Neue Regeln für Windenergie:Totale Flaute in Bayern

Lesezeit: 4 min

Flaute nicht nur im ländlichen Raum: Mit "10H" sind nicht alle zufrieden. Foto: Stephan Rumpf, Imago / Illustration: Alper Özer (Foto: N/A)

Einige bayerische Kommunen verdienen mit der Windkraft schon viel Geld. Andere stehen in den Startlöchern. Doch in dieser Woche will der Landtag größere Abstände für Windräder vorschreiben - und würgt diesen Teil der Energiewende ab.

Von Frank Müller und Christian Sebald, München

Rupert Monn sollte ein zufriedener Mann sein. Jahrelang hat der parteilose Bürgermeister der Gemeinde Berg am Starnberger See dafür gekämpft, im Staatswald nahe der Autobahn nach Garmisch-Partenkirchen vier Windräder aufstellen zu können. Nun ist es geschafft. Ende 2015 werden sich die vier Windräder drehen und Strom für 8000 Haushalte produzieren. Aber Rupert Monn ist nicht zufrieden, überhaupt nicht. Er ist tief verärgert. "Natürlich könnte ich jetzt sagen, gut, dass es noch mit unserem Windpark geklappt hat. Aber darum geht's doch nicht", schimpft er. "So wie ich die Energiewende vorabringen wollte, so wollen das zig Kollegen überall in Bayern. Sie stehen jetzt alleine da." Dann sagt Monn: "Was unser Ministerpräsident liefert, ist ein Trauerspiel."

ExklusivErneuerbare Energien in Bayern
:Kein Platz für Windräder

Wenn es nach Bayerns Ministerpräsident Seehofer geht, dürfen die Länder künftig den Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohnhäusern festlegen. Ein entsprechendes Gesetz ist schon in Arbeit und für Bayern hat sich Seehofer bereits eine Formel ausgedacht. Die würde den Bau neuer Anlagen allerdings praktisch unmöglich machen.

Von Michael Bauchmüller

Horst Seehofer steht im Kuppelsaal der Staatskanzlei und versteht nicht, was Menschen wie Monn meinen. "Alle sind eigentlich zufrieden", sagt Seehofer. "Die Versorgung mit erneuerbaren Energien und die Rücksichtnahme auf unsere wunderschöne bayerische Landschaft funktioniert."

Landtag will "10H" verabschieden

In dieser Woche kommt es zum Schwur bei der neuen Windkraftregel im Freistaat mit dem schon legendären Kürzel "10H". Neue Anlagen nur noch, wenn ihre Entfernung zur Wohnbebauung mindestens das Zehnfache ihrer Höhe beträgt - außer die Kommune stimmt kürzeren Abständen ausdrücklich zu: Das ist die neue Linie, die der Landtag nach Monaten voller erbitterter Debatten am Mittwoch endgültig verabschieden will. Für die Opposition ist das der Todesstoß für die Windkraft. Zwei Kilometer Mindestabstand bei den in der Regel 200 Meter hohen Anlagen sei kaum zu schaffen, sagt SPD-Energieexpertin Natascha Kohnen. Regierungschef Seehofer kontert: "Das wird den Ausbau nicht behindern."

Wer hat recht? Jahrelang war der Freistaat auf diesem Feld Schlusslicht in ganz Deutschland. Der Grund war, dass die Staatsregierung die Windkraft strikt ablehnte. Der Wind in Bayern sei viel zu lau, sagten die Minister stets, außerdem seien Windräder hässlich und zerstörten das Landschaftsbild. Erst nach der Atomkatastrophe von Fukushima dachte die Staatsregierung um. Bis 2021 sollten in Bayern tausend bis 1500 neue Windräder aufgestellt werden und einmal bis zu zehn Prozent des Stromverbrauchs decken.

Nur 1,5 Prozent des Stroms kommen aus Wind

Tatsächlich könnte aber sehr viel mehr Windstrom produziert werden in Bayern. So sagten es schon damals alle Fachleute - von Günther Beermann, dem Vorsitzenden des bayerischen Windenergie-Verbands, bis hin zum Bund-Naturschutz-Chef Hubert Weiger. Das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik hat 2011 das bayerische Windstrompotenzial auf 80 Milliarden Kilowattstunden im Jahr beziffert. Das entspricht beinahe dem gesamten Stromverbrauch des Freistaats.

MeinungSeehofers Kurs gegen Stromtrassen
:Energiepolitik paradox

Der Süden braucht dringend Alternativen zum Atomstrom. Doch Bayerns Ministerpräsident Seehofer macht gegen Windenergie und neue Leitungen Stimmung. So verschärft die Staatsregierung die Versorgungslücke, vor der sie doch so große Angst hat.

Ein Kommentar von Michael Bauchmüller

Aber nicht einmal von den einst angestrebten zehn Prozent spricht jetzt noch einer. Magere 1,5 Prozent an der Stromerzeugung kommen jetzt aus dem Wind. Eine Verdoppelung sei machbar, sagt der CSU-Wirtschaftspolitiker Erwin Huber. Selbst fünf Prozent seien schon "sehr ehrgeizig und sportlich". Anders als Seehofer räumt Huber unumwunden ein, "dass der Weg zur Windkraft etwas schwieriger wird und etwas langwieriger. Aber deutlich friedvoller." Denn die Ausbaupläne hätten für sehr viel Unfrieden im Land gesorgt.

