Naturheilkunde:Im Bund Deutscher Heilpraktiker und Naturheilkundiger fliegen die Fetzen

Heilpraktiker: Homöopathische Präparate

"Sehr sicher gearbeitet": Die Berufsverbände der Heilpraktiker wehren sich gegen Einschränkungen für naturheilkundliche Therapien.

(Foto: Frank Rumpenhorst/dpa)
  • Der Bund Deutscher Heilpraktiker und Naturheilkundiger zerlegt sich derzeit offenbar selbst.
  • Es geht um Querelen zwischen der Verbandschefin und ihrem Vorgänger - mit pikanten Zutaten.
  • Einige Gerichtsverfahren sind bereits geführt worden, andere sind noch anhängig.

Von Gianna Niewel

Alles beginnt mit der Frage, ob drei Erwachsene miteinander Sex hatten. Auf dem spanischen Jakobsweg in Arzúa, September 2011. Es ist ein lauer Abend, ein Mann und eine Frau gehen noch in den Ort, Espresso trinken. Als sie zurückkommen, ist das Hotel verschlossen, die Rezeption verwaist. Es geht auf Mitternacht zu, es ist dunkel und kalt geworden.

Sie rufen, werfen Steinchen gegen die Fenster der Mitreisenden im vierten Stock. Ein Mitglied der Gruppe öffnet ihnen schließlich. Und weil der Mann seinen Zimmerschlüssel an der Rezeption abgegeben hat, übernachtet er bei seiner Abendbegleitung und deren Zimmerpartnerin. Das sollte für ihn ungeahnte Folgen haben.

Es geht um die Macht im Verband

Ein halbes Jahr später geht es nicht mehr nur um möglichen Sex. Es geht vor allem um die Macht innerhalb des Bundes Deutscher Heilpraktiker und Naturheilkundiger (BDHN), jenem Verband, der damals mit einigen Mitgliedern nach Spanien gereist war. Es ist ein Verband, dessen Mitglieder beruflich für die eher sanften Methoden stehen, im Umgang miteinander aber offenbar die härtere Gangart bevorzugen. Es geht um das Gerangel zwischen dem ehemaligen ersten Vorsitzenden Claus-Peter Neumann - dem Mann in dem Zimmer der beiden Frauen - und seiner Nachfolgerin Marianne S.

Anfang Februar feierte der BDHN in München sein 40-jähriges Bestehen. Einen Tag zuvor wurde am Landgericht München ein Urteil verkündet, mal wieder, muss man sagen. Die Konstellation in diesem Fall: Neumann gegen BDHN.

Im März 2010 wählten die Mitglieder des BDHN den heute 59-jährigen Claus-Peter Neumann zu ihrem ersten Vorsitzenden. Er vertrat daraufhin etwa 3200 Heilpraktiker bundesweit, die meisten von ihnen in Bayern. Seine Ziele: die Mitglieder stärken, für Naturheilkunde werben. Als neuer Vorstand wollte er auch die Verbandskassen einsehen. Doch der Einblick ist ihm nach eigenen Angaben zunächst verwehrt worden. Auf Umwegen erfuhr er: Seine damalige Stellvertreterin Marianne S. hatte offenbar auf Verbandskosten einen BMW X3 geleast.

Es steht Wort gegen Wort

Ein Auto für den Verband, wie Neumann sagt. Doch auf Versicherungs- und Kfz-Schein war offenbar nur ein Name eingetragen: Marianne S. Sie habe das Auto meistens gefahren, in ihrer Garage nahe Augsburg habe der BMW meistens geparkt. Auf Anfrage erklärte Marianne S., der Wagen habe nie für alle Mitglieder zur Verfügung stehen sollen, sondern war für sie. Das ist ihr zufolge in einer Mitgliederversammlung offen dargelegt worden, "ein Verbandsauto fährt diejenige Person im Verband, die es für die Bewältigung der Verbandsaufgaben benötigt". Und ja, zunächst habe nur ihr Name in den Fahrzeugpapieren gestanden, weil das in der Versicherung günstiger gewesen sei.

