Süddeutsche Zeitung

Nach Todesschuss in Burghausen:Das Leid bleibt

Lesezeit: 3 Min.

Von Heiner Effern und Lisa Schnell, Burghausen

Warum fielen überhaupt Schüsse? Und warum traf eine Kugel André B., den die beiden Fahnder in Burghausen festnehmen wollten, im Nacken? Ein Jahr nach dem Polizeieinsatz mit tödlichem Ausgang läuft bei der Staatsanwaltschaft Traunstein immer noch das Ermittlungsverfahren gegen den Schützen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.

Nun fordern sowohl der Verteidiger des Polizisten als auch die Anwälte der Mutter von André B., dass schnell eine Entscheidung fallen sollte. Die damalige Freundin des Getöteten, Karo S., wirft den Behörden vor, den Fall zu verschleppen. Sie fordert in einer Online-Petition an die Staatsanwaltschaft eine schnelle Anklage. Fast 10 000 Unterstützer haben sich mittlerweile eingetragen.

Dauer wird zur Belastung für die Beteiligten

"Es ist sehr ungewöhnlich, dass es so lange dauert", sagt Erhard Frank, der die Mutter des Verstorbenen vertritt. Er hofft, dass die Staatsanwaltschaft bald entscheidet. "Ich habe nicht die Hoffnung, sondern die begründete Erwartung, dass das nun bald passieren wird", sagt auch Andreas von Máriássy, der Anwalt des Polizisten. Die Staatsanwaltschaft habe wirklich alles ermittelt, das Verfahren sei entscheidungsreif. Für alle Beteiligten sei die lange Dauer eine Belastung. Der Leitende Oberstaatsanwalt in Traunstein, Wolfgang Giese, hat zwar "Verständnis" dafür, lässt sich aber nicht drängen. Er verweist auf Beweisanträge, die kürzlich erst eingegangen seien. "Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen", sagt er. Die Staatsanwaltschaft müssen in solch einem singulären Fall extrem gründlich alle Ergebnisse prüfen.

Von der Einstellung des Verfahrens über einen Strafbefehl bis zu einer Anklage vor dem Landgericht Traunstein ist alles möglich. Für Nebenklägeranwalt Erhard Frank wäre alles außer eine Anklage ein Skandal. "So eine Geschichte kann man nicht auf dem Büroweg lösen", sagt er. Verteidiger Máriássy ist dagegen überzeugt, dass "nur eine Einstellung die einzige richtige Entscheidung wäre." Ausschlaggebend wird sein, ob es Gesetze oder Verordnungen hergeben, dass der Polizist auf den flüchtenden Mann schießen durfte. Wichtig sei außerdem, ob es für den Schützen vorhersehbar war, dass er den Flüchtenden nicht ins Bein, sondern in den Nacken treffen würde, so Frank.

Zwei Fahnder warteten vor dem Haus seiner Freundin

Der Freitagnachmittag, an dem André B. ums Leben kam, wurde durch zahlreiche Vernehmungen, Tatortrekonstruktionen und Gutachten penibel untersucht. Der 33 Jahre alte Mann kam vom Baden zur Wohnung seiner Freundin. Dort warteten auf ihn bereits die zwei Fahnder, die ihn wegen des Verdachts auf Drogenhandel festnehmen wollten. Wegen eines solchen Delikts hatte André B. bereits eine mehrjährige Haftstrafe abgesessen. Die Polizisten folgten dem Gesuchten bis in den Innenhof eines Wohnblocks am Rand von Burghausen. Auf der Wiese nur ein paar Meter entfernt spielten drei Kinder Fußball.

Als André B. vor der Haustür seiner Freundin stand, soll er sich nach Angaben der Polizisten zu ihnen gedreht und sie als Fahnder erkannt haben. Sie riefen André B. zu, er solle stehenbleiben. Doch er flüchtete am Wohnblock entlang zum anderen Ausgang aus dem Hinterhof. Nach wenigen Metern fielen zwei Schüsse. Der erste traf niemanden, der zweite André B. am Übergang von Nacken und Kopf. Er fällt sofort zu Boden, ist tödlich verletzt.

Der zweite Schuss sollte die Beine des Flüchtenden treffen

Der Schütze wird noch am gleichen Abend vernommen. Der erste Schuss sei eine Warnung für den Flüchtenden gewesen. Da dieser nicht reagierte, sondern nach Ansicht des Polizisten durch einen Sprint den Abstand zu seinen Verfolgern bereits vergrößerte, drückte er ein zweites Mal ab. Diesmal mit dem Ziel, André B. in die Beine zu schießen. Dabei muss er wohl haarscharf an seinem vor ihm laufenden Kollegen vorbeigezielt haben.

Dieser berichtete von einem Pfeifen im Ohr und tastete seinen Oberkörper ab, um zu prüfen, ob er selbst getroffen sei. Er schätzte den Abstand zwischen sich und dem Flüchtenden auf maximal acht Meter. Der Schütze ist nach wie vor vom Dienst suspendiert. Nach Auskunft des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd gingen nach dem tödlichen Schuss Morddrohungen gegen ihn ein. Er habe deswegen sein Heim verlassen und bis heute nicht zurückkehren können, sagt ein Sprecher.

"Für mich war das Mord, nichts anderes"

Für Lilly B. gehört dieser Mann nicht suspendiert, sondern ins Gefängnis. Die Mutter des Verstorbenen kann nicht verstehen, warum der Polizist, der ihren Sohn erschossen hat, immer noch nicht vor Gericht steht. "Für mich war das Mord, nichts anderes", sagt sie. Den Glauben in den Rechtsstaat habe sie verloren. "Da wird am helllichten Tag ein Mann vor spielenden Kindern erschossen und für die Staatsanwaltschaft ist das in Ordnung? Das ist wahnsinnig", sagt sie auch heute noch voller Wut.

Dann wird ihre Stimme wieder leiser. Sie erzählt, wie sie manchmal noch in die Wohnung ihres Sohnes gleich neben ihrem Haus geht. Nichts hat sie verändert. In den Schränken hängen noch seine Jacken und Hosen. "Für meine Erinnerung", sagt Lilly B. Am Todestag hat sie ein großes Bild von ihm im Gang aufgehängt. "Es wirkt so lebendig", sagt sie. Etwa 50 Freunde und Verwandte legten ein Jahr nach dem tödlichen Schuss Blumen und Kerzen an der Todesstelle ab. Auch Karo S., zu der André B. an seinem Todestag wollte. Sie ist mittlerweile umgezogen. Den Blick aus dem Fenster, hinter dem ihr Freund gestorben ist hat sie zu sehr belastet. "Man sieht immer wieder alles aufs Neue", sagt sie.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2590292
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 01.08.2015
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.