Süddeutsche Zeitung

Neue Heimat:Wo die wilden Kerle fahren

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In Nigeria, dem Heimatland unseres Autors, gilt Motorradfahren als Wagnis. Umso erstaunlicher ist es für ihn, in Bayern Biker in größeren Rudeln anzutreffen.

Kolumne von Olaleye Akintola

Sie schauen immer futuristischer aus. Und so windschnittig, als könnten sie jeden Moment abheben: Motorräder, die vielleicht bewundernswertesten Erzeugnisse deutscher Ingenieurskunst. Ich kann immer wieder nur staunen, wenn ich mit meinem Radl beim BMW-Center am Frankfurter Ring vorbeifahre. Diese Vielzahl an Erwachsenen-Spielzeugen. Es ist ein atemberaubender Anblick von zusammengeschraubter Schönheit. Aber nur solange niemand auf das Gefährt steigt und den Motor startet.

Motorradfans sprechen oft davon, dass es kaum etwas Schöneres gibt, als wenn einem auf dem Sattel der Fahrtwind um die Ohren pfeift. Biker verbinden mit diesem Gefühl offenbar einen speziellen Spirit. Ihre Aura ist auffällig, man erkennt sie selbst ohne Helm an den Hals- oder Kopftüchern. Sie tragen gerne Markenlederjacken mit unheimlichen Inschriften und Symbolen von Knochen und Schädeln. Ihre Schuhe gleichen dem geschnürten Fußkleid von Steinzeitmenschen. Motorradfahrer erkennt man deswegen schon von weitem.

Manchmal schmeißen Biker eine Bikerparty, zum Beispiel in Fürstenfeldbruck, da habe ich so eine Zusammenkunft miterlebt. Mit ihrem dröhnenden Enthusiasmus zogen sie die Aufmerksamkeit aller auf sich. Ich dachte zunächst, es handle sich um eine Gruppe von motorisierten Demonstranten. Falsch gedacht: In aller Regel bewegen sich Motorradfahrer in kleineren oder größeren Rudeln. Wenn sie sich auf der Straße begegnen, heben sie zwei Finger. Damit signalisieren Motorradler, dass sie den anderen als Gleichgesinnten identifiziert haben.

Mir fällt das alles auf, weil man solche Bilder in meiner früheren Heimat Nigeria nicht sieht. Dort drängt die Massenarbeitslosigkeit die Bedürftigsten auf Motorräder. Sie dienen fast ausschließlich als Berufsvehikel im Transportgeschäft - also für Kuriere oder Motorrad-Taxis, die Passagiere durch den Autostau bringen müssen. Nicht nur in der Hauptstadt Lagos hat das Zweirad einen miserablen Ruf. Es gilt als Wagnis, das die meisten nigerianischen Frauen ihren Ehemännern niemals als Freizeitvergnügen erlauben würden. Wieso ein sündhaft teures Motorrad, wenn man ein Auto mit sicheren Blechwänden und einem Dach gegen die Sonne haben kann? In der Verkehrschaos-Stadt Lagos gilt Motorradfahren als offene Einladung an den Tod.

Die Anhängerschar hierzulande muss indes groß sein, das sieht man an der Menge an Literatur. Wahrscheinlich gibt es allein in Bayern mehr Fachzeitschriften als Motorradtypen, und unzählige Läden, in denen sich Vertreter dieser Zunft einkleiden können. In manchen Biker-Gruppen gibt es offenbar Regeln, etwa beim Kauf einer neuen Biker-Kluft: Es muss einem darin zu warm werden - und sie muss abgetragen aussehen. Nachhaltig dafür qualifiziert ist, wer vorweisen kann, dass der Körper großflächig mit Tattoos verziert ist. Von Vorteil ist auch eine wilde Haarpracht, die kein Friseur der Welt zähmen könnte. Es ist eine eigene Welt mit mystischen Wegen - und für Außenstehende oft unergründlich.

Übersetzung aus dem Englischen: Korbinian Eisenberger

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SZ vom 28.06.2019
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