Neustadt an der Donau:Wasserstoff aus der Raffinerie

Neustadt an der Donau: Rohöl-Raffinerien sind eigentlich ein aussterbendes Geschäft. Deshalb investieren sie hier auch in Anlagen wie diesen Cracker, in dem auch biogene Reststoffe verarbeitet werden können.

Rohöl-Raffinerien sind eigentlich ein aussterbendes Geschäft. Deshalb investieren sie hier auch in Anlagen wie diesen Cracker, in dem auch biogene Reststoffe verarbeitet werden können.

(Foto: Bayernoil)

Bayernoil, Bayerns größte Raffinerie­gesellschaft, will weg von Benzin und Heizöl, hin zu E-Fuels und Co. Gelingen soll das unter anderem mit nachhaltig produziertem Wasserstoff. Nur: Wann ist grün eigentlich grün?

Von Maximilian Gerl, Neustadt an der Donau

Visionen lassen sich oft schwer erklären, also hat Bayernoil-Chef Michael Raue drei Blatt Papier mitgebracht. Auf dem ersten sieht man schwarz - Raues Raffinerie verarbeitet Rohöl zu Benzin und anderen klimaschädlichen Produkten. Auf dem zweiten Blatt hat sich das Portfolio verändert, grüne und schwarze Symbole halten sich ungefähr die Waage. Auf dem letzten Blatt: fast nur noch grün. Wenn es nach Raue geht, soll diese Farbe bald das alte Schwarz ablösen. "Die Raffinerie muss grün werden", sagt er.

Bayernoil, Bayerns größte Raffineriegesellschaft, will ihr Geschäftsmodell radikal verändern. Statt Kerosin, Flüssiggasen oder Heizöl sollen mehr und mehr klimafreundliche Produkte durch die Leitungen strömen. Helfen soll dabei jenes Element, das derzeit landauf, landab Nachhaltigkeitsfantasien beflügelt: Wasserstoff. Nur: Wann ist grün eigentlich grün?

Noch sind die Bayernoil-Pläne nur auf Papier zu sehen, in einem Konferenzsaal in Neustadt an der Donau, Landkreis Kelheim. Befände sich der Raum auf der anderen Seite der Firmenzentrale, täte sich hinter dem Fenster ein bis zum Horizont reichendes Labyrinth aus Rohren, Anlagen und Tanks auf. Menschen sieht man darin selten und wenn dann auf dem Rad, unterwegs, ein Ventil zu kontrollieren. Gesteuert wird die Raffinerie zentral, Sensoren überwachen die Prozesse. Zwölf Milliarden Liter Rohöl verarbeitet Bayernoil in Neustadt und im benachbarten Vohburg jährlich. Nach Raues Vorstellung soll damit bis 2045 möglichst Schluss sein; von jenem Jahr an will Deutschland klimaneutral sein. Von einem Umbau der Raffinerie spricht Raue deshalb: hin zu Alternativen wie grünem Methanol oder E-Fuels.

Dabei spielt nachhaltig produzierter Wasserstoff eine zentrale Rolle, das Element wird für viele chemische Prozesse und Produkte benötigt. Vereinfacht soll auf dem Raffineriegelände eine 125 Megawatt starke Elektrolyse-Anlage entstehen. Später sollen die Kapazitäten nach und nach auf bis zu 800 Megawatt steigen. Die für die Wasserstoffproduktion nötige Energie soll einerseits über noch zu bauende Solar- und Windanlagen gedeckt werden. Andererseits soll unter anderem Restholz vergast werden - also Äste und anderes Material, das Sägereien nicht verarbeiten. Raue kalkuliert im Endausbau mit bis zu vier Millionen Tonnen Holz im Jahr, starten will er mit einer halben Million Tonnen. Auf den derzeit in der Raffinerie per Erdgas produzierten Wasserstoff könnte man verzichten, sobald sich neben Solar und Wind auch Holz und andere biogene Quellen wie Klärschlamm erschließen lassen.

Der quasi erste Teil des Umbaus ist in Vorbereitung. Der Elektrolyseur steht als "BayH2" auf einer Förderliste von Freistaat und Bund, Projektpartner ist Vattenfall. Die EU-Kommission muss noch zustimmen. Öffentlich war zuletzt von Fördergeldern bis 100 Millionen Euro die Rede.

Wann ist Kraftstoff eigentich grün?

Doch wo Nachhaltigkeit anfängt und wo auf, ist mitunter schwer zu bestimmen. Schwieriger und ungewisser ist deshalb der zweite Teil des Umbaus, also die Nutzung von biogenen Rohstoffen für neue Produkte. Das liegt im Fall des Wasserstoffs nicht nur, aber auch an unklaren Definitionen. Wird er zum Beispiel aus Wind- und Sonnenenergie erzeugt, gilt er als grün. Stammt er aus Biomasse, wird es uneindeutig. So dürfen Firmen biogenen Wasserstoff in ihrem Energieverbrauch als erneuerbar einrechnen, wenn sie ihn in Straßenfahrzeugen einsetzen. Fällt er als Zwischenprodukt in Raffinerien an, geht das nicht. Die Bundesregierung solle zwar prüfen, ob die Förderung von biogenem Wasserstoff in Raffinerien nicht doch möglich sei, heißt es in einem Entschließungsantrags des Umweltausschusses im Bundestag: aber erst "ab dem Jahr 2026".

