Bis vor fünf Jahren war Manuel Bauer der Chef des Neonazi-Trupps "Bund arischer Kämpfer". Sein Deckname lautete "Pistole". Mit seinen 15 Kameraden hat er eine Hochzeit eines türkischen Paares mit Fäusten und Baseballschlägern gesprengt. Und Bauer alias Pistole hat einen Geschäftsmann erpresst, weil dieser homosexuell war. "Ja, ich hätte damals auch getötet", sagt der 32-Jährige.
Heute hält Bauer einen Vortrag im Augsburger St.-Anna-Gymnasium und ruft den Schülern zu: "Last euch von dem braunen Scheißdreck nicht beeinflussen."
Manuel Bauer hat sich von der Neonazi-Szene losgesagt, mit Hilfe der Organisation "Exit Deutschland" hat er den Absprung geschafft. Jetzt erzählt er von seinen Erlebnissen, vor Schulklassen, in Talkshows und in Gesprächen mit Ermittlern.
Kaum einer kann besser berichten, wie es zwischen all den Rechtsradikalen, V-Leuten und versteckten Sympathisanten zugeht. Und er erzählt Dinge, die ein mulmiges Gefühl erzeugen. Damit ist aber nicht die menschenverachtende Einstellung seiner ehemaligen Gesinnungsgenossen gemeint, sondern vor allem die Denk- und Vorgehensweise der deutschen Behörden.
Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass Leute im Verfassungsschutz nicht anders gedacht haben als wir", sagt Bauer. Dem Thüringer Verfassungsschutz wirft er "komplettes Versagen" vor, und er hat auch eine Erklärung dafür: "Viele Beamte waren wohl zu sehr involviert, deshalb haben sie nicht so gut gearbeitet."
Über den ehemaligen Leiter des Thüringer Verfassungsschutzes sagt er: "Der müsste noch mal überprüft werden." Bauer erwartet, dass die Ermittlungen zum Thüringer Terror-Trio noch einen "Wahnsinns-Rattenschwanz" nach sich ziehen werden: "Da kommt noch einiges ans Tageslicht."
Denn nach Bauers Angaben gibt es viel mehr rechtsradikale Untergrund-Gruppen als bisher vermutet wird: "Wenn im Verfassungsschutzbericht von 100 Kameradschaften die Rede ist, dann gibt es mindestens 50 zusätzliche militante Untergrund-Organisationen", sagt er.
Viele bekannte Kameradschaften sind "nur Ablenkungsmanöver", wie er sagt. "Es gibt viele Schein-Konzerte, Schein-Kameradschaften und Schein-Aktionen", berichtet Bauer. "Wenn der Staat durch eine gezielte Falschinformation auf eine Gruppierung oder eine Veranstaltung aufmerksam gemacht wird, die es gar nicht gibt, dann kann man in aller Ruhe eine andere Aktion durchführen."
Außerdem seien bei Nazi-Treffen immer wieder Polizisten hilfreich, die der Szene "versteckte Hinweise" gäben. So wüssten die Skinheads vor Aufmärschen oft von Beamten, "wo die Kollegen verstärkt Streife fahren". Bauer berichtet von einem Polizisten, der sich aus Thüringen in die Oberpfalz zurückversetzen ließ. Seine Begründung lautete: "Dort war die Polizei ein einziger brauner Sumpf."
Auch die zahlreichen V-Männer in der Szene seien für die Neonazis eher hilfreich als gefährlich: "Die V-Leute kassieren das Geld vom Staat, geben es weiter - und melden dem Staat im Gegenzug bewusst falsche Informationen."
Wie viele der V-Männer so handeln? "Fifty-fifty", schätzt Bauer. Er persönlich glaubt, dass die V-Mann-Praxis für den Staatsschutz wichtig sei und beibehalten werden müsse: "Direkte Informationen sind wichtig." Aber er fordert vom Staat, "dass er viel kritischer hinschaut".
Manuel Bauer wuchs im sächsischen Torgau auf. Als Kind erlebte er die DDR, als er zehn Jahre alt war, kam die Wende - und nach der ersten Begeisterung die große Ernüchterung: Betriebe wurden geschlossen, die Eltern verloren ihren Job, die Kinder den Halt. "Mit zehn wurde ich rechts", sagt Manuel Bauer.
Mit 19 gründete er den "Bund arischer Kämpfer". Die Bande hatte 15 Mitglieder. Sie bekam Geld von V-Leuten - und von den Geheimdiensten aus Syrien, Marokko und Tunesien. Selbsternannte Nationalisten arbeiten mit Ausländern zusammen? "Die Nazis drehen sich alles so hin, wie es ihnen passt", sagt Bauer. "Die Agenten haben uns das Geld offiziell für den anti-israelischen und anti-amerikanischen Kampf gegeben", so Bauer, "ich habe es zur Rekrutierung benutzt."
Den Augsburger Gymnasiasten erzählt er, wie die Rechtsradikalen Nachwuchs anwerben. "Sie geben hübschen, blonden Mädchen 200 Euro und schicken sie in Cafés, um pubertierende Jugendliche anzulocken." So ein Mädchen gehe dann gezielt auf Buben zu, die unsicher wirkten, und verabrede sich mit ihnen. Die Verabredung ende dann oft bei einer sogenannten "Freizeitwoche".
Dort veranstalteten die Neonazis mit dem Nachwuchs Kampfspiele und bearbeiteten sie mit rechtsradikalen Parolen - den Rest mache die einschlägige Rechts-Rock-Musik. "Das ist so schäbig, bitte fallt darauf nicht herein."
In Mittelfranken hatte diese Taktik offenbar Erfolg, wie die jüngsten Übergriffe nahelegen, und Bauer bestätigt: "In Nürnberg gibt es eine gut durchstrukturierte, kampfbereite Szene mit 20, 30 Leuten." Sie habe gute Kontakte nach Thüringen. Bayern sei mit seinen ländlichen Räumen und der konservativen Bevölkerung im Fokus der Neonazis: "Die bayerische Szene ist im Kommen."
Bauer selbst lebt mit seiner Frau an einem geheimen Ort. Weil er in der Szene als Verräter gilt, bekommt er regelmäßig Drohungen. "Ich habe Angst", sagt er offen, "aber ich kann inzwischen besser damit umgehen."
Zum Aussteiger-Programm von "Exit Deutschland" gehören Personenschutz und Hilfe beim Aufbau einer neuen Existenz. Bauer hat eine Lehre absolviert und war zuletzt als Leiharbeiter tätig. "Seit Zwickau", sagt er, habe er unbezahlten Urlaub. Er eilt von einem Interview zum nächsten.
Bei vielen seiner Aussagen fragt man sich mitunter: Stimmt das alles? Oder ist Bauer womöglich ein Wichtigtuer, der mit mehr oder weniger zugespitzten Aussagen seine Laufbahn als Talkshow-Gast befördern will? Nach all dem, was in Thüringen derzeit Stück für Stück öffentlich wird, muss man davon ausgehen, dass er nicht übertreibt.