Süddeutsche Zeitung

Nachwuchspolitiker Ludwig Hartmann:Mister No der Grünen

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Er symbolisiert den Generationswechsel, ist erbitterter Olympia-Gegner und hat etwas Söderhaftes an sich: Ludwig Hartmann ist neuer Fraktionschef der Grünen in Bayern und soll die Abgeordneten auf Kurs bringen. Doch manchen geht der Aufstieg des Ehrgeizlings zu schnell.

Von Sebastian Beck

Wenn Frauen über Ludwig Hartmann schreiben, dann weisen sie gerne darauf hin, welch aparten Anblick er doch biete. "Rosige Gesichtsfarbe. Sanfter Blick. Breite Schultern", schwelgte die Brigitte vor einigen Jahren. Für den Freitag fasste eine Journalistin zusammen: "A ziemlich fescher Kerl." Aber vor allem ein Kerl, der viel reden kann.

Irgendwie fühlt man sich bei ihm an ein Breitbandkabel erinnert, seine Datenrate beim Sprechen ist enorm hoch. Er lodert geradezu vor Begeisterung. Und wenn sein Lieblingsthema Energiewende drankommt - und es kommt immer dran -, dann gibt es kein Halten mehr. "Früher hat er noch schneller geredet", sagt einer, der Hartmann schon länger kennt. "Jetzt kann man ihn zumindest verstehen."

Eine gewisse Klarheit im Ausdruck kann der 35-Jährige durchaus gebrauchen. Denn Hartmann ist neben der 54-jährigen Margarete Bause neuer Fraktionschef im Landtag. Ein Führungsduo, wie es unterschiedlicher kaum sein könnte. Es spiegelt erstmals den Generationswechsel in der Partei wider: hier die Ur-Grüne, die Anti-Strauß- und Anti-Atomkraft-Kämpferin, die sich seit den 80er Jahren an der CSU abgearbeitet hat. Dort der Flexi-Grüne, der nur schwer einzuordnen ist und bessere Kontakte zu den einstigen Erzfeinden aus der CSU pflegt als zur SPD.

Hartmann verteidigt die Trittinschen Pläne für Steuererhöhungen, er verzichtet aufs Auto, seit einem Aufenthalt in Bosnien kann er militärischer Friedenssicherung mehr abgewinnen als die Pazifisten in der Partei. Ist er nun rechts oder links? "Ich ordne mich nicht in Flügel ein", sagt er. Klar ist aber: Der Ehrgeiz steht seiner Begeisterungsfähigkeit um nichts nach, weshalb Hartmann gerade den etablierten Grünen schon lange suspekt war.

Hartmann, ein studierter Kommunikationsdesigner, hat etwas Söderhaftes an sich. Wie der einstige JU-Chef, so ist auch der Grüne ein geschickter Selbstvermarkter. Einer, der auch aus "wenig viel machen kann", wie ein Parteifreund mit ätzendem Unterton sagt. "Da hat er ein Auge dafür." Und einer, der ziemlich fix ist: Schon vor der Landtagswahl hat Hartmann eine große Telefonaktion unter den Kandidaten der Grünen gestartet, um sich für den Fraktionsvorsitz in Stellung zu bringen.

Hinten anstellen? Liegt ihm nicht

Als er 2008 zum ersten Mal in den Landtag gewählt worden war, sollte Hartmann sich bei der Verteilung der Themen ganz hinten anstellen. Eine Position, die ihm vom Naturell her nicht so liegt. Er sei sich vorgekommen "wie der Praktikant, den man vergessen hat", sagt er.

Zum Glück für ihn aber gab es Fraktionschef Sepp Daxenberger, der ihn protegierte, und es gab die Münchner Bewerbung für die Olympischen Winterspiele. Ein Thema, aus dem er viel machte, auch für sich selbst. Er profilierte sich als Mister No der Grünen, wobei ihm in diesem Fall seine Begeisterung fürs Opponieren von Nutzen war: Olympische Winterspiele 2018 oder nun 2022 - ein Ökodesaster, eine Finanzkatastrophe, womöglich der Untergang der Alpen, so jedenfalls suggerieren es die Aktivisten um Hartmann mit einiger Verbissenheit.