Neustadt an der Donau: Geschäftsführer Michael Raue arbeitet seit 2005 bei Bayernoil. Die Gesellschaft betreibt in Neustadt an der Donau und Vohburg die nach eigenen Angaben größte Raffinerie im bayerischen Raum.

Geschäftsführer Michael Raue arbeitet seit 2005 bei Bayernoil. Die Gesellschaft betreibt in Neustadt an der Donau und Vohburg die nach eigenen Angaben größte Raffinerie im bayerischen Raum.

(Foto: Bayernoil/oh)

Mit solchen Aussagen können Unternehmenslenker meist wenig anfangen. Sie lieben Planbarkeit. So gesehen befindet sich Raue in einer Zwickmühle: Er müsste seine Umbaupläne jetzt starten, um bis 2045 fertig zu sein. Unter den derzeitigen Bedingungen liefe er aber Gefahr, am Ende trotzdem die Klimaziele zu verfehlen - und die staatlichen Förderungen. Ohne die, räumt Raue ein, sei das Ganze nicht zu stemmen. Und mit Windrädern alleine lasse sich auf absehbare Zeit nicht genug Ökostrom für die Wasserstoffgewinnung erzeugen. Raue plädiert deshalb unter anderem für die zusätzliche Anerkennung von biogenem Wasserstoff als grün, am besten bald.

Der Mangel an Ökostrom ist in der Tat ein weiteres Problem. Von dem schluckt die Wasserstoffherstellung eine Menge. Vergangene Woche mahnten die Landtags-Grünen die Staatsregierung deshalb wieder einmal, Ausbauhürden bei den erneuerbaren Energien zu beseitigen, darunter die 10-H-Abstandsregel für Windräder.

Expertinnen und Experten sind sich zwar weitgehend einig, dass der klimafreundliche Umbau der Industrie nur mit Wasserstoff gelingt. Umstritten ist, welche Quellen angesichts der begrenzten Solar- und Windkapazitäten sonst in Frage kämen. So nennt das Forschungsnetzwerk Bioenergie des Bundeswirtschaftsministeriums in einer Untersuchung die Nutzung biologischer Rest-und Abfallstoffe als eine Möglichkeit, Versorgungslücken zu schließen. Für das Umweltbundesamt hingegen bleibt Wasserstoff aus Sonne und Wind beste Wahl, da Biomasse "ein vielseitig verwendbarer Rohstoff" sei. Manche Experten schätzen die Wasserstoffnutzung von Biomasse auch deshalb eher als Übergangslösung ein - wobei sich bei Übergangslösungen immer die Frage stelle, wie schnell man aus ihnen wieder herauskomme, sobald sie etabliert seien. Andere fänden sogar die Gewinnung aus Erdgas vertretbar, sofern das dabei entstehende CO2 nicht in die Atmosphäre geblasen wird. Das Ergebnis heißt blauer Wasserstoff und hat schon deshalb mit grün nicht mehr viel gemein.

Zusätzlich kompliziert macht, dass es so oder so an Wasserstoff fehlen dürfte. Das legt eine Studie des Thinktanks Agora Energiewende nahe. Demnach wird Deutschland im Jahr 2045 rund 422 Terawattstunden an Wasserstoff und sonstigen synthetischen Brennstoffen benötigen - wovon 326 Terawattstunden importiert werden müssten. Auch die Staatsregierung hält ein solches Szenario offenbar für realistisch: Erst am Donnerstag dachte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) laut über Wasserstoffpipelines nach, die das Element aus Norwegen und Südeuropa heranschaffen könnten. Weiter sind die Pläne offiziell nicht.

Woher kommt er also mal, Bayerns Wasserstoff? Welche und wie viele Kompromisse sind der Industrie beim Grünwerden erlaubt? Und wie viel Planungsunsicherheit soll oder muss sie aushalten? Solche Fragen dürften sich in nächster Zeit häufiger stellen, nicht nur in Neustadt mit seinen Raffinerieschloten. Angesichts des Klimawandels, sagt Raue, könne man sich als Unternehmen nur für einen von drei Wegen in die Zukunft entscheiden. "Beim ersten Weg reitet man die fossile Welle, solange es geht." Beim zweiten bereite man sich vor, den Betrieb bald zuzusperren. Und beim dritten "macht man etwas Neues". Sogar einen neuen Namen für ihre Firma halten sie langfristig bei Bayernoil für möglich. Einen, der dann ohne Öl auskommt.

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