Ist der beabsichtigte Austritt der Stadt Neu-Ulm aus dem Landkreis Neu-Ulm ein Aufbruch in eine neue Ära, die mehr Bürgerfreundlichkeit und einen besseren Gestaltungsspielraum mit sich bringt? Oder ist der Drang der Stadt, mit seinen mittlerweile mehr als 60 000 Einwohnern kreisfrei zu werden, ein Rückschritt in die Kleinstaaterei, weil man sich nicht ernst genommen fühlt?
Der Stadtrat von Neu-Ulm ist mehrheitlich von den Vorteilen überzeugt und stimmte im März für den Austritt, der angelehnt an die Scheidung Großbritanniens von der EU "Nuxit" genannt wird. Der Antrag auf Kreisfreiheit wurde im März beschlossen und an die bayerische Staatsregierung geschickt.
Die Gegner des Vorhabens wollten die Neu-Ulmer in einem Bürgerentscheid über die Frage abstimmen lassen, ob sie im Kreis verbleiben wollen oder nicht. Ein Bürgerbegehren ist aber zunächst gescheitert, weil es der Neu-Ulmer Stadtrat am Mittwoch wegen einiger Mängel mit 27 zu 13 Stimmen für unzulässig erklärte und ablehnte. Nun können die "Nuxit"-Gegner noch vors Augsburger Verwaltungsgericht ziehen, um die Abstimmung doch noch durchzusetzen.
Seit der Gebietsreform von 1972 hat sich noch keine bayerische Stadt zu solch einem Schritt entschlossen. Rechtlich möglich wäre der Austritt Neu-Ulms aus dem Kreis durchaus. Die Stadt hat die dafür notwendige Marke von mindestens 50 000 Einwohnern längst erreicht. Ob dies auch sinnvoll ist, ist eine andere Frage.
Im Rathaus betont man die Vorteile der "Bündelung der Aufgaben bei nur einer Behörde". Die Stadt Neu-Ulm könne in Zukunft für die Bürger Ansprechpartner in allen Lebenslagen sein. "Behördengänge zu unterschiedlichen Einrichtungen würden künftig entfallen." Als Beispiel führt die Verwaltung "Personen- und Fahrzeuganmeldung" an, die mit einem Gang bei der städtischen Verwaltung erfolgen könnten.
Klaus Rederer, Sprecher der Initiative "Nuxit? So geht's net!", sieht das anders. Er sagt, es sei ein "gut funktionierendes Beziehungsgeflecht" zwischen Stadt und Landkreis entstanden, das bestehen bleiben solle. Es gebe keine Notwendigkeit für einen Austritt, damit entstehe nur "ein irrsinniger Verwaltungsaufwand". Derselben Meinung ist man im Landratsamt, das massive personelle und finanzielle Auswirkungen auf den dann noch verbleibenden Rest-Landkreis zukommen sieht.
Die Einwohner der Stadt Neu-Ulm machen etwa ein Drittel der Bevölkerung des Landkreises aus. Fallen diese und die damit verbundenen Aufgaben in der Kreisbehörde weg, müssten dort auch massiv Stellen abgebaut werden. Die Stadt stellt dem entgegen, dass sie die Mitarbeiter übernehmen würde. Nach den Berechnungen der Stadt würde trotz zusätzlicher Stellen und Aufgaben unterm Stricht eine finanzielle Entlastung stehen - rund sechs Millionen Euro im Jahr.
Weil sie keine Kreisumlage mehr zahlen müsste, würde allerdings der Landkreis finanziell geschwächt. Landrat Thorsten Freudenberger (CSU) jedenfalls kann es nicht verstehen, weshalb man die bestehenden, funktionierenden Strukturen aufbrechen will. Er drohte seinem Parteifreund, dem Neu-Ulmer Oberbürgermeister Gerold Noerenberg, mit dem Wegzug der Kreisbehörde aus der Stadt im Falle eines "Nuxit".
Die Bürgerinitiative will nach einem Gespräch mit einem Fachanwalt Ende Mai entscheiden, ob sie ihr Begehren auf dem Klageweg durchsetzt. Zugleich bereitet sie eine Petition für den Erhalt des Landkreises vor. Sprecher Klaus Rederer sagt, der Wille der Initiative sei "ungebrochen", den Kreisaustritt zu verhindern.
Aus seiner Sicht stecken hinter dem Vorhaben nicht bürgerfreundliche Aspekte, sondern schlicht der "Geltungsdrang von Kommunalpolitikern". Offensichtlich habe manch einer in Neu-Ulm einen "Minderwertigkeitskomplex" gegenüber der mächtigen Nachbarstadt Ulm, der wettgemacht werden solle.