Natur in Bayern:Warum Fliegenpilze narrische Schwammerl sind

Natur in Bayern: Ein Genuss fürs Auge, aber giftig: Der Fliegenpilz.

Ein Genuss fürs Auge, aber giftig: Der Fliegenpilz.

(Foto: Niels P. Jørgensen)

Von Mythen umgeben, scheinen die knallroten Pilze die Popstars des Unterholzes zu sein. Experten warnen aber vor ihrem Gift und ihrer halluzinogenen Wirkung.

Von Hans Kratzer

Seine krachend rote Haut und sein breiter Hut mit den weißen Tupfern lassen den Fliegenpilz rein äußerlich wie einen Popstar des Unterholzes erscheinen. Mitten unter gravitätischen Nachbarn wie dem Steinpilz und den kleinen Pfifferlingen (Reherl) zieht er wegen seiner Leuchtfarben sofort alle Blicke auf sich. Besonders wohl fühlt er sich unter Fichten und Birken. Aber so lieblich und hippiemäßig der Rote Fliegenpilz (Amanita muscaria) auch auftritt, ungefährlich ist er keineswegs. Der Fliegenpilz ist nur fürs Auge ein Genuss, ansonsten ist er giftig. Mancher Schwammerlsucher nimmt ihm das so übel, dass er ihn erbarmungslos umtritt.

Dabei meint es der Fliegenpilz eigentlich gut mit den Menschen, er ist der am leichtesten zu erkennende Giftpilz. In Bayern gibt es Tausende Pilz- und Schwammerlarten, aber nur gut hundert stehen auf der Liste der empfohlenen Speisepilze. Sie haben fast alle gefährliche Doppelgänger, die im Ernstfall Magenschmerzen und Vergiftungen auslösen und manchmal sogar den Tod herbeiführen. Das Universal-Lexikon von Johann Heinrich Zedler riet im 18. Jahrhundert allen Ernstes dazu, vom Genuss jeglicher Pilze abzusehen, da diese etwas Unreines an sich hätten.

Nicht immer war der Fliegenpilz ob seines Gifts gefürchtet. Der Sprachwissenschaftler Josef Denz (Bayerische Akademie der Wissenschaften), der das Phänomen Schwammerl in den bayerischen Mundarten erforscht, verweist mit Blick auf den Namen dieses Schwammerls auf eine alte Überlieferung, die den Fliegenpilz quasi als Fliegenfalle adelt. Demnach wurden Hutstücke des Fliegenpilzes einst in Milch gekocht und dann auf die Fensterbank gestellt. Dahinter steckte der Glaube, die Fliegen würden tot umfallen, wenn sie davon naschten. Heute wird dies skeptisch beurteilt. Versuche haben gezeigt, dass die Fliegen nach dem Genuss von Fliegenpilz meistens nur betäubt sind und nach einiger Zeit munter wegfliegen.

Für zutreffender hält die Forschung den Zusammenhang des Namens Fliegenpilz mit der uralten Vorstellung, Fliegen seien ein Symbol des Wahnsinns. Dementsprechend nennt man ihn auch Narrenschwamm. Sprachforscher Denz kennt sogar eine dazu passende bayerische Redensart: "Der hout narrische Schwammala gessen!", sagt man in der Oberpfalz, wenn sich ein Mensch recht verrückt aufführt.

Tatsächlich können die im Fliegenpilz enthaltenen Giftstoffe psychedelisch wirken und Rauschzustände erzeugen. Aus Sibirien wird berichtet, dortige Schamanen hätten sich mithilfe eines Fliegenpilz-Sudes in Ekstase versetzt. Auch in Deutschland wurden einst Fliegenpilze verzehrt, wobei die in der Huthaut versteckten Giftstoffe vorher entfernt wurden. Nach einem stundenlangen Wasserbad wurden die Pilze schließlich gebraten. Heutige Schwammerlexperten warnen strikt davor, dies nachzumachen. "Das Risiko einer Vergiftung ist viel zu groß", sagt der Pilzsachverständige Alfred Hussong aus dem niederbayerischen Niederaichbach. Auch wenn Fliegenpilzvergiftungen nur selten zum Tode führen, so sind schwere Magen- und Darmstörungen das Mindeste, was sich ein unbedachter Esser dabei zuzieht.

