Naturschutz:"Wir sind Waldmenschen"

Engagement für den Spessart

Michael Kunkel in einem Buchenwald bei Heigenbrücken im Hochspessart.

(Foto: Daniel Peter)

Michael Kunkel lebt im und für den Spessart. Kein anderer weiß so gut wie er, warum dort ein Nationalpark entstehen sollte.

Von Katja Auer

Für die Käfer sei er schon zu alt, sagt Michael Kunkel. Die kennenzulernen, gründlich, alle 400 Arten, die es im Spessart gibt, dafür würde das Leben vielleicht nicht mehr reichen. Das treibt ihn um. Deswegen belässt er es bei den Heuschrecken - da kennt er jede -, den Libellen und Faltern, den Fledermäusen, den Vögeln, Amphibien, Säugetieren. Und den Bäumen natürlich.

Ja, ein bisschen was weiß er freilich schon über die Käfer, den Eichenholzbock zum Beispiel, den er gerade in die Hand nimmt, den sieht man nicht so oft. Über die Pilze auch, da drüben steht ein Strubbelkopf, dort verwesen schon die Riesenporlinge. Michael Kunkel, 57, ist kein Biologe. Aber er liebt den Wald. Und es gibt wahrscheinlich niemanden, der den Spessart besser kennt als er.

Als die Staatsregierung bei ihrer Klausur in St. Quirin kürzlich erdacht hat, dass es einen dritten Nationalpark geben solle in Bayern und gleichzeitig ausschloss, dass es der Steigerwald werden könnte, den Naturschützer für am besten geeignet halten, da rückte der Spessart in den Fokus. Das Mittelgebirge im Nordwesten, das sich über 244 000 Hektar von Unterfranken bis nach Hessen erstreckt. Ein alter, riesiger Laubwald, der seinen Namen von den Spechten hat, die ihn bevölkern. Mittendrin liegt Heigenbrücken (Landkreis Aschaffenburg), 2000 Einwohner. Da wohnt Michael Kunkel.

Platt wie eine Flunder sei er gewesen, sagt er, schließlich habe er nie an einen Nationalpark im Spessart zu denken gewagt. Mit seiner Frau Pia und den Mitstreitern vom Bund Naturschutz, dessen Ortsgruppe er vor 35 Jahren gegründet hat, ging es ihm darum, die alten Baumbestände im Spessart zu schützen, mehr Naturschutzgebiete auszuweisen. Aber ja, wenn es nun einen Nationalpark geben könnte, "da würden wir uns nicht wehren", sagt Kunkel.

Er mag ihn einfach, den Wald, da ist er aufgewachsen, da wollte er nie weg. "Das ist mein Leben", sagt er schlicht, und was bei einem anderen pathetisch klingen würde, hört sich bei Kunkel nur folgerichtig an. Wer einmal mit ihm durch den Spessart gelaufen ist, der merkt schnell, dass das nicht übertrieben ist.

Die Sonnenstrahlen lassen das Buchenlaub hellgrün leuchten, die Blätter aus dem vergangenen Jahr bedecken den Boden wie ein strubbeliger Teppich. Ein mächtiger Stamm liegt zwischen den Bäumen, gefällt von der Zeit, der Zunderschwamm hat seine Balkone drangehängt. Das Totholz, sagt Kunkel, sei wichtig für die Artenvielfalt, die im Spessart viel ausgeprägter sei als anderswo. Moose und Flechten umspinnen die Rinden mit grünen Netzen, im Mulm der zerfallenden Bäume nisten Insekten, in die leeren Höhlen der Spechte ziehen andere Tiere ein. Da reichen ein paar trockene Äste nicht, ganze Bäume müssen dafür sterben, deswegen plädiert Kunkel immer wieder dafür, mehr Flächen im Wald sich selbst zu überlassen. Mehr als 200 Pilzarten könne man im Herbst entdecken, sagt er, "da kommen sie bis aus Schleswig-Holstein zum Fotografieren".

Der Spessart

Der Spessart ist die größte zusammenhängende Laubwald-Region in Deutschland. Das 244 000 Hektar große Mittelgebirge erstreckt sich etwa 55 Kilometer südöstlich von Frankfurt und 40 Kilometer nordwestlich von Würzburg bis hin zum Vogelsberg und der Rhön. 70 Prozent des Spessarts liegen in Bayern, 30 in Hessen. In Bayern sind fast 43 000 Hektar Staatswald. Als biologisch besonders wertvoll gilt der 300 Hektar große Heisterblock mit seinen alten Buchen und Eichen. Im Spessart kommen zahlreiche seltene Vögel, Insekten und Pilze vor.

Er selbst zieht auch mit einer Kompaktkamera los. Damit fotografiert er Bäume, Tiere, die ganze Vielfalt im Wald. Und die Eingriffe des Menschen, der Bayerischen Staatsforsten in dem Fall, denn fast 43000 Hektar sind Staatswald im Spessart. Nicht einmal ein Prozent davon ist geschützt, dazu gehört das Naturschutzgebiet Metzger, das schon 1928 ausgewiesen wurde.

Der sogenannte Heisterblock, wo die ältesten Buchen in den Himmel ragen, wird zwar nicht mehr bewirtschaftet, ist aber kein Naturschutzgebiet. Er könnte das Herzstück eines Nationalparks Spessart sein. "Das ist wahrscheinlich die älteste Buche im Wald", sagt Kunkel und geht auf einen Stamm zu, den zu umfassen es zwei, drei Männer brauchen würde. 500 Jahre, schätzt er, ältere Buchen gibt es nirgendwo in Bayern.