In dieser Frage zeigte er sich im Gegensatz zu den grünen Münchner Stadträten, die die erste Kandidatur für die Winterspiele noch befürworteten, von seiner ideologisch-kompromisslosen Seite. Um sie zu verstehen, muss man ins Jahr 1986 zurückblenden: Hartmann war damals gerade einmal sieben Jahre alt, als er daheim in Landsberg plötzlich nicht mehr auf den Bolzplatz durfte. Der Vater kaufte sich einen Geigerzähler und lagerte Milchpulver ein. Da ahnte auch der Erstklässler Ludwig: "Es ist etwas passiert, was nie hätte passieren dürfen."

Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, sie war ein Ur-Erlebnis für viele Grüne. "Eine tief greifende Erfahrung, die uns eint", sagt Bause. Sie machte damals schon Wahlkampf für die Partei, mit der sie am 12. Oktober 1986 erstmals in den Landtag einzog - auch eine Folge von Tschernobyl. Aus Sicht der Strauß-CSU erschien der Aufstieg der Grünen mindestens so bedrohlich wie der Gau in der Sowjetunion. Die Polizei sperrte den Landtag vor der ersten Sitzung großräumig ab. "Wir wurden behandelt wie die Verbrecher", erinnert sich Bause.

Grün sozialisiert - mit zwei Möglichkeiten

Solche Erfahrungen haben sowohl Bause als auch Hartmann geprägt. Er wuchs zu einer Zeit auf, als Ökologie längst in bürgerlichen Schichten angekommen war. Zu Hause bei den Hartmanns herrschte ebenfalls grünes Gedankengut vor: Seine inzwischen verstorbene Mutter gründete die "Mütter gegen Atomkraft", sein Vater engagierte sich bei "Ärzte gegen den Atomkrieg". Ihren Sohn schleppten sie zu Demos nach Gorleben mit. Tante Ruth Paulig war Fraktionschefin im Landtag.

Wer aus einer solchen Familie stammt, hat zwei Möglichkeiten: Entweder tritt er aus Protest einer schlagenden Studentenverbindung bei - oder er führt die Sache seiner Eltern fort. Hartmann entschied sich für Letzteres, weshalb er nun schon seit 2002 zusammen mit seinem Vater Andreas im Landsberger Stadtrat sitzt.

Im März 2012 wäre er fast zum ersten grünen Oberbürgermeister Bayerns geworden. Mit 49 Prozent unterlag er denkbar knapp dem CSU-Kandidaten Mathias Neuner. Selbstdarstellung alleine reicht nicht aus, um so einen Erfolg zu erzielen: Vor allem in der Energiepolitik ist Hartmann kompetent, das hat er im Stadtrat bewiesen.

Energiewende und Flächenverbrauch im Mittelpunkt

Auch als Fraktionschef will er die Energiewende und den Flächenverbrauch in den Mittelpunkt rücken. Themen, die nicht alle Grünen für prickelnd halten. Er wird der neuen Fraktion zusammen mit Bause den Kurs vorgeben müssen. Bisher waren die Abgeordneten bekannt dafür, dass sie untereinander gerne Streitereien austrugen und politisch machten, was sie wollten.

Vom eigenen Anspruch einer "Premium-Opposition" waren und sind die Grünen weit entfernt. Das räumt auch Hartmann ein: In den vergangenen zwei Jahren habe es keine politische Führung mehr gegeben, sagt er. Bause pflichtet ihm bei: "Wir haben immer wieder Schwerpunkte beschlossen, aber fürs Dranbleiben fehlte die Disziplin." Das solle nun anders werden, verspricht Hartmann.

Seine Vorgänger Thomas Mütze und Martin Runge sind als Fraktionschefs gescheitert. Das Wort Scheitern kommt in Hartmanns Wortschatz nicht vor. Denn er selbst, daran lässt er keinen Zweifel, steht noch ganz am Anfang der Karriere.

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Quelle:
SZ vom 16.10.2013
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