Neufraunhofen:Eine Familie für die Ewigkeit

Neufraunhofen: Carl Graf von Soden-Fraunhofen mit seiner Frau Antonia und den vier Kindern.

Carl Graf von Soden-Fraunhofen mit seiner Frau Antonia und den vier Kindern.

(Foto: Sebastian Beck/oh)

Die Grafen von Soden-Fraunhofen können ihren Stammbaum bis ins Jahr 1010 zurückverfolgen. Und die nächste Generation wächst schon heran.

Von Hans Kratzer

"Also ehrlich, ich hab noch keines gesehen, ganz bestimmt nicht!" Die Frage, ob ihm denn schon einmal ein Schlossgespenst begegnet sei, entlockt Carl Graf von Soden-Fraunhofen ein Schmunzeln. Ganz abwegig ist der Gedanke ja nicht, das märchenhaft wirkende Schloss seiner Familie böte mit seinem verwunschenen Park, seinen barocken Gebäuden und seinen verwinkelten Ecken eine Traumkulisse - für Schlossgespenster ebenso wie für ritterliche Roman- und Filmhelden.

Im Wohnungstrakt schmückt eine Ahnengalerie die Wände des lang gestreckten Flures, über dessen Pflaster unzählige berühmte Persönlichkeiten gewandelt sind. König Ludwig III. von Bayern kam gerne hierher, spätere Päpste wie der Nuntius Eugenio Pacelli (Pius XII.) und der Kardinal Joseph Ratzinger (Benedikt XVI.) waren ebenso häufig zu Besuch da wie Franz Graf von Pocci, der Erfinder des Kasperls Larifari, um nur einige zu nennen. Die britischen Flieger-Legenden William Forbes-Sempill und Delphine Reynolds landeten in den Dreißigerjahren spektakulär mit einem Doppeldecker auf einer Wiese vor dem Schloss. Alle Gäste zusammen ergäben ein respektables Who is Who der europäischen Geschichte.

Dabei liegt das Schloss etwas abgelegen zwischen den Tälern der Kleinen und der Großen Vils. Es bildet das Zentrum des Dorfes Neufraunhofen, das gut 25 Kilometer südlich von Landshut in eine bäuerlich geprägte Landschaft gebettet ist. Michael Wening hat die Anlage 1723 in einem Kupferstich verewigt, seitdem hat sich die Topografie kaum verändert. Das Schloss, die Kirche mit ihrer höfischen Fassade, die Stallungen, das 1645 errichtete Wirtshaus, das Gerichtsgebäude, die Torbögen, alles ist fast unverändert. Die Hofmark atmet noch voll den Zeitgeist des Barocks.

Das Ambiente im Flur erinnert an ein historisches Museum. Es hat Stil, dass in einer solchen Umgebung eine der ältesten Familien Bayerns lebt, auch wenn Küche und Wohnzimmer mit modernen Möbeln und Bildern ausgestattet sind. Das Geschlecht der Grafen von Soden-Fraunhofen gibt es seit mehr als tausend Jahren. Als der Name Fraunhofen im Jahr 1010 erstmals auf einer Urkunde aufschien, waren politische Konstrukte wie Deutschland und Europa eine ferne Utopie.

Den kleinen Franz, stolze zwei Jahre alt, interessieren all die Ahnen, deren Porträts in schweren Rahmen an den Wänden hängen, weit weniger als sein Bobbycar. Der Flur dient ihm als eine prima Rennbahn, auf der er hinauf- und herunterflitzt. Als die Hartplastikreifen über das Pflaster rattern, juchzt der Bub, touchiert aber eine alte Truhe. "Alles halb so schlimm", beruhigt ihn der Papa. "Das sieht hier zwar aus wie ein Museumsgang, aber wir leben hier, das ist alles Alltag", sagt Graf von Soden-Fraunhofen, der eine von großer Freundlichkeit begleitete aristokratische Haltung pflegt, in der Erziehung aber nicht alles durchgehen lässt: "Unsere Kinder lernen vom ersten Tag an, dass man nichts mutwillig kaputt macht."

Carl Graf von Soden-Fraunhofen, 37, und seine Frau Antonia, 34, haben vier kleine Kinder, das älteste ist sechs Jahre alt, das jüngste erst wenige Monate. Dass die Familie ihren Stammsitz seit unzähligen Generationen hegt und pflegt, ist keine Selbstverständlichkeit. "Es ist eine Verpflichtung, in die man hineinwächst", sagt der noch jugendlich wirkende Familienvater. "Wir haben trotzdem ganz normale Berufe", merkt er an, er selber hat Bankkaufmann gelernt, dann Maschinenbau und Betriebswirtschaft studiert und zuletzt noch eine Ausbildung zum Landwirt gemacht. Seine Frau ist Hebamme, zurzeit kümmert sie sich daheim um die Kinder. Und doch lebt die Familie anders als das übrige Dorf, auch wenn die Kinder diese Sonderstellung bislang kaum wahrnehmen. Tochter Helena, 4, sei kürzlich irritiert vom Kindergarten nach Hause gekommen, erzählt ihr Vater. Sie fragte: "Die Leute sagen, dass wir in einem Schloss wohnen, das stimmt doch gar nicht, oder?"

Einen solchen weitläufigen Komplex zu erhalten, erfordert Kraft und Zuversicht. Allein die Dachflächen umfassen drei Hektar. Seit Jahrzehnten wird hier ständig renoviert. Beim Blick auf die lang gestreckten Gebäude versteht man nur zu gut, wie mühsam der Erhalt ist, dazu kommt das dauernde Ringen mit dem Denkmalschutz. Die meisten Räume im Schloss sind im Winter eisig kalt, sie zu beheizen, ist unmöglich. "In einem Schloss zu wohnen, ist nicht so romantisch, wie sich das viele vorstellen", darin sind sich Carl und Antonia von Soden-Fraunhofen einig.

