass dort mal gewohnt wurde, daran erinnern nur die Namen auf den Klingenschildern. Wer es sich leisten kann, ist umgezogen, einige haben sich bei Freunden oder Verwandten einquartiert - und manche machen es wie Maria Bachmaier: Sie wohnen und kochen, wo sie früher nur geschlafen haben, im ersten Stock ihres Hauses, unten ist ja alles hin.

Maria Bachmaier, 69, wird in der Gartenstraße bleiben. An dem Ort, der auf ewig mit dem 1. Juni 2016 verbunden bleiben wird. Dem Tag, als sie mit ihrem Mann am Fenster im ersten Stock stand und zuschauen musste, wie aus dem knöcheltiefen Simbach ein Fluss wurde und aus dem Fluss eine Flutwelle. Irgendwann kam die Wasserwacht und hat das Ehepaar Bachmaier aus dem Schlafzimmerfenster ins Rettungsboot geholt. Sie haben überlebt, aber ihr Leben ist jetzt ein anderes.

Die Bachmaiers fühlen sich im Stich gelassen. Nicht nur von den Nachbarn, die plötzlich weg sind, auch von den Politikern, die in den Tagen nach der Flut durch den Simbacher Schlamm stapften, in Stiefeln für die Fotografen posierten und versprachen, den Flutopfern "schnell" und "unbürokratisch" zu helfen. Doch außer einer Soforthilfe von 1500 Euro haben die Bachmaiers nichts bekommen. Sie wollen ihr Haus wieder herrichten, wollen endlich anpacken, aber Anpacken kostet Geld und "die paar Tausend Euro auf unserem Konto reichen nicht", sagt Maria Bachmaier.

"Ich dachte auch, dass es mit den Hilfen besser funktioniert", sagt Thomas Klumbies (SPD), Simbachs Zweiter Bürgermeister. Er schlappt die Gartenstraße entlang, in Sandalen und kurzen Hosen, vorbei an einem Fenster, hinter dem ein Mann den Putz von seiner Wohnzimmerwand haut. Der Mann ist einer derjenigen, die einen Kredit aufgenommen haben oder Ersparnisse angreifen, weil sie nicht länger auf Hilfe warten wollen und die Dinge selbst in die Hand nehmen.

Manche haben mehrere Zehntausend Euro aus eigener Tasche vorgestreckt, für Mörtel, Werkzeug, Maschinen. Wie viel davon der Freistaat am Ende übernehmen wird, weiß niemand so genau. Etliche Anträge für Hochwasserhilfen sind beim Landratsamt eingegangen - doch mehr als eine Eingangsbestätigung hat kaum ein Flutopfer bekommen.

"Das Geld ist ja da, aber das Landratsamt kriegt es nicht hin, das Geld zu den Leuten zu bringen", sagt Klumbies. Der Bürgermeister deutet die Straße hinauf, die Häuser rechts und links sehen fast alle gleich aus. Im Erdgeschoss sind die Außenmauern unverputzt, hinter den Fenstern leere Zimmer, in den Gärten liegt immer noch Schutt.

Ihm sei schon klar, dass das Landratsamt die Schadensumme jedes einzelnen Hauses prüfen müsse, sagt Klumbies. "Aber ich sehe doch mit bloßem Auge, wenn das Erdgeschoss und der Keller zerstört sind und ich weiß auch ohne Gutachter, dass das ein Schaden von locker 100 000 Euro ist. Da verstehe ich nicht, dass das Landratsamt den Leuten nicht schon mal 50 000 Euro auszahlt, damit sie wenigstens anfangen können, ihre Häuser wieder herzurichten."

"Wir können dem Landrat nur sagen, dass es schneller gehen muss"

Das Landratsamt Rottal-Inn wehrt sich gegen diese Kritik. Das Amt rechtfertigt die schleppende Hilfe damit, dass es eben dauere, bis die Anträge für die Hochwasserhilfen sorgfältig geprüft seien - schließlich handle es sich um Steuergeld, das nicht unnötig verschwendet werden solle. Mehr ist aus dem Landratsamt nicht zu erfahren, Landrat Michael Fahmüller (CSU) ist nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. In Simbach heißt es, Fahmüller ducke sich weg. Und manche finden, dass der Landrat auch die Spendengelder nur widerwillig raus rücke.

