Süddeutsche Zeitung

Naturschutz:Bayern gehen die Schmetterlinge aus

  • Seit Mitte des 18. Jahrhunderst sind etwa 13 Prozent der Schmetterlingsarten in Bayern nicht mehr auffindbar.
  • Der Großteil ist erst seit 25 Jahren nicht mehr auffindbar.
  • Grund sind wohl Landwirtschaft, der Flächenfraß und die Betonierung der Landschaften.

Von Christian Sebald

Weiße Flügel mit markanten schwarzen und roten, bisweilen auch gelblichen Flecken: Der Rote Apollo zählt zu den prächtigsten Schmetterlingen hierzulande. Einst war der Falter, der es sonnig und trocken mag und sich gerne an felsigen Hängen tummelt, in Bayern weit verbreitet. Sein Lebensraum reichte von den Alpen über die ganze Frankenalb von Eichstätt bis Bayreuth hin zum Fichtelgebirge und zur fränkischen Saale. Heute trifft man den Roten Apollo, der bereits seit 1936 unter strengstem Naturschutz steht, praktisch nur noch in den bayerischen Alpen an. Alle anderen Vorkommen im Freistaat sind bis auf wenige Ausnahmen erloschen.

Der Rote Apollo steht für die Schmetterlingswelt insgesamt. "Der Schwund ist dramatisch", sagt Andreas Segerer. Der 56-jährige Mikrobiologe und Schmetterlingskundler arbeitet an der Zoologischen Staatssammlung in München und ist einer der hochkarätigsten Experten seines Fachs. 2016 hat Segerer mit Kollegen der TU München und des Senckenberg Forschungsinstitutes in Franken einen Statusbericht zur Schmetterlingswelt in Bayern fertig gestellt. Ihr Ausgangspunkt waren die ungefähr 3250 Arten, die seit Mitte des 18. Jahrhunderts in Bayern nachgewiesen worden sind. "411 Arten sind nicht mehr nachweisbar", sagt Segerer, "das sind 13 Prozent gegenüber der Ausgangssituation." Das ist freilich nur ein Ergebnis der Studie. Ein anderes nicht minder drastisches ist, dass der Schwund größtenteils in den vergangenen 25 Jahren passiert ist. "1992 waren erst 109 Arten verschollen", sagt Segerer, "2003 waren es bereits 228 und zur Zeit sind es eben jene 411 Arten, die nicht mehr nachweisbar sind."

Natürlich gibt es viele Gründe für den Schwund. Die zentralen sind aber die moderne industrialisierte Landwirtschaft sowie der Flächenfraß und die Betonierung der Landschaften. Da ist sich Segerer mit allen Wissenschaftlern einig, die über das Artensterben forschen. In der industrialisierten Landwirtschaft sind es aber nicht nur die immensen Mengen an Dünger und Pflanzenschutzmitteln, die den Schmetterlingen übel zusetzen. Sondern zum Beispiel auch die immer gigantischeren Mähwerke, welche die Bauern einsetzen. Fahren sie einmal mit einem solchen über eine Wiese hinweg, liegt nicht nur alles Gras flach da. Sondern es ist auch alles Leben in ihm tot. Das Verschwinden des Dunklen Wiesenkopf-Ameisenbläulings etwa hat genau darin seine Ursache.

Der Flächenfraß und die Betonierung der Landschaften zerstören nicht nur die Lebensräume von Schmetterlingen. Sie schaffen auch überwindliche Barrieren. "Viele Schmetterlinge fliegen nicht über Straßen hinweg von einer Wiese zur anderen", sagt Segerer. "Rein physisch könnten es, aber sie tun es nicht, warum wissen wir nicht." Die Folgen aber sind klar: Die Populationen in den immer weiter voneinander getrennten Lebensräumen schrumpfen, es findet immer weniger Austausch zwischen ihnen statt, über kurz oder lang brechen sie zusammen. Nicht einmal Naturschutzgebiete sind vor den Verlusten gefeit. Am Keilstein bei Regensburg, das seit langem ein Naturschutzgebiet ist, zählten Schmetterlingskundler Mitte des 19. Jahrhunderts 117 Arten von Tagfaltern. 150 Jahre später trafen Segerer und seine Kollegen nur noch 71 Arten an. Das ist ein Minus von 39 Prozent.

Nicht anders sieht es bei den Gesamtzahlen der Falter aus. Sie brechen ebenfalls massiv ein, wie die Forschungen des Zoologen Josef H. Reichholf zeigen. Segerer und Reichholf kennen sich gut, sie haben lange zusammengearbeitet. Reichholf forscht seit 1969 in seiner niederbayerischen Heimat Aigen am Inn über Nachtfalter. Zuletzt traf er auf den Äckern dort aber nur noch halb so viele an wie in den Anfangsjahren seiner Untersuchungen.

Selbst die Bestände vormaliger Allerwelts-Nachtfalter, des Braunen Bärs zum Beispiel oder des Kleinen Weinschwärmers sind nahezu zusammengebrochen. Insgesamt zählte er in seiner Heimat nur noch ein Drittel so viele Schmetterlinge wie am Rande der Münchner Innenstadt. Für den Roten Apollo hat der Freistaat übrigens schon 1989 ein Artenhilfsprogramm gestartet. Damit sei es gelungen, die wenigen verbliebenen Vorkommen auf der Frankenalb zu erhalten, heißt nicht ohne Stolz beim Landesamt für Umwelt. Seine vielen anderen vormaligen Lebensräume freilich wird sich der Prachtschmetterling wohl nie mehr zurückerobern.

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Quelle:
SZ vom 18.11.2017/axi
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