Schloss Fraunhofen

Die Familie bewohnt meist nur einen Trakt der weitläufigen Anlage.

(Foto: Sebastian Beck/oh)

Welch ein Wandel sich hier vollzogen hat, sieht man an den Stallungen, in denen früher, unter einem fantastischen böhmischen Gewölbe, Kühe standen. 2009 wurde der Stall umgebaut, heute dient er als begehrter Veranstaltungsraum, der vermietet wird. Für 2017 ist der eindrucksvolle Komplex mit seinem offenen historischen Dachstuhl für Hochzeiten, Konzerte und Theaterspiel schon ausgebucht.

"Kinderreichtum ist etwas ganz Typisches für den Adel"

Von der Terrasse aus schweift der Blick über die Felder und Wälder, von deren Ertrag die Familie lebt. "Ich bin mit großer Überzeugung Landwirt", sagt Carl Graf von Soden-Fraunhofen, der seinen Betrieb vom Schreibtisch aus lenkt, großen Wert auf Kooperation mit einheimischen Betrieben legt, aber auch Geschäftsbeziehungen bis nach Übersee und China pflegt. "Ich sehe mich als Verwalter des Familienerbes", sagt er, "und ich hoffe, es weitergeben zu können." Wie es auch der Vorfahr Carl August von Fraunhofen tat, der im 19. Jahrhundert die bäuerliche Arbeit mit neuen Anbaumethoden und Düngern revolutioniert hat. Als er 1865 kinderlos starb, übergab er das Anwesen seinem Neffen Max aus der ebenfalls sehr alten Familie der Soden und sicherte damit den Fortbestand des Geschlechts, das von da an Soden-Fraunhofen hieß. Jener Max von Soden-Fraunhofen war dann von 1912 bis 1916 bayerischer Innenminister.

Die Familie brachte auch den Luftfahrt-Pionier Alfred von Soden-Fraunhofen hervor, der in Friedrichshafen die Zeppelin-Luftschiffe mitentwickelt hatte. Eine so reiche Familiengeschichte ist durchaus eine Bürde, wie Carl Graf von Soden-Fraunhofen zugibt: "Wir fühlen uns schon verantwortlich, dass diese Ära nicht ausgerechnet unter uns zu Ende geht."

Obwohl ihr einstiges Herrschaftsgebiet nur die Fläche einiger Landgemeinden umfasste, boten die Fraunhofen dennoch den bayerischen Herzögen und Kurfürsten die Stirn. Über mehrere Jahrhunderte zog sich der Prozess um ihre Unabhängigkeit vor dem Reichskammergericht in Speyer und in Wetzlar hin. Die Fraunhofen betrachteten sich als eigenständiges Territorium, sie besaßen ihre eigene Verwaltung und Gerichtsbarkeit. Allein den Herrschern des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation im habsburgischen Wien fühlten sie sich verpflichtet.

Das hinderte sie aber nicht daran, am Hof ihrer Wittelsbacher Kontrahenten hohe Ämter zu bekleiden. Theseres von Fraunhofen organisierte zum Beispiel im Jahr 1475 für die Herzogsfamilie die Landshuter Hochzeit, eines der größten Feste des Mittelalters. Andererseits belegt ein Schriftstück aus der Zeit des Augsburger Reichstags von 1555, dass der Bayernherzog Albrecht V. den Vertreter der Fraunhofen aus dem Saal werfen ließ, weil dieser seiner Meinung nach keinen Anspruch auf eine Vertretung beim Reichstag hatte.

Erst am 24. Dezember 1805 wurde die Herrschaft Fraunhofen in das neue Königreich Bayern eingegliedert, gewaltsam. "Hier ist der unglücklichste Tag, sowohl für die hochgnädigste Herrschaft als auch für die Untertanen", notierte der Mesner in sein Tagebuch. Am frühen Morgen hatten sich Infanteristen vor dem Schloss formiert, die Gewehre im Anschlag, weithin hallte das Kommando des Kommissärs: "Die Bürger der Herrschaft Fraunhofen sind künftighin baierisch."

Das Beharren auf Eigenständigkeit ist in Neufraunhofen immer noch zu spüren. Die Menschen sagen wie eh und je "Herr Graf", mag sich auch die frühere ständische Distanz längst aufgelöst haben. Carl Graf von Soden-Fraunhofen engagiert sich in vielen Vereinen, bei der Freiwilligen Feuerwehr, bei den Maltesern, beim Rotary Club. "Das ist eine Selbstverständlichkeit", sagt er. "Wir müssen zusammenhelfen", auch das ist ein alter Anspruch des Adels. "Unsere Familie wäre längst nicht mehr hier, hätte sie sich nicht ordentlich benommen. Sie wäre weggejagt worden." Mag der Adel seit der Weimarer Verfassung seine Privilegien verloren haben, so ist hier zumindest das alte Familienbewusstsein, das sich seit tausend Jahren bewährt, noch sehr intakt.

Antonia Gräfin von Soden-Fraunhofen, eine geborene Freiin von Schnurbein, stammt aus Frankfurt und hat selber 26 Vettern und Cousinen. "Kinderreichtum ist etwas ganz Typisches für den Adel", sagt sie. Vier Kinder sind ganz normal. "Bei uns dürfen es auch noch mehr werden." Das Pflaster auf dem Flur wird der kommenden Kinderschar auf jeden Fall noch standhalten.

Soden-Fraunhofen

Der junge Graf Franz mit Bobbycar. Die Ahnengalerie von Schloss Neufraunhofen ist ziemlich lang und eignet sich daher perfekt als Rennstrecke.

(Foto: Sebastian Beck)
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