Die Stadt Simbach sei machtlos, sagt Thomas Klumbies, im Katastrophenfall sei allein das Landratsamt zuständig, "wir können dem Landrat nur sagen, dass es schneller gehen muss". Der Bürgermeister steht jetzt im Ortskern, auf einer Brücke, die über den Simbach führt. Er beugt sich nach vorne und schaut ins plätschernde Wasser, das in der Mittagssonne glitzert. "So friedlich", sagt er, "ein Bacherl."

Dann richtet er sich auf, hält die Handkante an die Stirn und schaut sich um. "Da ist ein Haus gestanden", sagt Klumbies und deutet mit dem Kopf nach rechts, "da drüben auch, da auch, die sind alle weg, alle abgerissen." Wie offene Wunden klaffen die Löcher zwischen den Häusern, die noch stehen. Überall Bauzäune, rot-weiße Absperrbänder, Schilder mit der Aufschrift: "Gesperrt, Lebensgefahr".

Ein Paar, beide Mitte Fünfzig, spaziert über die Brücke. "Ein Wahnsinn", sagt der Mann. Er heißt Walter Oertel, braun gebrannt, breites Kreuz, tiefe Stimme. Mit seiner Frau Anja hat er in der Gartenstraße gewohnt, im eigenen, frisch renovierten Haus. Bis die Flut kam. Das Haus gibt es nicht mehr. Abgerissen. Seit drei Monaten leben die Oertels in der Wohnung von Bekannten. Einer Wohnung, die mit ihnen nichts zu tun hat. "Wir haben eine Unterkunft, möbliert, aber es ist nichts meins", sagt Anja Oertel. "Ich fühle mich aufgehoben, aber nicht daheim. Das tut weh."

Immerhin, die Oertels haben eine Versicherung, die ihren Schaden zahlen wird. Die Versicherung ist ein Glück für die Oertels. Und ein Ärgernis. Vor den Nachbarn, die keine Versicherung haben, "musst du dich fast schon rechtfertigen, dass du versichert bist", sagt Walter Oertel. "Wir haben jetzt natürlich Neider. Dabei hätten die sich nur selbst versichern müssen. Das sind jetzt die, die am lautesten nach dem Staat schreien und schimpfen, dass es mit den Hilfen so lange dauert."

Vor drei Monaten war da Zusammenhalt - jetzt Neid und Schadenfreude?

Wer die Simbacher fragt, wie sie mit den Folgen der Flut klarkommen, der erlebt eine gespaltene Stadt. Da gibt es solche, die versichert sind und über den Neid der Nicht-Versicherten lästern. Und solche, die über die Schadenfreude der Versicherten schimpfen. Zum Beispiel Johanna Saller, 54, die auf einem Höckerchen sitzt und Unkraut zupft in ihrem Garten, der kein Garten mehr ist, sondern ein umgepflügter Acker, drumherum ein Maschendrahtzaun, in dem noch der Dreck und der Müll hängt und was sonst noch so angespült wurde, als der Bach ihr Haus geflutet hat. Manche Nachbarn, die versichert seien, sagt Saller, "die lachen mich aus".

"Vor drei Monaten haben sie miteinander Schlamm geschaufelt und jetzt ist da dieser Neid. Das ist brutal", sagt Bürgermeister Klumbies, während er in Richtung Isarstraße marschiert. Auf dem Weg dorthin trifft er immer wieder Menschen, die verbittert darüber reden, dass sie vom Staat allein gelassen werden. Dass sie so lange auf die Hilfe warten müssen, die sie so dringend brauchen. Aber die Hilfe kommt nicht. Oder nur sehr langsam.

In der Innstraße angekommen, sieht man am deutlichsten, welche Gewalt die tödliche Flut entfesselt hat. Die Schaufenster der Läden und Lokale sind mit Spanplatten vernagelt, in den Seitengassen liegt immer noch hüfthoch der Schutt. Hier ist Simbach eine Geisterstadt, vor allem nachts, wenn es stockdunkel ist, weil die Flut die Straßenlaternen weggerissen hat. "Nachts ist es wie im Ghetto. Alles tot", sagt Thomas Klumbies.

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