Es steht also Wort gegen Wort. Beim Blick in die Jahresabrechnungen, Tabelle 1d, "Vorstandsvergütung", fällt auf, dass sie als zweite Vorsitzende schon 2010 mehr Geld als der erste Vorsitzende Neumann erhält. Auch 2011 stehen bei ihr mehr als 38 000 Euro, bei ihm sind es 36 000 Euro. Marianne S. sagt dazu, der Vorstand dürfe nur abrechnen, wenn er für den BDHN tätig werde. Wenn Neumann also weniger für den Verband gearbeitet habe, könne er auch weniger abrechnen.

Die Heilpraktiker kämpfen mit einem schlechten Image

Eine Mediatorin schlichtet laut Neumann den Streit, Marianne S. bestreitet das. Laut Neumann sei man sich einig gewesen: In Zukunft solle so etwas nicht mehr vorkommen, auch wegen der Außenwirkung. Schließlich kämpfen Heilpraktiker seit Jahren mit ihrem eher schlechten Image. Die Ausbildung gilt im Vergleich zu einem Medizinstudium als lax.

Die Methoden sind mitunter kurios: Im November etwa untersagte das Gesundheitsamt Jena einer Heilpraktikerin, Atemwegserkrankungen und Kopfschmerzen mit Luft aus Bienenstöcken zu behandeln. Die Inhalation helfe nicht gegen Allergien, sondern könne allergische Komplikationen auslösen. Nun also ein bundesweiter Verband der Heilpraktiker, der sich im Streit um ein Dienstauto und Vorstandsvergütungen zerlegt - das dürfte allen Beteiligten ungelegen kommen. Könnte man meinen.

Vorwurf des "grob verbandsschädigenden Fehlverhaltens"

Im Frühjahr 2012 kam die vermeintliche Sex-Affäre zur Sprache: Der Kontrollrat des Verbandes habe ihn zur Seite genommen, sagt Neumann. Gegen ihn solle ein Amtsaufhebungsverfahren eingeleitet werden, ob er davon wüsste? Marianne S. sagt, es sei nie ein Amtsaufhebungsverfahren gegen Neumann eingeleitet worden. Was es aber gibt, ist eine Mail des Beirats, die der SZ vorliegt. Darin heißt es, dass einige Mitglieder Herrn Neumann "grob verbandsschädigendes Fehlverhalten" vorgeworfen hätten.

Gemeint sind die Nacht in Spanien auf dem Jakobsweg und möglicher Sex zu dritt. Neumann sagt, er habe sein Amt danach erst einmal ruhen lassen. Eine seiner Zimmergenossinnen gibt eine Erklärung ab, zwei DIN-A-4-Seiten. Sie versichert darin, dass es zu "keinerlei körperlichen oder gar sexuellen Handlungen" gekommen sei. Das sagt auch Neumann.

Er wird trotzdem aus dem Verband ausgeschlossen, weil sich sein Anwalt "nötigend" in die Debatte eingeschaltet haben soll, wie Neumann sagt. Mit diesem Vorwurf erklärt auch der Beirat des BDHN den Mitgliedern den Ausschluss, das Schreiben liegt der SZ vor. Marianne S. sagt, hinter dem "sexuellen Fehlverhalten" habe Neumann sich versteckt, um sich "den anderen wahren Gründen nicht zu stellen: zum Beispiel Urkundenfälschung im Verband, Copyright-Verletzung, Vorteilsnahme in mehreren Fällen und so weiter". Neumann bestreitet diese Vorwürfe.

Selbstbedienung auf Verbandskosten?

Nachfolgerin von Neumann wird ausgerechnet Marianne S., die Frau, der er "jahrelange Selbstbedienung auf Verbandskosten" nachsagt. Neumann legt Widerspruch gegen seinen Ausschluss ein und gewinnt in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht München. Sein Ausschluss ist "unwirksam", heißt es in den Gerichtsunterlagen. Neumann ist also zurück - und wird erneut ausgeschlossen. Er zieht abermals vor Gericht.

