Süddeutsche Zeitung

Neuer Bildband zum Bayerischen Wald:Melancholie des Grenzlandes

"D' Welt is so groß, und hinter Straubing soll s' sogar noch weitergehn": Ein Bildband zeigt faszinierende Aufnahmen aus dem Bayerischen Wald - und beschreibt die Metamorphose vom ärmlichen Hinterland zur boomenden Tourismusregion.

Hans Kratzer

"D' Welt is so groß, und hinter Straubing soll s' sogar noch weitergehn": Ein Bildband aus dem Viechtacher Lichtung Verlag zeigt faszinierende Aufnahmen aus dem Bayerischen Wald - und beschreibt die Metamorphose vom ärmlichen Hinterland zur boomenden Tourismusregion. Wenn der im Bayerischen Wald aufgewachsene Autor Josef Fendl an seine Kindheit zurückdenkt, dann erzählt er gerne, dass es seinerzeit dreierlei Menschen gegeben habe: "Arme, Bettelleut' und solche, die gar nichts hatten." Fendl übertreibt hier keineswegs. Er schildert nur die damalige Realität in jenem Grenzland, das die Berliner Illustrierte Zeitung um 1900 herum noch rotzfrech als "deutsches Sibirien" titulierte. Das Bild ist in der Nähe der Gemeinde Arnbruck aufgenommen.

Bei allem Hochmut der preußischen Presse: Es war schon etwas dran an dem Hinterwäldlertum, das den Bewohnern des Bayerwalds nachgesagt wurde. Fendls Tante zum Beispiel kam wie so viele aus ihrem Waldlerdorf kaum hinaus. Verständlicherweise löste ihre erste Reise bei ihr einen Kulturschock aus. "Stell dir vor", erzählte sie ihrem Enkel ganz aufgeregt, "d' Welt is so groß, und hinter Straubing soll s' sogar noch weitergehn."

Mittlerweile hat der Bayerische Wald längst Anschluss an die Welt, die hinter Straubing liegt, gefunden. Die Metamorphose vom ärmlichen Hinterland zur blühenden Tourismusregion mit modernen Arbeitsplätzen zog von Anfang an renommierte Autoren und Fotografen in ihren Bann.

Deshalb ist der Aufstieg dieser Region hervorragend dokumentiert, und zwar in zeitlosen Meisterwerken der Roman- und der Fotokunst. Der kleine Lichtung Verlag aus Viechtach hat in den vergangenen 20 Jahren viel dazu beigetragen, diese Schätze der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Auch das neue Reiselesebuch über den Bayerischen Wald dient nicht der Verklärung der guten alten Zeit, sondern zeigt eine Region, die zwar den Anschluss geschafft hat, landschaftlich attraktiv ist und doch unter Problemen wie Abwanderung und Bevölkerungsrückgang zu leiden hat. Renommierte Autoren wie Harald Grill, Joseph Berlinger, Reiner Kunze und Bernhard Setzwein prägen dieses Buch - Autoren, deren Werk ohne die Existenz des Bayerischen Waldes nicht denkbar wäre.

Man spürt in ihren Texten die kulturellen Spannungen, die ausgeräumte und zu Tode sanierte Dorflandschaften hinterlassen, ebenso wie die Melancholie des Waldlandes, die einen über den Alltag erhebt. Die Koexistenz von Tradition und Moderne prägt besonders die Fotografien des Bandes. Die Aufnahmen von Herbert Pöhnl zeigen eine Waldheimat, die reichlich garniert ist mit Kitsch, Krimskrams und all den Absurditäten einer ländlichen Gesellschaft, die im Sturmgebraus der Globalisierung die Orientierung verloren und allzu vieles betoniert hat, auf den Blumenkübel und die bepflanzte Milchkanne aber dennoch nicht verzichten will. Das Bild stammt aus der Fotoserie "Heimat Bayerischer Wald" von Herbert Pöhnl.

Die großartigen Dokumentarfotos des Straubingers Bruno Mooser, der den einsamen Landbriefträger verewigt hat, und auch...

...die ersten Bilder des Star-Fotografen Olaf Unverzart, die er einst im Heimatdorf Kritzenast bei Waldmünchen gemacht hat, lohnen allein schon einen Blick in dieses Buch.

Bayerischer Wald, Ein Reiselesebuch, herausgegeben von Hubert Ettl, Edition Lichtung, Viechtach 2011, 29,80 Euro.

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Quelle:
SZ vom 16.11.2011
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