Dabei kam der Ausbau nach Fukushima schnell voran. Allein von 2011 bis 2012 kletterte die Zahl der Windräder um 149 auf 559 Stück. 2013 waren es 652 Anlagen, Ende Juni 2014 bereits 703. In diesem Tempo hätte es freilich weitergehen müssen, wenn die Ziele der Staatsregierung erreicht werden sollten.

Nun wird die Windkraft abgewürgt. Laut Umweltministerium waren Ende August an den Landratsämtern überall in Bayern noch 464 Genehmigungsanträge für Windkraftanlagen in Bearbeitung. Aber nur 172, so die Schätzung der Ministerialen, hatten die Chance, dass sie noch in diesem Jahr positiv abgeschlossen werden. "Das dürfte ungefähr die Zahl der Anlagen sein, die in Bayern noch gebaut werden", sagt Wind-Verbandschef Beermann. "Alle anderen Anträge und Pläne sind Makulatur, und an Neuplanungen geht sowieso keiner mehr heran."

Energiepolitik in Bayern
:Seehofers Wende bei der Wende

Erst plante Horst Seehofer ein Land der Windräder, der Pumpspeicherwerke und der neuen Stromnetze. Jetzt wütet der Regierungschef gegen Verspargelung und Stromtrassen - und stürzt Bayern ins energiepolitische Chaos.

Von Frank Müller und Mike Szymanski

Seehofer wäscht die Hände in Unschuld: "Ob ein Windpark entsteht oder nicht, ist schlicht und einfach eine Entscheidung der Gemeinde." Denn die dürfe Ausnahmen von 10H ja zulassen. "In vielen Gemeinden werden Volksfeste gefeiert bei der Einweihung eines Windparks, und in anderen Gemeinden ist eine grundsätzlich ablehnende Haltung da", führt Seehofer an. "Und das ist gut für Bayern, diese Vielfalt. Wir brauchen keinen Einheitsbrei."

Geschäftsordnungsstreit im Landtag

Doch die Kommunen wollen sich die Verantwortung nicht zuschieben lassen, auch weil viele Details strittig sind: Was zum Beispiel gilt, wenn ein Windrad auch eine Nachbarkommune betrifft? Die Staatsregierung agiere "planlos" mit "Politik auf Zuruf", stänkert Gemeindetagspräsident Uwe Brandl, immerhin CSU-Mann. Huber keilt zurück: Mit seiner "bockigen und verstockten Haltung" verkenne Brandl die Möglichkeiten der kommunalen Selbstverwaltung. Aber auch in den Umweltverbänden und der Landtagsopposition verstehen sie die Welt nicht mehr. Schließlich sind 80 Prozent der Bevölkerung klar für den Ausbau der Windkraft, zumindest sagen das seit Jahren alle Umfragen zu diesem Thema.

Energiewende in Bayern
:Kabinett zieht den Stecker

Seit die Planungen für Stromtrassen durch Bayern konkret geworden sind, regt sich Widerstand in der Bevölkerung. Die Staatsregierung reagiert prompt - und will alle Pläne bis August auf Eis legen.

Von Ralf Scharnitzky, Mike Szymanski und Christian Sebald

Auf den letzten Metern ins Ziel für 10H tobt nun ein bizarrer Geschäftsordnungsstreit im Landtag. Die Opposition will die Verabschiedung am Mittwoch dadurch verhindern, dass sie noch eine neue Expertenanhörung dazwischenschiebt. Die CSU hält das für Verzögerungstaktik und bietet unschuldig lächelnd an, ein solches Hearing könne man gerne machen. Aber erst nach der Verabschiedung des Gesetzes. Die CSU hat es jetzt richtig eilig. Sie will nicht einmal mehr auf den Abschluss des jetzt mit viel Pomp gestarteten Energiedialogs von Wirtschaftsministerin Ilse Aigner warten.

Das Geld bleibt in der Region

Dabei sind es nicht die Strompotenziale alleine, welche die Windkraft so attraktiv machen. Windräder bringen viel Geld - gerade in ländliche Regionen. Der Landkreis Neumarkt in der Oberpfalz ist ein gutes Beispiel dafür, er zählt zu den Windkraft-Pionier-Regionen im Freistaat. Dort drehen sich inzwischen 59 Windräder. "Sehr konservativ gerechnet, bringt ein jedes von ihnen zwischen 110 000 und 120 000 Euro im Jahr", sagt Walter Egelseer vom Energiebüro am Landratsamt Neumarkt, "an Gewinnen für die Betreiber, Steuern für die Kommunen, in denen sie liegen, Pacht für die Grundbesitzer, auf deren Boden sie stehen, Einnahmen für die Firmen, die sie warten, und an anderem mehr."

Bei 59 Windrädern kommt da alleine im Landkreis Neumarkt eine Summe von 6,5 bis sieben Millionen Euro im Jahr zusammen. Und da die allermeisten Windräder in der Hand von Bürger-Energiegenossenschaften oder kommunalen Verbünden sind, bleibt der Großanteil des Geldes direkt in der Region. "Für unsere war der Ausbau der Windkraft natürlich auch ein Wirtschaftsfaktor", sagt Egelseer. "Daran besteht kein Zweifel."

© SZ vom 08.11.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: