Süddeutsche Zeitung

Nach Weltbild-Insolvenz:Lesensart macht dicht

  • Lesensart, der Käufer von Teilen der Weltbild-Gruppe, schließt die Filialen, die noch übrig sind.
  • Die Kündigungen sind abgeschickt, 175 Mitarbeiter sollen zum 1. November und 1. Dezember in eine Transfergesellschaft wechseln.
  • Auch bei Weltbild gibt es weiter verschiedene Baustellen, darunter der Streit mit dem Betriebsrat.

Von Stefan Mayr und Dieter Sürig

Als der westfälische Kaufmann Rüdiger Wenk im Frühjahr antrat, 67 schlecht laufende Filialen der angeschlagenen Buchkette Weltbild zu übernehmen, da klangen seine Versprechen recht vollmundig. "Ich baue jede Filiale neu auf", sagte er damals. Und begeisterte damit viele Filialleiter, die hofften, ihrem Traum vom eigenen Buchladen näher zu kommen - mit wenig Eigenkapital. Kritiker zweifelten an dem Konzept, das genau das schaffen sollte, was der erfahrene Großbuchhändler Weltbild nicht zustande gebracht hatte: schlecht laufende Filialen zu retten und 400 Menschen den Arbeitsplatz zu sichern. Warum sollte das einem bis dato in der Branche unbekannten Kaufmann gelingen?

Wenks Unternehmensberater wischte solche Zweifel vom Tisch. "Unser Atem reicht mindestens zwei Jahre", sagte er damals der Süddeutschen Zeitung. Sicherlich könne man nicht alle Filialen retten, etwa 20 Prozent seien gefährdet. Schon im Mai machte Wenk vier Läden dicht, weitere folgten - oft in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ohne Vorwarnung für die Mitarbeiter. Die Versprechen lösten sich zunehmend in Luft auf. Ende Juli stellte Wenk Insolvenzantrag, verblieben sind rund 30 Filialen. Aber auch deren Tage sind gezählt, sie werden bis Ende November geschlossen.

Die Löhne für den Monat November sind gesichert

"In den nächsten Wochen wird es noch einen Räumungsverkauf geben", sagte Insolvenzverwalter Ulrich Zerrath der SZ. Die Kündigungen sind abgeschickt, 175 Mitarbeiter sollen zum 1. November und 1. Dezember in eine Transfergesellschaft wechseln. Die restlichen 75 Beschäftigten waren Hilfskräfte. "Die Löhne für den Monat November sind gesichert, auch der Oktober-Lohn wurde pünktlich bezahlt", so Zerrath. "Ich sehe keine Chance mehr, die Läden weiterzuführen."

Es habe keine Interessenten gegeben, zudem habe Lesensart keinen Einfluss auf die Mietverträge gehabt, weil diese bei Weltbild Plus verblieben waren, sagt er. Viele Standorte seien sehr teuer gewesen. Hauptgläubiger von Lesensart sind nun die Mitarbeiter und Weltbild, "Kreditinstitute sind nicht beteiligt", versichert Zerrath.

Weltbild und der Betriebsrat streiten weiter

Das Augsburger Unternehmen Weltbild, das die Filialen im Frühjahr an Wenk weitergereicht hatte, sieht sich bei Lesensart nicht mehr in der Verantwortung. So lägen "alle operativen Entscheidungen bei Lesensart und nicht mehr bei Weltbild", sagt Geschäftsführer Sikko Böhm. "Dass das Konzept nicht aufgegangen ist, das tut mir persönlich für die ehemaligen Weltbild-Mitarbeiter sehr leid." Zur jetzigen Situation von Lesensart könne er aber nichts sagen.

Er weist Vorwürfe zurück, dass es einen Masterplan gegeben habe, die verlustträchtigen Filialen möglichst geräuschlos zu entsorgen. "Das Konzept von Lesensart hat nicht nur uns, sondern auch die Arbeitnehmervertreter und die Mitarbeiter überzeugt, sonst hätten wir nicht an Rüdiger Wenk verkauft", sagt Böhm.

Gemeinsam mit seinem Kollegen Patrick Hofmann hat er eigene Baustellen bei Weltbild. Dort versucht die vom Landesarbeitsgericht eingesetzte Einigungsstelle seit Monaten, die verhärteten Fronten zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat aufzuweichen. Das Management will Arbeitsplätze streichen, um das angeschlagene Unternehmen wieder wettbewerbsfähig zu machen. "Es geht bei Weltbild nach wie vor um 50 Stellen. Wir sind mit dem Betriebsrat weiterhin im konstruktiven Dialog, wir sind offen für eine gute Lösung", versichert Böhm.

