Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:Jede zweite Vogelart in Bayern kämpft ums Überleben

  • Laut der neuen Roten Liste sind 113 von 210 Vogelarten in Bayern gefährdet.
  • Vor allem die Vögel der Äcker und Wiesen kämpfen ums Überleben.
  • Aber auch vermeintliche Allerweltvögel wie der Mauersegler und die Mehlschwalbe kommen längst nicht mehr so häufig vor.

Von Christian Sebald

Ornithologen klagen seit Langem über den massiven Schwund an Vögeln in Bayern. Jetzt ist er gleichsam amtlich: Nach der neuen Roten Liste für die heimischen Brutvögel geht es mehr als der Hälfte der Arten schlecht. 113 von 210 Vogelarten, das sind 54 Prozent, sind in einem "ungünstigen Erhaltungszustand", wie es in schönstem Wissenschaftsdeutsch in der Publikation heißt, die Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) am Donnerstag veröffentlicht hat.

Besonders kritisch steht es um die Vögel der Äcker und Wiesen. Die Bekassine, der Große Brachvogel und das Braunkehlchen stehen kurz vor dem Aussterben, der einst weit verbreitete Kiebitz ist stark gefährdet. Auch vermeintliche Allerweltsvögel wie der Mauersegler und die Mehlschwalbe sind gefährdet. Sogar der Hausspatz steht auf der Vorwarnliste.

Die neue Rote Liste zeigt denn auch eindringlich, dass die Staatsregierung ihre Ziele im Naturschutz bislang weit verfehlt. Nach ihrer Nachhaltigkeitsstrategie von 2013 sollte der Artenschwund im Freistaat bis 2020 gestoppt werden. Für mehr als die Hälfte der bedrohten Arten hier sollte sich der Gefährdungsgrad um wenigstens eine Stufe verbessern. Das alles ist nicht in Sicht.

Für Thomas Rödl vom Vogelschutzbund LBV ist die moderne Landwirtschaft mit ihren gigantisch großen Monokulturen der Hauptgrund des Schwunds. "Wo die Landschaft von Chemieeinsatz und intensiver Nutzung geprägt ist und es keine Büsche, Hecken und Bauminseln mehr gibt, da können Vögel weder Lebensräume noch ausreichend Nahrung finden", sagt er.

Deshalb fordert der LBV eine Neuorientierung der Landwirtschaft. "Ohne umweltschonende Produktionsweisen, die dem Naturschutz sehr viel mehr Wert beimessen als bisher, können die Nachhaltigkeitsziele der Staatsregierung nicht erreicht werden", sagt Rödl.

Immer mehr Flächen werden zubetoniert

Auch in Städten und Siedlungen müsse mehr für den Vogelschutz getan werden. Für Rödl ist es schier unfassbar, dass inzwischen sogar der Hausspatz zu den bedrohten Arten zählt. "Der Hausspatz, das ist der Charaktervogel der Biergärten", sagt er. "Jeder hat das Bild vor Augen, wie in den Münchner Biergärten Scharen von Spatzen auf und unter den Holztischen auf der Jagd nach Brezenbröseln sind." Vielerorts gehöre dieses Bild der Vergangenheit an.

Der Grund ist laut Rödl nicht nur, dass in den Städten inzwischen auch die letzten Brachflächen zubetoniert werden und den Spatzen damit der Lebensraum genommen wird. Sondern auch, dass viele Gebäude so saniert werden, dass Stadtvögel auf oder an ihnen keine Nistplätze mehr finden. Letzteres macht auch Mehlschwalben und Mauerseglern schwer zu schaffen.

Es gibt freilich auch gegenläufige Trends. Dank gezielter Programme haben sich etliche hochbedrohte Vogelarten wieder stabilisiert. Zu den erfolgreichsten gehört das Hilfsprogramm für die Weißstörche. Ende der Achtzigerjahre standen die Störche im Freistaat kurz vor dem Aussterben. Nur noch 48 Brutpaare zählten die Ornithologen.

Dann startete der Freistaat ein aufwendiges Artenhilfsprogramm - er förderte den Bau von Horsten, ließ Tümpel und feuchte Wiesen anlegen, wie sie die großen Vögel lieben, und etablierte ein Netz ehrenamtlicher Betreuer. Inzwischen leben 340 Storchenpaare in Bayern - so viele wie nie seit Beginn der Zählungen um 1900. Für Umweltministerin Scharf zeigt dieser Erfolg, wie wichtig Artenhilfsprogramme für den Naturschutz sind.

Auch der LBV-Mann Rödl hält sie für sehr wichtig. Er sagt aber auch, "dass solche schönen Einzelerfolge nicht über den dramatischen Schwund insgesamt hinwegtäuschen dürfen".

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SZ vom 24.06.2016/imei
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