Naturschutz:Streit zwischen Jägern und Förstern um die Gams

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Gämsen sind ausgezeichnete Kletterer, die es bis auf 50 Kilometer pro Stunde bringen – selbst in abschüssigem Gelände. (Foto: Sebastian Beck)

Die Staatsforsten wollen Schonzeiten aufheben lassen, um die Jungwälder vor Verbiss zu schützen. Die Jäger sprechen von Überjagung. Der zuständige Minister, Hubert Aiwanger, ist in der Zwickmühle.

Von Christian Sebald

Gämsen sind faszinierende Tiere. Sie leben hoch oben in den Bergen, wo es steil und felsig ist. Obwohl sie mit ihrem gedrungenen Körperbau und einem Gewicht von bis zu 50 Kilo eher plump wirken, sind sie extrem geschickte Kletterer. Gämsen können bis zu zwei Meter hoch und sechs Meter weit springen. Wenn sie lossprinten, erreichen sie schon mal Tempo 50 – auch in abschüssigem Gelände. Wohl deshalb sind Gämsen das Symboltier für die Freiheit in den Bergen – für Jäger, Almbauern und Bergsteiger gleichermaßen. So eine Gruppe Gämsen ist aber auch ein herrlicher Anblick, wenn sie hoch über einem im Fels steht, im Spitzinggebiet auf dem Weg zur Rotwand etwa oder an der Soiernspitze im Karwendel.

Dennoch gibt es immer wieder Streit um die Gämsen. In diesem Herbst dürfte er neu auflodern. Der Grund: Die Bayerischen Staatsforsten (BaySF), die die Staatswälder und damit sehr viele Bergwälder bewirtschaften, stellen gerade die Weichen, dass sie auch in Zukunft die Tiere scharf bejagen dürfen. Die Förster der BaySF haben nämlich ein Problem mit den Gämsen. Die Tiere fressen sehr gerne die Triebe der jungen Bäume in den Bergwäldern, sodass die nicht mehr richtig wachsen können. In Gebieten mit besonders vielen Gämsen können die Tiere schnell zu einer Gefahr für den Bergwald werden, sagen die Förster. In Bayern werden gut 4000 Gämsen pro Jahr geschossen. Vielen Jägern ist das viel zu viel. „Katastrophale Zustände“ und „überjagt“, lauten ihre Urteile. Bisweilen wird sogar von „Ausrottung“ gesprochen. Der Extrembergsteiger und Jäger Thomas Huber nahm einmal an einer Kampagne teil, bei der es hieß, es sei bereits „fünf nach zwölf“ für die Gams.

Jetzt haben die BaySF bei der Regierung von Oberbayern erneut eine sogenannte Schonzeiten-Aufhebungsverordnung für Gams-, Rot- und Rehwild beantragt. Die Verordnung mit dem monströsen Namen macht in bestimmten Bergwäldern eine besonders scharfe Jagd auf Gämsen möglich, und zwar schon seit bald 25 Jahren. Dazu muss man wissen, dass Gämsen grundsätzlich nur in der Zeit zwischen 1. August und 15. Dezember gejagt werden dürfen. Sollten die BaySF die Verordnung abermals verlängert bekommen, dürfen Gamsböcke, Jährlinge und weibliche Tiere bis zwei Jahre in den beantragten Gebieten das ganze Jahr über geschossen werden. Auch für die Jagd auf Muttertiere und Kitze würde es erneut Lockerungen geben.

