Es wäre eine aberwitzige Schlusspointe dieser Geschichte. Ein gefeierter Künstler stellt sich lange nach seinem Tod als hochrangiger Funktionär der verbrecherischen NS-Kriegsmaschinerie heraus. Kurz bevor sich seine Heimatstadt von ihm abwendet, taucht eine entfernte Verwandte des Mannes auf. In einem Brief behauptet sie, dass alles ganz anders war. Der Künstler, nachweislich die rechte Hand eines NS-Hauptkriegsverbrechers, sei in Wahrheit ein Gegner des Hitler-Regimes gewesen. Einer, der „dem Widerstand zugeordnet werden“ könne und sogar vom Stauffenberg-Attentat auf den Diktator gewusst haben soll. Ein Held also?
Seit dem Frühjahr wird im oberbayerischen Neuburg an der Donau um den Umgang mit dem Komponisten und NS-General Paul Winter gerungen. Es ist eine Debatte, die manchmal wehtut – der Versuch, Winter als Widerständler darzustellen, ist nur das jüngste Beispiel. Der Berliner Gedenkstätte Deutscher Widerstand, die etwa das gescheiterte Stauffenberg-Attentat vom 20. Juli 1944 dokumentiert, sind „keinerlei Hinweise“ auf eine Verbindung Winters zum Widerstand um Claus Schenk Graf von Stauffenberg bekannt, wie Leiter Johannes Tuchel sagt.
Bereits im vergangenen Jahr hatte der Historiker Manfred Veit seine Forschung mit dem Rathaus geteilt, wonach der 1894 in Neuburg geborene Lokalheld Winter tief ins NS-System verstrickt war. Als Chef des Zentralamts im Oberkommando der Wehrmacht (OKW), das Adolf Hitler direkt unterstellt war, diente er als Getreuer des OKW-Chefs Wilhelm Keitel. Für diesen war Winter ein „unersetzlicher“ Bürokrat, den er in Bewertungen lobte: „unbeirrbarer Nationalsozialist“. 1946 wurde Keitel wegen Kriegsverbrechen hingerichtet. Verbrecherische Befehle seien auch durch Winters Abteilung gegangen, so Veit.
Die Hinweise blieben monatelang ohne Reaktion. Erst nachdem der Historiker seinen Aufsatz an die Presse gegeben hatte, kam eine zähe Debatte in Gang. Neuburgs Oberbürgermeister Bernhard Gmehling (CSU) trat als Zweifler auf. Winter sei zwar „kein Held“ gewesen, so Gmehling. Doch die vom früheren Kreisheimatpfleger Veit vorgelegten Recherchen reichten ihm nicht aus, um „den Stab über Paul Winter zu brechen“. Im Kreistag stimmte er als Einziger gegen die Umbenennung der Neuburger Paul-Winter-Realschule. Auch eine Namensänderung der Paul-Winter-Straße lehnte er ab.
Dass bereits acht Jahre zuvor die damalige Leiterin des Neuburger Stadtarchivs, Barbara Zeitelhack, beschrieb, dass Winter auch als Komponist der Olympia-Fanfare 1936 oder der „Großdeutschland“-Hymne 1938 „im Dienste der NS-Propaganda“ stand? Spielte in der Debatte keine Rolle.
Vergangene Woche entschied der Neuburger Stadtrat über den weiteren Umgang mit Winter – und wählte einen Mittelweg: Der Straßenname bleibt, wird aber um Informationen zu Winters NS-Rolle ergänzt. Von seiner Ernennung zum Ehrenbürger hat sich das Gremium distanziert, sein Ehrengrab soll nicht mehr gepflegt werden. Und die Sache mit dem Widerstand? „Da kann ich nur den Kopf schütteln“, sagt Historiker Veit.