Vor Jahren schickte das bayerische Landeskriminalamt ein Sprengkommando nach Neuschwanstein. Die Einsatzkräfte forschten mit einem elektromagnetischen Minensuchgerät nach dem Grundstein des Schlosses, sie fanden ihn in einer Wand des sogenannten Ritterbads, mitsamt einer Kapsel, die Urkunden, Pläne, Königsporträts und eine Marienfigur enthalten soll. Der Grundstein blieb eingemauert, die Suche war ein PR-Gag, zum 150-jährigen Bestehen. Wobei die Bau-Experten der Bayerischen Schlösserverwaltung vor allem die Pläne schon ganz gerne in die Finger bekommen hätten.
Schloss Neuschwanstein ist ja nicht nur das märchenhafte Vorbild für Disneys Cinderella-Schloss. Es ist, ein wenig zumindest, auch deshalb eines der deutschlandweit beliebtesten Touristenziele, weil es wie die anderen bayerischen Königsschlösser eine Technik beherbergt, die ihrer Zeit weit voraus war. König Ludwig II. ließ einen Speiseaufzug einbauen und automatische Drehspieße in der Küche, eine Warmluftheizung und Leitungen für fließendes, teils sogar warmes Wasser. Umso wertvoller sind die mehr als 200 historischen Installationspläne für die Königsschlösser, die die „Gas- & Wasserleitungs-Geschäft GmbH Stuttgart“ nun als Dauerleihgabe an den Freistaat Bayern abgegeben hat. „Die Pläne geben einen faszinierenden Einblick in die Ingenieurskunst des 19. Jahrhunderts an den Königsschlössern, der in diesem Umfang und Detaillierungsgrad bisher nicht bekannt war“, sagt Alexander Wiesneth, bei der Bayerischen Schlösserverwaltung zuständig fürs Archiv und die Bauforschung.
Von 1874 an hatte die Stuttgarter Firma an den Königsschlössern und Parks von Ludwig II. mitgeplant und -gebaut: an der königlichen Toilette auf Schloss Neuschwanstein mit automatischer Spülung, normalsterbliche Zeitgenossen saßen da noch auf Plumpsklos. Die Stuttgarter installierten die Warmwasserheizung für den See in der Venusgrotte sowie die Druckleitung für die große Fontäne im Schlosspark Linderhof und die aufwendigen Wasserspiele des Neuen Schlosses Herrenchiemsee. Zwei Weltkriege und drei Generationenwechsel haben die Pläne in dem bis heute familiengeführten Betrieb überdauert, bis Wiesneth darauf stieß.
Quellfassungen, Wasserleitungen oder technische Brunnenanlagen sind bis ins kleinste Detail und laut Schlösserverwaltung mit einer „heute kaum mehr vorstellbaren Kunstfertigkeit in Bleistift und Tusche gezeichnet sowie aquarelliert“ dargestellt. Manche der Dokumente hat der König selbst unterzeichnet. Viele der ursprünglichen Installationen sind bis heute verloren gegangen, Forscher der Bayerischen Schlösserverwaltung beginnen nun mit einer Restaurierung, Inventarisierung und Erforschung der mehr als 200 Zeichnungen.
Die bayerischen Königsschlösser haben sich kürzlich als Unesco-Welterbe beworben, Schloss Neuschwanstein hat der Freistaat die vergangenen Jahre für mehr als 20 Millionen Euro erstmals vollständig renovieren lassen. Die Arbeiten sind fast abgeschlossen, Besucher sehen Kunstwerke und die königlichen Räume von August an wieder uneingeschränkt – auch die königliche Toilette.