Auch andere Mitglieder werden ausgeschlossen und klagen erfolgreich dagegen. Die Rechtsstreitigkeiten kommen den Verband teuer zu stehen: Der BDHN, rechnet Neumann vor, habe in den vergangenen Jahren Prozesskosten in Höhe von mindestens 100 000 Euro gehabt. Marianne S. streitet diese Zahl ab, bestätigt aber eine fünfstellige Höhe.

Gerangel gibt es in jedem Verband

Querelen und Gerangel? Gibt es in jedem Verband. Ein Ausschluss aber gilt gemeinhin als Ausnahme, als "schwerste Vereinsstrafe", wie Marianne S. selbst schreibt. Beim BDHN sind seit 2012 laut Vorstand 14 Mitglieder ausgeschlossen worden. Bei einem so großen Verband mit mittlerweile etwa 3300 Mitgliedern sei das aber "nicht unüblich". Ehemalige sagen, dass von den 3300 Mitgliedern allerdings "nur etwa fünf Prozent" aktiv seien.

Claus-Peter Neumann sitzt in seiner Münchner Praxis, grüner Wollpulli, gelockte braune Haare. Hinter ihm hängen großformatige Drucke; sie zeigen den Menschen von vorne, von hinten, von der Seite, immer als Ganzes. Zu ihm, sagt er, kämen Patienten wegen Schnupfens ebenso wie mit Burn-out. Und die will er vom Scheitel bis zur Sohle wahrnehmen, dafür hat er sein Jura-Studium geschmissen und ist Heilpraktiker geworden. Jetzt stapeln sich die Gerichtsunterlagen auf dem Tisch. Mit ihnen will er belegen, dass er nicht einfach nachtritt aus gekränktem Stolz über die verlorene Macht.

"Arbeitskreis Verbandsfrieden" soll schlichten

Um die Konflikte anzugehen, schlossen sich schließlich einige Mitglieder im "Arbeitskreis Verbandsfrieden" zusammen. Der Mailverkehr ist rege, Betreff: "Machtmissbrauch im BDHN - Zahlen, Daten, Fakten". Einige klagen darin, dass ihnen auf Versammlungen das Mikrofon entrissen worden sei, wenn sie sich kritisch geäußert hätten. Es habe zu den Sitzungen Einlassbänder gegeben für diejenigen, die geladen waren. Zuschauer? Offenbar nicht erwünscht.

Marianne S. habe die Verbandssatzung ändern wollen: Die Amtszeit des Vorstands hätte von drei auf sechs Jahre verlängert werden sollen, aufmüpfigen Mitgliedern hätte eine Geldstrafe von bis zu 5000 Euro gedroht, solche Sachen. Der Arbeitskreis sah nur eine Möglichkeit, die Missstände anzusprechen: in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung. Doch zu der kam es nie, der Verband schätzte die geplante Tagesordnung als "nicht rechtmäßig" ein; so zumindest steht es in einer entsprechenden E-Mail.

Undurchsichtige Aktionen

Marianne S. zufolge hat es auf Sitzungen keine Redeverbote gegeben. Die Einführung einer Verbandsstrafe sei geplant gewesen "bei Verstößen gegen Mitgliedspflichten" - laut S. "ein milderes Mittel als ein Ausschluss". Einlassbänder habe es auf Mitgliederversammlungen und Kongressen gegeben, "zur Vereinfachung der Administration". Und die Verlängerung der Amtszeit sei erwogen worden, weil größere Projekte längere Zeit benötigten. Ihr Tenor: Alles in Ordnung beim BDHN.

Neumann hat inzwischen auch seine zweite Klage gegen den BDHN gewonnen. Auf der Mitgliederversammlung in München feierte der Verband am Tag darauf sein 40-jähriges Bestehen. Es scheint eine kurze Party gewesen zu sein: Schon um 14 Uhr, erzählt einer, der zu spät kam, seien die Tische wieder abgeräumt gewesen, der Saal leer. Alles, was er fand, waren Zettel, auf denen stand: "Mit uns sind Sie gut beschirmt" und darunter "40 Jahre BDHN". Marianne S. wurde als erste Vorsitzende wiedergewählt.

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