Offiziell äußern sich die Staatsforsten nicht zu der neuen Verordnung. Auch Vize-Ministerpräsident und Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger (FW) reagiert nicht auf Anfragen. Dabei ist er seit der Landtagswahl nicht nur für die Jagd in Bayern zuständig. Sondern außerdem für die BaySF und in dieser Funktion Aufsichtsratschef des Unternehmens. Aiwanger, der selbst leidenschaftlicher Jäger ist, gilt als Gams-Fan. Erst kürzlich hat er an einer Zählung des Bestandes im Karwendel teilgenommen. Dabei hat er „viel Sachverstand und Fingerspitzengefühl“ bei der Jagd auf die Tiere angemahnt, „um diese wunderbare Art in einem guten Zustand zu halten und als bayerisches Kulturerbe an die nächsten Generationen weitergeben zu können“. Gämsen haben, so Aiwanger, nämlich eine hohe Wintersterblichkeit und eine relativ geringe Vermehrungsrate. Auch die Wiederausbreitung des Adlers in der Alpenregion führe zu Verlusten, vor allem von Jungtieren.

Bei den Bergwäldern, in denen die BaySF auch in Zukunft ohne Schonzeit auf die Gams jagen wollen, handelt es sich um spezielle Gebiete: sogenannte Schutzwälder, die mit großem personellen und finanziellen Aufwand saniert werden – in den allermeisten Fällen schon seit vielen Jahren. Schutzwälder sind Bergwälder, die Ortschaften, Straßen und andere Verkehrswege vor Lawinen, Muren und Sturzfluten bewahren sollen. Außerdem sollen die Schutzwälder die Hochwassergefahr verringern – indem sie das schnelle Abfließen der Niederschläge im und aus dem Gebirge zumindest verzögern. In Bayern sind mehr als die Hälfte der Bergwälder als Schutzwälder klassifiziert.

Vom Verein „Wildes Bayern“ kommt scharfe Kritik an der Gams-Jagd

Viele Schutzwälder sind aber in so schlechtem Zustand, dass sie ihre Schutzfunktion nicht mehr erfüllen können. Für sie leistet sich der Freistaat seit 1986 ein aufwendiges Sanierungsprogramm, in das inzwischen mehr als hundert Millionen Euro geflossen sind. Mit dem Geld sind bisher 13,5 Millionen junge Bäumchen gepflanzt worden, zumeist in extrem steilen Lagen. Damit die jungen Fichten, Tannen, Buchen, Bergahorne und anderen Bäumchen dort nicht sofort wieder von Gämsen und anderen Wildtieren zusammengefressen werden, wird in vielen Sanierungsgebieten schon seit der Jahrtausendwende ohne Schonzeit gejagt und soll es auch weiter getan werden dürfen. Die neue Aufhebungsverordnung soll auf 22 425 Hektar Fläche gelten. Das entspricht gut 15 Prozent der bayerischen Schutzwälder.

Der Verein „Wildes Bayern“ und seine Vorsitzende Christine Miller zählen zu den schärfsten Kritikern der Gams-Jagd bei den BaySF. Die Biologin, die in Jägerkreisen ein gewisses Renommée hat und sich dementsprechend als ihr Sprachrohr versteht, wirft den Staatsforsten seit Langem vor, dabei keine Rücksicht auf den Naturschutz und den Tierschutz zu nehmen. Dieser Tage hat sie ihre Vorwürfe erneuert. Im Internet spricht sie von einem „Perpetuum mobile der Gamswildvernichtung“. Auf Nachfrage hat Miller außerdem eine neue Klage ihres Vereins angekündigt, sollte die Regierung von Oberbayern die neue Schonzeiten-Aufhebungsverordnung erlassen. Ihre Klage gegen die alte, kürzlich abgelaufene wird Anfang November vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt.

An anderer Stelle lässt Miller ihrer Enttäuschung über Aiwanger freien Lauf. Die Hoffnungen seien groß gewesen, als der Vize-Ministerpräsident vor einem Dreivierteljahr die Zuständigkeit für die Jagd und Staatsforsten an sich zog, heißt es dort. „Schließlich hatten viele Versprechungen an die gefrusteten Jäger, die im Vorfeld in Reden und Gesprächen geäußert wurden, eine Besserung des miserablen Umgangs mit Wildtieren im Freistaat in Aussicht gestellt.“ Inzwischen hätten sich „derartige Träume als blasiger Schaum“ erwiesen.

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