Betriebsratschef Peter Fitz fordert: "Die Weltbild-Geschäftsführung muss erklären, wer künftig die Arbeit macht, die jetzt von denen erledigt wird, die entlassen werden sollen." Und: "Für die Gekündigten muss es eine Transfergesellschaft und Abfindungen geben." Sie sollten die Chance bekommen, sich weiterzuqualifizieren, sagt er. Die Einigungsstelle tagt Anfang November wieder.

Eine weitere Baustelle ist die Logistik, die der Ex-Weltbild-Insolvenzverwalter Arndt Geiwitz im Sommer 2014 an die Also AG verkauft hatte, die auch dem neuen Weltbild-Eigentümer Droege Group gehört. Inzwischen aber ist die Also Logistics GmbH mit etwa 450 Beschäftigten insolvent. Um das wichtige Weihnachtsgeschäft zu sichern, hat sich Weltbild bereit erklärt, Also vorübergehend finanziell zu unterstützen.

Nach SZ-Informationen macht Also pro Monat 300 000 bis 800 000 Euro Verlust - je nach Saison. Dieses Minus trägt Weltbild bis zum 30. Juni. "Für die Zeit danach gibt es keine Lösung", sagt Also-Insolvenzverwalter Frank Kebekus. Er habe 80 mögliche Investoren kontaktiert, "aber das Ergebnis war extrem deprimierend", sagt er. "Es gibt keinen einzigen Interessenten für eine Fortführung des Unternehmens."

Sondierungsgespräche sind gescheitert

Dem Vernehmen nach hat Weltbild bereits Angebote von Firmen vorliegen, die die Logistik vom 1. Juli an deutlich günstiger erledigen wollen. Einer dieser Anbieter soll in Osteuropa sitzen. Weltbild will diese Information allerdings nicht kommentieren. "Man gibt die Logistik nicht aus der Hand. Und billig ist nicht gleich Qualität, wir verlieren dann Kunden", warnt Weltbild-Betriebsratschef Peter Fitz. "Betriebswirtschaftlich sinnvoll wäre es, dass Weltbild die Logistik wieder übernimmt, Droege lehnt das aber ab." Diese Idee bezeichnet Insolvenzverwalter Kebekus allerdings als "nicht realistisch".

Ein Sondierungsgespräch zwischen Management, Insolvenzverwaltung und Betriebsrat scheiterte vorige Woche. Die Krux: Während der Betriebsrat und Verdi eine moralische Verpflichtung bei Investor Droege sehen, orientieren sich Kebekus, Droege und die Weltbild-Geschäftsführer ausschließlich an den Zahlen.

Das Weihnachtsgeschäft soll gute Zahlen bringen

Für Weltbild selbst ist Böhm guter Dinge, dass es wieder bergauf geht. "Weltbild wird im Kerngeschäft bereits dieses Jahr aus eigener Kraft wachsen", sagt er. So sollen bis Jahresende weitere Jokers-Filialen eröffnet werden, bislang gibt es 18, bei den 68 Weltbild-Läden habe man hingegen "mit dem jetzigen Filialbestand den gesunden Kern gefunden", sagt Böhm. "Wir haben durch den Filialverkauf Umsatz abgegeben, aber insbesondere Verluste minimiert." Ein neues Konzept mit mehreren Katalogen für verschiedene Zielgruppen sowie eine neue Werbekampagne mit Fernsehspots vor und nach Weihnachten sollen den Verkauf wieder ankurbeln.

"Wir möchten schnellstmöglich wieder Steuern zahlen. Wir gehen davon aus, dass wir in diesem Geschäftsjahr ein leicht positives Ergebnis erwirtschaften und danach wieder auf Wachstum schalten", sagt Böhm. Derzeit macht Weltbild einen Jahresumsatz von etwa 400 Millionen Euro. Und die gekündigte Warenkreditversicherung gehört der Vergangenheit an: "Wir können mitteilen, dass unsere bisherigen Einzelregelungen durch den Wiedereinstieg eines großen Warenkreditversicherers überholt sind."

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SZ vom 28.10.2015/vewo
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