Süddeutsche Zeitung

Naturschutzgebiet im Allgäu:Wie einer der schönsten Bergseen zur Partylocation verkommt

Lesezeit: 3 min

Von Christian Sebald, Bad Hindelang

Es war ein Einsatz, wie er für Armin Hölzler inzwischen leidige Routine ist. Am Samstag hat der Chef der Polizeiinspektion in Sonthofen drei Alpinpolizisten zum Schrecksee hinaufgeschickt. Das Ziel der konzertierten Aktion: junges Partyvolk, das am Schrecksee feiert und zeltet. Natürlich wurden die Alpinpolizisten fündig. Sie trafen neun junge Frauen und Männer an, die die Nacht am Schrecksee verbracht hatten. Die Konsequenzen: Ein jeder von ihnen wird ein saftiges Bußgeld zwischen 300 und 500 Euro bezahlen müssen. Denn der Schrecksee liegt mitten im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen, einem der größten und wertvollsten Naturschutzgebiete in ganz Deutschland. Feiern und Zelten sind dort oben streng verboten, ebenso Feuermachen und Lärmen.

Der Schrecksee ist ein kleiner, idyllischer Gebirgssee auf 1813 Metern Höhe in einem kleinen kesselartigen Hochtal mitten im Naturschutzgebiet Allgäuer Hochalpen. Er erstreckt sich zur Gänze jenseits der Baumgrenze und ist von lauter Zweitausendern umgeben: dem Knappenkopf, der Kälbelespitze, dem Kastenkopf, dem Lahnerkopf und dem Älpelekopf. Nur das 1994 Meter hohe Kirchdach, das sich zwischen Knappenkopf und Kälbelespitze erhebt, verfehlt die Marke denkbar knapp. Nach Nordwesten fällt das Gelände hinter einer Schwelle steil ab. Der kürzeste Weg zum Schrecksee führt vom Hintersteiner Tal hinauf. Der Pfad zweigt gleich beim Kraftwerk Auele ab. Er ist steil und beschwerlich, die Sonne knallt voll in das Gelände hinein. Selbst routinierte Wanderer brauchen ungefähr zweieinhalb Stunden, bis sie oben sind.

Und doch übt der Schrecksee eine magische Anziehungskraft auf feierwütige Gäste aus. In manchen lauen Sommernächten zelten 80 Leute an seinen Ufern. Sie fachen meterhohe Lagerfeuer an, paddeln mit Schlauchbooten, Luftmatratzen oder SUP-Brettern, die sie hinaufgeschleppt haben, hinüber zu der kleinen Insel im See, und beschallen bis spät in die Nacht die Umgebung mit kleinen, dafür aber um so lauteren Musikgeräten.

Am nächsten Tag lassen sie dann ihren Unrat oben am Berg zurück - und zwar nicht nur Verpackungsmüll, leere Flaschen und andere Zivilisationsabfälle. Sondern bisweilen auch Zelte, Schlafsäcke, Luftmatratzen und Schlauchboote, offenbar weil ihnen die Sachen zu schwer sind, um sie wieder runter ins Tal zu schleppen. Beliebt ist auch das Erfrischungsbad im Schrecksee - inklusive Einseifen mit Duschgel und Haarwäsche mit Shampoo.

Florian Karg ist Pächter der Alpe am Schrecksee. Er und sein Hirte, der den Sommer über die hundert Stück Jungvieh auf ihr hütet, sind tagein, tagaus mit dem Partyvolk konfrontiert. "Es ist unbeschreiblich, was die alles anstellen", schimpft Karg, der erst vor einigen Jahren die verfallene Alpe wieder aufgebaut hat. "Sie reißen die Holzpfeiler von meinen Zäunen heraus und verbrennen sie, wenn das Wetter schlecht wird, quartieren sie sich in meinem Stall ein." Auch die Milchkuh, die der Hirte auf der Alpe zur Selbstversorgung hält, haben die Zeltler schon einmal gemolken. "Und ständig muss man aufpassen, dass man nicht in ihre Notdurft tritt."

Henning Werth ist ebenfalls entsetzt. "Es ist nicht zu fassen, aber es gibt junge Belgier, die fahren 800 Kilometer weit nach Bad Hindelang und quälen sich dann den Berg hinauf, nur um eine Nacht lang am Schrecksee Party zu machen", sagt der Biologe, der als Gebietsbetreuer einer der besten Kenner des Naturschutzgebiets ist. "Andere kommen aus Norddeutschland hier her, weil sie auf Instagram oder auf Facebook Bilder vom Schrecksee gesehen und dazu gelesen haben, dass man wenigstens einmal im Leben hier gewesen sein muss." Tatsächlich gilt der Schrecksee als einer der schönsten Bergseen in den Alpen, das Magazin Bergwelten etwa zählte ihn 2016 zu den 25 Top-Bergseen.

Im Talort Bad Hindelang fühlen sie sich dem Treiben ausgeliefert. "Natürlich klären wir unsere Gäste auf, dass Zelten, Feuermachen, Lärmen, aber auch Drachenfliegen und Drohnen fliegen lassen in einem Naturschutzgebiet streng verboten sind", sagt Tourismusdirektor Maximilian Hillmeier. "Erst jetzt haben wir wieder neue Faltblätter und Handzettel drucken lassen." Aber das Feiervolk am Schrecksee erreichen diese Informationen offenbar nicht. Denn, so sagen Hillmeier, Werth und Karg übereinstimmend, es sind nicht die Urlauber, die dort oben hausen. Sondern "Tagesgäste, die nur für eine Nacht zum Feiern zu uns kommen".

Deshalb also die Kontrollen der Alpinpolizisten und die teuren Bußgelder. "Das Gebiet um den Schrecksee ist wunderschön, man muss etwas tun, dass es so schön bleibt", sagt der Sonthofener Polizeichef Hölzler. "Außerdem muss sich ein jeder an die Naturschutzgesetze halten." Deshalb wird es auch in Zukunft Kontrollen geben. Auch wenn sie sehr aufwendig sind. Zwar schaffen die Alpinpolizisten als gut trainierte Bergsteiger den Aufstieg in nur eineinhalb Stunden. "Aber mit den Kontrollen selbst und dem Abstieg geht gleich ein ganzer Arbeitstag drauf", sagt Hölzler. Mit dem Hubschrauber wäre so eine Kontrolle sehr viel einfacher. Aber den wollen die Polizisten nicht mehr nehmen. Als sie das einmal taten, wurde sofort der Vorwurf laut, dass ein Helikopter ein viel schlimmerer Umweltsünder sei als alle wilden Zeltler am Schrecksee miteinander.

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Quelle:
SZ vom 07.08.2018
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