Die Stümpfe, auf die das Moos klettert, stammen von mächtigen Eichen. Eine "Räuberei" nennt es Kunkel, dass die Bäume geerntet wurden. Er hat selber schon Eichen geschlagen, nach seiner Schlosserlehre wurde er Forstwirt. Also einer von denen, die von Berufs wegen Nationalparken eher skeptisch gegenüber stehen, weil diese dann aus der Nutzung genommen werden, wie es in der Forst-Fachsprache heißt. Bei Kunkel ist es anders, es hat ihm damals schon nicht gefallen, uralte Bäume zu fällen.

Aufgehört hat er nach zwei Jahren nicht der Überzeugung wegen, sondern weil sie in Heigenbrücken einen Gemeindearbeiter gesucht haben. Das war praktischer, er arbeitet halbtags und hat Zeit für den Wald. Und früher hatte er die auch für die Kinder, denn Kunkel war der erste Hausmann in Heigenbrücken, seine Frau Pia ging ihrem Beruf nach. Das habe gut funktioniert, sagen beide, nur manchmal war halt doch irgendwas mit dem Wald. Dann gab es abends Tiefkühlpizza.

"Wir sind Waldmenschen", sagt Pia Kunkel, wo es keine Bäume gibt, da gefällt es den beiden nicht. Früher sind sie viel gereist, Afrika, Mittelamerika, Sumatra. Immer in die Wälder. Das fürchterlichste, was er je gesehen habe, sagt Michael Kunkel, sei das Sauerland: "Nur Fichte, Fichte, Fichte." Auch im Spessart gibt es Gegenden, wo nach dem sogenannten Waldumbau jetzt Douglasien stehen, schnell wachsende Nadelbäume, statt der einheimischen Buchen.

Als "Naturschutz-Taliban" verunglimpft

Juchtenkäfer

In den Wäldern lebt der Juchtenkäfer - ein so unscheinbares wie seltenes Insekt.

(Foto: dpa)

Vor ein paar Jahren gruben Greenpeace-Aktivisten 2000 junge Douglasien im Spessart aus und stellten sie Agrarminister Helmut Brunner in München vor das Ministerium. Die Greenpeace-Leute kamen damals auch zu Kunkel, als sie merkten, dass es da einen gibt, der alles weiß über den Wald. Deren Protestform ist nicht die von Michael Kunkel, aber wenn es um den Naturschutz geht, ist es ihm recht, wenn möglichst viele zusammenstehen. Er ist kein lauter Typ, auch wenn ihn seine Frau scherzhaft den "Schrecken der Förster" nennt.

Kunkel ist ein drahtiger Mann, Holzfällerhemd, man sieht ihm an, dass er viel draußen ist. Der Opa hat ihm die Natur nahe gebracht, im Wald beobachtete er die Hirsche bei der Brunft und die Auerhähne bei der Balz, als es noch Auerhähne gab im Spessart. Als Bub hatte er einen zahmen Raben, Jakob, der zog den Kurgästen immer die Schuhbänder auf und dem Nachbarsmädchen Pia hat er sich mal auf den Kopf gesetzt.

Später sind sie dann miteinander im Wald spazieren gegangen. Es klingt nur halb nach einem Scherz, wenn Pia Kunkel sagt, dass das erste Wort ihres Mannes am Morgen "Wald" sei und das letzte am Abend. Sie hat sich nicht nur daran gewöhnt in 28 Jahren Ehe, sie unterstützt ihn. "Solange wir können, machen wir, was wir können", sagt sie.

Lange ging es dabei nicht um Politik, sondern um die Heimat. Die Kunkels sind keine berufsmäßigen Protestierer, sind nicht schon als Jugendliche auf Demonstrationen gefahren. Sie gehören noch nicht mal den Grünen an. Michael Kunkel spielte in der Blaskapelle, engagiert sich im Gartenbauverein und war früher bei der CSU, sogar im Gemeinderat. Dann ist er ausgetreten, des Waldes wegen. Als Schwarzer müsse man offenbar automatisch gegen den Naturschutz sein, sagt Kunkel, das gefiel ihm nicht.

Vieles sei gut in Bayern, sagt er, aber im Naturschutz sei der Freistaat wirklich hinten dran. So bleiben in Bayern bislang nur etwa drei Prozent des öffentlichen Waldes sich selbst überlassen, einem Beschluss der Bundesregierung zufolge sollen es bis 2020 aber zehn Prozent sein. Irgendwann hat Kunkel angefangen, Bilder und Fakten über den Spessart auf seiner Internetseite zu veröffentlichen, er hat den Wald durchwandert und überflogen.

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Ein Landstrich für Romantiker: Mönchberg ist einer von vielen kleinen Orten im Spessart.

(Foto: Imago)

Mit seinen Daten will er deutlich machen, dass es keinen perfekten Naturschutz geben könne, solange mit dem Holz Geld verdient werden muss. Damit eckt er an, bei den Staatsforsten zum Beispiel, es hat ihn mal jemand einen "Naturschutz-Taliban" genannt. Das hat ihn getroffen, schließlich tue er niemandem etwas zuleide. Höchstens rupft er mal einen verirrten Douglasien-Trieb aus.

Dass sich jetzt schon die ersten Proteste gegen einen Nationalpark regen, regt wiederum Michael Kunkel auf. Weil so viel Falsches erzählt werde und die Leute so verunsichert würden. Und weil es immer so klingt, als sollte aus dem ganzen Spessart ein Nationalpark werden. Dabei ginge es nur um ein Viertel des Staatswaldes. "Niemand will den ganzen Spessart schützen, wir auch nicht", sagt Kunkel. Aber für ein bisschen Wildnis, dafür macht er weiter.

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