Hussong geht davon aus, dass Fliegenpilze trotzdem als Förderstoff für Psychorausch und Halluzination gesammelt werden. "Es gibt eine Szene, die gezielt diesen Rausch sucht." Danach gierte der Mensch auch früher schon. Es war bekannt, dass der Pilz nicht zuletzt die Aggressivität und den Kampfesmut steigern kann. In der Pilzliteratur wird diesbezüglich gerne auf die berüchtigten Wutausbrüche der Berserker verwiesen. So werden in mittelalterlichen Quellen jene Typen bezeichnet, die in einer Art Rauschzustand kämpften. Hussong sagt, man habe Rittern vor den Kämpfen gezielt Fliegenpilze verabreicht, weil sie sich dann kräftig und übermütig fühlten. Ihr Toben und Wüten grenzte nicht selten an den Rand des Wahnsinns.

Der Spitzkegelige Kahlkopf kann es mit LSD aufnehmen

Der Fliegenpilz wird der Gattung der Wulstlinge zugerechnet, zu der auch der sehr giftige Grüne Knollenblätterpilz gehört. Zudem gilt der Fliegenpilz seit jeher als Indikator für den Standort von Steinpilzen. "Dass diese oft in der Nähe von Fliegenpilzen wachsen, stimmt immer noch", sagt Hussong. Nur dass die Fliegenpilze ein bisserl eher aus dem Boden schießen.

Während der Steinpilz in jeder Hinsicht unverdächtig ist, gibt es in Wäldern und Wiesen noch viele weitere Schwammerl, die halluzinogene Wirkung haben. Experten nennen solche Pilze Magic Mushrooms, also Zauberpilze, welche die psychedelisch aktiven Substanzen Psilocybin und Psilocin enthalten. Stark verbreitet ist in Bayern der Spitzkegelige Kahlkopf, der auf natürlich gedüngten Weiden zu finden ist oder an den Hängen des Bayerischen Waldes. Er kann durchaus einen ähnlichen Rausch hervorrufen wie das Rauschgift LSD. Alles in allem ist der Konsum von derlei psychoaktiven Pilzen aber eher ein gesellschaftliches Randphänomen.

Stefan Gaisbauer vom Polizeipräsidium Niederbayern sagt, der Spitzkegelige Kahlkopf sei kein polizeiliches Dauerthema. Andere psychoaktive Schwammerl dagegen schon. Werden betreffende Pilzkulturen im Ausland bestellt, sei dies noch nicht strafbar. Wenn diese Pilze aber angebaut werden, dann kommt laut Gaisbauer das Betäubungsmittelgesetz ins Spiel.

Größere Sorgen bereiten die Pilzvergiftungen. Chefarzt Florian Eyer, der den Giftnotruf am Klinikum Rechts der Isar in München leitet, sagt, die Abteilung behandle jedes Jahr mehrere Hundert Patienten, wobei deren Vergiftungen ganz unterschiedliche Wirkungen hätten. Der Verzehr von halluzinogenen Pilzen gehe jedoch zurück, da andere Drogen leichter konsumiert werden könnten.

Eyer hat festgestellt, dass viele Schwammerlsucher ihre Kenntnisse überschätzten. Gängige Vergiftungen würden durch den Verzehr von Fliegenpilzen, Pantherpilzen und Knollenblätterpilzen verursacht. Höchst gefährlich seien Verwechslungen mit Speisepilzen. Der giftige Karbolegerling wird dabei oft für einen essbaren Champignon gehalten. "Man muss ihn unten am Stielende schräg abschneiden", rät Hussong. Läuft er knallgelb an, dann ist er giftig. Der Kahle Krempling wiederum muss mehrmals verzehrt werden, bis er zu ernsten Vergiftungserscheinungen und sogar zum Tod führen kann.

Diese Gefahr bestand keineswegs, als die Fußballer des TSV 1860 München einst ein Gastspiel in Straubing gaben, im Tor stand die Sechzger-Legende Petar Radenkovic (Radi). Weil es noch keine Handys gab, mussten neugierige Buben erfragen, wie das Spiel ausgegangen war. Die treffendste Antwort gab ein schlitzohriger Arbeiter: "Der Radi hod de ganze Zeit Rehgoißerl gsuacht." Er meinte damit, der Radi habe halt im Strafraum Schwammerl gesucht, weil er keine Bälle zu fangen bekam.

Zur SZ-Startseite
Mit Körbchen und Pilzmesser ausgestattet durchstreifen Hildegard Oblegor und ihr Mann Fritz Anzinger den Wald in Aying.

Freizeit
:Was Anfänger beim Pilze-Sammeln beachten sollten

Das Pilzjahr 2018 bot Sammlern fette Ernte. Auch die aktuelle Saison verspricht gut zu werden. Unterwegs mit zwei Profis in den Wäldern um Aying.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: