Nachruf:Der letzte Postillion

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Zu seinen Lebzeiten wurde Wolfgang Bötsch oft unterschätzt. Doch der CSU-Minister war gut vernetzt. Am Sonntag findet die Trauerfeier für ihn statt

Von Peter Fahrenholz, München

Von Politikern bleiben ganz unterschiedliche Dinge im Gedächtnis haften, unabhängig, wie lange sie gewirkt und was sie in dieser Zeit geleistet haben. Bei Richard von Weizsäcker ist es die berühmte Rede vom 8. Mai 1985. Gerhard Schröder wird jenseits der putinesken Verirrungen nach dem Ende seiner Amtszeit für immer mit der Agenda 2010 verbunden werden. Bei Wolfgang Bötsch, der am vergangenen Samstag mit 79 Jahren gestorben ist, fällt einem zuerst eine Kuriosität ein: Der CSU-Politiker ist vermutlich der einzige Minister, der sich selbst abgeschafft hat. Bötsch hatte als Postminister in der Regierung Kohl die Aufgabe, die Privatisierung von Post, Postbank und Telekom zu Ende zu bringen. Als er das geschafft hatte, gab es kein Postministerium mehr und auch keinen Minister Bötsch.

Wolfgang Bötsch, zwar im rheinland-pfälzischen Bad Kreuznach geboren, aber in Würzburg beheimatet, verkörperte das fränkische Element der CSU ganz und gar unverfälscht, weswegen er natürlich auch "Böööötsch" ausgesprochen wurde. Sein politischer Lebenstraum, Oberbürgermeister von Würzburg zu werden, ist nie in Erfüllung gegangen und auch Plan B ging schief: Seine politische Vertraute Barbara Stamm, die heutige Landtagspräsidentin, scheiterte 1990 bei ihrer Kandidatur für dieses Amt, was Bötsch zeitlebens als schweren Nackenschlag betrachtete.

Bötsch stieg stattdessen in Bonn die Leiter nach oben, wenn auch nicht blitzartig. Bötsch saß schon 13 Jahre im Bundestag, als er 1989 zum Chef der CSU-Landesgruppe aufrückte, nachdem sein Mentor Theo Waigel Finanzminister geworden war. Bötsch führte die Landesgruppe mit seinem jovialen Naturell "nach Art einer Hausmetzgerei", wie er mal bekannte. Stets Anfang Januar muss man in dieser Funktion besonders martialisch auftreten, wenn sich die CSU-Landesgruppe zu ihrer Klausurtagung in Kreuth trifft und sich ein paar Tage lang für den Nabel der Welt hält. Bei Bötsch hatte das immer eine etwas drollige Komponente. Wenn er in seinem breiten Fränkisch ankündigte, aus Kreuth kämen "Böllerschüsse", die in ganz Deutschland zu hören sein würden, hielt sich das Erschrecken stets in Grenzen, zumal jeder wusste, dass am Ende doch meist nur Knallerbsen herauskamen.

Als CSU-Landesgruppenchef und einer der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion ist man praktisch automatisch ministrabel. Bei Bötsch war es 1993 so weit: Nach dem Rücktritt von Christian Schwarz-Schilling (CDU) wurde er zum Postminister berufen. Das war in zweierlei Hinsicht überraschend: Zum einen wäre Bötsch viel lieber Verkehrsminister geworden, zum anderen bekannte er freimütig, von der Materie eigentlich keine Ahnung zu haben. Was ihn denn für sein neues Amt qualifiziere, wurde Bötsch damals von Journalisten gefragt. Er könne Briefmarken kleben und telefonieren, gab Bötsch unbekümmert zur Antwort. Immerhin hat er als Minister gelernt, wie man ein Faxgerät bedient, an Computer traute sich der Würzburger aber lieber nicht heran. Der Pierer von Siemens könne das auch nicht, hat er damals gesagt. Bötsch wirke "wie einer, der Cyberspace nicht mal buchstabieren kann", schrieb der Spiegel über ihn.

Kaum einer hätte es Bötsch anfangs zugetraut, die umkämpfte Postreform gegen zahlreiche Widerstände durchzusetzen, doch der Jurist aus Würzburg überraschte alle. Dabei kam ihm nicht nur sein großes Verhandlungsgeschick und die exzellente Vernetzung über Parteigrenzen hinweg zugute, sondern auch, dass viele ihn unterschätzten und seine Jovialität mit Naivität verwechselten. Am Ende hatte er eine der ehrgeizigsten politischen Reformen der Bundesrepublik erfolgreich umgesetzt.

Bötsch war immer ein treuer Paladin seines Parteichefs Theo Waigel, und so war es vermutlich nicht verwunderlich, dass die brutalste Attacke aus der eigenen Partei kam. Als 1996 die lange vorher ausgehandelte Tariferhöhung für Orts- und Nahgespräche bei der Telekom in Kraft trat und dummerweise am Neujahrstag auch noch der teuerere Wochentagstarif berechnet wurde, schrieb Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber einen Brandbrief an Bötsch, den er praktischerweise auch gleich an die Bild-Zeitung weiterreichte. Bötsch erlebte danach das, was man heute einen Shitstorm nennen würde. Dass "einer der meinigen" einen Brief schreibe und damit zur Zeitung marschiere, das sei "nicht normal", klagte Bötsch damals vornehm zurückhaltend. Dabei hätte er wissen müssen, dass seine Partei in dieser Disziplin eine gewisse Meisterschaft hatte, besonders während der von inniger gegenseitiger Abneigung geprägten Kohabitation zwischen Stoiber und Waigel.

Am Sonntag findet um 17 Uhr in der Kirche Stift Haug in Würzburg eine Trauerfeier statt. Theo Waigel wird die Trauerrede halten. Am Montag wird Bötsch dann im engsten Familienkreis beigesetzt.

© SZ vom 20.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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