Neustadt an der Aisch:Von einem Sozialdemokraten mit Nazi-Vergangenheit

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In Neustadt an der Aisch wurde schon früh marschiert, sehr früh. 1932 war die Stadt auf den Beinen, als ein NS-Aktivist zu Grabe getragen wurde. (Foto: Stadtarchiv Neustadt/Aisch)

Wolfgang Mück erfährt kurz nach seiner Wahl, dass sein Vorvorgänger Nazi war. Der Bürgermeister von Neustadt an der Aisch schreibt die Geschichte seiner Stadt auf - obwohl er mehrfach gewarnt wurde.

Von Olaf Przybilla

Wolfgang Mück war gerade zum Bürgermeister von Neustadt an der Aisch gewählt worden, als ein Mann in sein Büro trat und ihm ein Päckchen auf den Tisch legte. Der Inhalt: Die verschnürte NSDAP-Ortschronik von Neustadt, seiner Heimatstadt in Mittelfranken, einer sehr frühen Nazi-Hochburg. Das habe er auf dem Sperrmüll gefunden, sagte der Mann. Mück fing an zu blättern und fand den Namen des Verfassers dieses örtlichen Nazi-Jubelbuchs: Es war der Mann, der ihn und seine Frau getraut hatte. Sein Vorvorgänger als Bürgermeister von Neustadt, ein Sozialdemokrat wie er.

In den Neunzigerjahren war das, Mück stand kurz unter Schock. Verarbeitet die Nazi-Chronik dann aber in einigen Vorträgen des Heimatvereins. Mit erstaunlicher Reaktion: keiner nämlich. Das habe gar keiner wahrgenommen, sagt Mück, "oder nicht wahrnehmen wollen". Jedenfalls entschied sich Mück, diese Chronik als Grundlage für ein Buch zu nutzen, in dem alle beim Namen genannt werden sollten, die dafür gesorgt hatten, dass Neustadt eine der frühesten und fanatischsten Frontstädte der NSDAP geworden war.

Nach seiner Pensionierung hat er sich dran gesetzt, gewarnt wurde er mehrfach. Ob er denn wolle, dass "die Leute durch Neustadt laufen und sagen: Dem sein Großvater war auch dabei", wurde er gefragt. Das müsse doch nicht sein, fand einer. Ein anderer, Mück durchaus wohlgesonnen, riet ihm, er solle das Buch posthum veröffentlichen. Warum? Zu heiß, das Ganze.

Die Rolle als Nazi-Frontstadt wurde in Neustadt Jahrzehnte lang unter den Teppich gekehrt, sagt Mück. Dort gab es schon in den 1920er Jahren eine Clique fanatischer Volksschullehrer, braune Pfarrer und vor allem: Julius Streicher. Die Hakenkreuzfahnen wehten früh in Westmittelfranken, nach dem Krieg wollte davon keiner mehr was wissen. Auch deshalb fürchtete Mück Probleme. Der Verleger seines Buches ließ auf der ersten Seite sicherheitshalber festlegen, dass nur der Autor, Mück also, verantwortlich sei für den Inhalt. Der Verleger könne dafür rechtlich nicht belangt werden.

Jetzt ist das Buch herausgekommen. Die Folgen aber sind ganz andere. Eine Stadt dankt Mück für eine "Befreiung".

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