Namensgebung für Straßen:Einheitsbrei auf Schildern

Sie bekommen die Namen von Bergen, Bäumen, Tieren, Komponisten und Dichtern: Bayerische Stadt- und Gemeinderäte erweisen sich als einfallslos, wenn es darum geht, neue Straßen zu benennen. Dabei gäbe es doch so viele Möglichkeiten.

Hans Kratzer

Wenn es darum geht, den Bauhof mit einem neuen Rasenmäher zu bestücken, legen Stadt- und Gemeinderäte im Ringen um das passende Produkt oft eine lebhafte Diskussionsfreude an den Tag. Wenn sie aber einer neuen Straße einen Namen geben müssen, was wegen der regen Bautätigkeit häufig der Fall ist, dann sind die Gehirnwindungen der Räte meistens von einer merkwürdigen Lähmung erfasst.

Straßenschilder

Gefühlte 50 Prozent aller Siedlungsstraßen und -wege in Bayern tragen mittlerweile Namen von Bergen, der Rest wird mit Bäumen, Tieren, Komponisten und Dichtern belegt.

(Foto: Foto: Peljak, Collage: Hartmann)

Der Gemeinderat im oberbayerischen Taufkirchen, der kürzlich für ein Baugebiet neue Straßennamen erfinden musste, hat dieses Phänomen gerade wieder exemplarisch bestätigt. Der Geschäftsleiter schlug den Namen Brünnsteinstraße vor, "weil wir dort schon viele Bergnamen haben", und die Gemeinderäte nickten den Vorschlag einstimmig ab.

Einfallsloser geht es eigentlich nicht mehr. Gefühlte 50 Prozent aller Siedlungsstraßen und -wege in Bayern tragen mittlerweile Namen von Bergen, der Rest wird mit Bäumen, Tieren, Komponisten und Dichtern belegt. In den Wohngebieten herrscht namenstechnisch ein ähnlich langweiliger Einheitsbrei wie bei den immer gleichen Märkten in den Gewerbegebieten. Dabei läge ein Riesenschatz an individuellen Bezeichnungen vor, der bloß nicht gehoben wird.

Die bayerische Landschaft ist mit Zehntausenden Grundstücken gesprenkelt, die alle seit Jahrhunderten einen Namen tragen. Leider sind die alten Flurnamen zum Großteil in Vergessenheit geraten, was einiges über den sträflichen Leichtsinn im Umgang mit unserem kulturellen Erbe verrät.

Würden die Straßen in den Siedlungen nach den alten Flurnamen benannt werden, könnten sie fortleben und den Siedlungen ein individuelleres Erscheinungsbild verleihen - und vor allem ein stärkeres Bewusstsein für das eigene Lebensumfeld schaffen.

"Flurnamen tauchen heute fast nicht mehr auf", bestätigt auch Michael Henker, der Vorsitzende des Verbands für Orts- und Flurnamenforschung in Bayern. Diesem Verein ist es zu verdanken, dass die Flurnamen wenigstens noch gesammelt und inventarisiert werden. Die Sammlungen reichen bis vor den 1. Weltkrieg zurück und bilden einen völlig unterschätzten historischen und kulturellen Schatz.

Altes Wissen geht verloren

In Zeiten ohne GPS und Navigationsgeräte steckten Flurnamen wie Beunde, Fronwiese, Teufelsgraben und Galgenbichel den Besitz ab und dienten der Orientierung. Sie wurden selten aufgeschrieben, sondern vorwiegend mündlich gebraucht, also in der Form des jeweiligen Dialekts. "Unmittelbar aus dem Volk hervorgegangen, sind sie eine einzigartige Quelle für die Erfahrungswelt und Geisteshaltung unserer Vorfahren", sagt der Flurnamenforscher Reinhard Bauer.

Doch so aufschlussreich die Flurnamen sind, so rasant verschwinden sie aus unserer Sprache, ja selbst der Begriff Flurname ist kaum noch jemandem ein Begriff. Dabei ist ihr Informationsgehalt über frühere Besitzverhältnisse, historische Ereignisse oder Gewerbestrukturen fast unerschöpflich.

Feldmoching ist eines der ältesten bayerischen Dörfer, etwa 800 Flurnamen sind dort überliefert. Auf älteren Karten findet sich in jenem Gelände, das 1938 für den Rangierbahnhof aufgeschüttet wurde, der Steingraben und parallel dazu der Steinweg. Die Bezeichnungen zeigen, dass hier die sonst in diesem Bereich nicht genau nachweisbare alte Römerstraße nach Augsburg führte, sagt Bauer.

Altes Wissen, das mit den Flurnamen verloren geht. Die Ursachen für die Misere sind jedoch leicht zu finden, sie heißen Zersiedelung der Landschaft, neue Agrarstruktur, sterbende Mundart, gepaart mit der Ignoranz der Kommunalpolitiker, die Flurnamen in den Siedlungsstraßen nicht mehr weiterleben lassen. Auch im täglichen Geschäftsgang der Behörden tauchen sie nicht mehr auf.

Die Liegenschaftskataster werden mittlerweile elektronisch verwaltet, und die Verwaltungsbeamten kennen oft nur noch zweistellige Nummern der Grundstücke, aber nicht mehr ihre alten Namen, die oft bis ins 8. Jahrhundert zurückreichen. Belegt wird das durch die "Zweite Würzburger Marktbeschreibung", in der im Jahr 779 die Grenze der Mark von Würzburg und Heidingsfeld beschrieben wird. Die darin reich enthaltenen Flurnamen zeigen, dass die meisten der heute noch gebräuchlichen Namentypen bereits vor 1200 Jahren verwendet wurden.

Wenn sich Gemeinderäte mit dem Argument herausreden, das Wissen um die Flurnamen sei abhanden gekommen, weshalb sie Siedlungsstraßen notgedrungen mit Bergnamen versehen müssten, so liegen sie falsch. Der Verband für Orts- und Flurnamenforschung (Leonrodstraße 57 80636 München, Tel: 089/3514281) ist jederzeit bereit, auf der Grundlage der alten Sammlungen Rat und Hilfe zu erteilen.

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